Pläne um Ankauf wichtiger Görlitzfotos geplatzt

In den Görlitz-Fotografien von Rainer Kitte kann man sich verlieren, vor allem in den vor mehr als 25 Jahren aufgenommenen: Man kann fasziniert sein über die Ruinen der Altstadt, die eingefallenen Dächer, die schwarzen Fensterhöhlen, wenn man all das mit der heutigen Pracht vergleicht. Kann sich zurückversetzen in die Zeit, als die Berliner Straße noch von Geschäften wie "Der moderne Haushalt" und "HO Ballerina" geprägt war.

Man kann sich erinnern, wo überall in der Innenstadt es kleine Lebensmittelläden gab. Kann sich in die Zeit zurückversetzen, als vor den Kellerfenstern riesige Kohlehaufen lagen und DDR-Oldtimer an den Straßenrändern standen. Kann zuschauen, wie Königshufen hochgezogen wurde, oder auf Wimmelbildern von Demonstrationen in der Wendezeit bekannte Gesichter entdecken.
Tausende Görlitz-Fotos aus 60 Jahren
Viele der historischen Aufnahmen des Fotojournalisten Rainer Kitte könnten irgendwann einen solchen Wert für geschichtsinteressierte Görlitzer haben wie heute die Fotografien von Robert Scholz vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Kittes Archiv enthält Tausende seit den 1960er-Jahren aufgenommene Bilder von Görlitzer Motiven.
Deshalb war die Stadt Görlitz – ursprünglich auf Anregung von Ministerpräsident Michael Kretschmer hin – interessiert daran, das Archiv zu erwerben und ins Görlitzer Ratsarchiv zu integrieren. Im Zusammenhang damit ist auch eine große Fotoausstellung mit Bildern von Rainer Kitte anlässlich des Jubiläums 950 Jahre Görlitz im Gespräch.

Doch nach längeren Vertragsverhandlungen hat der 79-Jährige jetzt sein Verkaufsangebot zurückgezogen. Die Görlitzer Stadtverwaltung und der Fotojournalist konnten sich weder über die Bedingungen noch den Preis einigen.
Es geht weniger um den Preis als um die Nutzungsrechte
"Mit dem Preis hat es aber weniger zu tun", sagt Rainer Kitte. Vielmehr geht es ihm um die Wertschätzung seines Lebenswerks sowie um die Nutzungs- und Verwertungsrechte an seinen Bildern. Während die Stadt mit den Fotos das ausschließliche Nutzungs- und Verwertungsrecht erwerben wollte, würde Rainer Kitte dieses Recht zwar einräumen, aber nicht abgeben. Er und später seine Erben sollen seine Bilder weiterhin kostenlos nutzen und vermarkten können.
"Von Anfang an habe ich betont, dass ich das Nutzungs- und Verwertungsrecht behalten möchte, um weiterhin jährlich Kalender herausgeben und meine Fotos für Buchprojekte nutzen zu können", sagt der 79-Jährige. "Diese Rechte sind für mich enorm wichtig." Es sei ein Unterschied, ob man das Archiv eines Verstorbenen übernimmt oder von jemandem, der noch damit arbeitet. "Ich bin ja noch nicht tot!"
Ankauf aus kommunalen Mitteln kaum denkbar
Bürgermeister Dr. Michael Wieler, der die Verhandlungen mit Rainer Kitte führte, sagt, im Vertragsvorschlag der Stadtverwaltung seien "übliche Bedingungen" formuliert worden, von denen die Stadt "aus fördertechnischen Gründen" nicht abweichen könne. Die Option zum Ankauf mithilfe von Fördermitteln, an der die Stadtverwaltung monatelang gearbeitet habe, lasse sich nicht beliebig herbeiziehen. Und ein Ankauf aus kommunalen Eigenmitteln sei angesichts der extrem schwierigen Haushaltslage der Stadt Görlitz kaum denkbar.
So scheiterten die Verhandlungen letztlich doch auch am Preis. Der war auf Basis der Einschätzung eines Archivars der Universität Leipzig entstanden, der dem Fotoarchiv Kitte eine "hohe historische Relevanz" für die Stadt Görlitz bescheinigte. Die Übernahme der Fotosammlung Kitte in das Ratsarchiv biete eine "einmalige Gelegenheit", dieses Kulturgut dauerhaft für die Nachwelt zu dokumentieren.

Der Leipziger Universitätsarchivar schätzte, dass unter den rund 100.000 bis 150.000 Aufnahmen etwa 5.000 zeitgeschichtlich interessante Motive seien, weil viele Negative das gleiche Motiv zeigten und weil Kittes Archiv auch betriebliche Auftragsarbeiten und Privataufnahmen enthalte. So schätzte der Archivar den Wert des Fotoarchivs auf 17.500 Euro.
Ausstellung in der Stadthalle trotzdem geplant
Rainer Kitte vermisste jedoch die Würdigung einiger wichtiger Bestandteile seines Archivs, etwa von über 2.000 Farbdias aus der Nachwendezeit sowie 2.500 hochwertigen Scans aus seiner Zeit der Analogfotografie. Er forderte daraufhin einen höheren Preis, den die Stadt auch akzeptierte. Aber ein weiteres Nutzungs- und Verwertungsrecht konnte sie ihm dennoch nicht einräumen, weil das der Fördermittelgeber nicht akzeptiere. Dieser Vorschlag war für Kitte nicht annehmbar, und so kam es nicht zum Ankauf des Archivs.
Die Ausstellung anlässlich 950 Jahre Görlitz ist davon aber nicht berührt. "An unserer Fotoausstellung zum Stadtjubiläum, in der auch andere Fotografen zur Geltung kommen sollen, halten wir selbstredend fest", sagt Dr. Michael Wieler. Auch sei das Görlitzer Stadtarchiv bekanntlich prall und hochwertig gefüllt. "Eine Zusammenarbeit mit Herrn Kitte ist für uns jederzeit im gegenseitigen Einvernehmen möglich." Das sieht Rainer Kitte für die Ausstellung genauso.
Chance verpasst
Das Archiv betreffend hat die Stadt Görlitz aber aus seiner Sicht eine Chance verpasst. "Ich verstehe auch nicht, wieso sie nicht wenigstens Teile des Archivs erwerben wollte", sagt er. Etwa seine Papierbilder von vor 1990, die wegen ihrer historischen Bedeutung bereits im Ratsarchiv eingelagert sind, aber nur innerhalb der Räume des Ratsarchivs gezeigt werden können. Auch die Gegenüberstellungen baulicher Zustände von Gebäuden vor und nach der Wende ließen sich aus dem Archiv herauslösen und einzeln verkaufen, sagt Rainer Kitte, oder die dokumentierten Aktivitäten während der Wendezeit.
Wenn das Fotoarchiv niemand kaufe, ohne dass er die Bilder weiter nutzen kann, werde es sein Sohn in Hamburg erben. "Dessen Preisvorstellungen werden die meinen sicher übersteigen", sagt Kitte. "Verschenken werde ich mein Fotoarchiv jedenfalls nicht."