Wie Corona die Sterbekultur verändert

Sogar gestorben und getrauert wird heute anders als vor der Pandemie. Bestatter, Krematoriumsmitarbeiter und Pfarrer haben in den vergangenen Monaten Zeiten erlebt, in denen täglich so viele Menschen starben wie noch nie in den jüngeren Jahrzehnten.
Wochen liegen hinter ihnen, in denen sie in Schichten arbeiteten, um die Menge der Bestattungen bewältigen zu können, und an ihre Grenzen kamen. Vor allem aber Menschen, die in den vergangenen zwölf Monaten jemanden verloren haben, wissen, was es bedeutet, Schmerz und Trauer während einer Pandemie verarbeiten zu müssen.

"Manche Angehörige konnten nicht einmal richtig Abschied nehmen", sagt Evelin Mühle, Leiterin des Städtischen Friedhofs und Krematoriums Görlitz. Besonders wenn ein Mensch im Pflegeheim oder Krankenhaus starb, wo Besuche kaum möglich waren, sei das vorgekommen. "Die Vorstellung, dass Vater oder Mutter ganz allein gestorben sind, ist für viele schlimm."
Sterbebegleitung im Schutzanzug
Auch sage man nicht umsonst, man müsse den Tod "begreifen". Denn Sterben und Trauern habe viel mit Berührung zu tun, sowohl beim Abschiednehmen, wenn man die Kälte des Toten spüren kann, als auch beim Trösten und getröstet werden durch Umarmungen oder Händedruck. Das sei durch die Abstandsregeln von anderthalb Metern, die auch bei Trauerfeiern gelten, natürlich erschwert.
Das kann Matthias Paul, Pfarrer der evangelischen Innenstadtgemeinde, nur bestätigen. Er hat inzwischen einige Kranke und Sterbende evangelischen Glaubens in Pflegeheimen begleitet, die mit dem Coronavirus infiziert waren. Ihnen konnte er nur in vollständiger Schutzkleidung begegnen, in der es weniger als sonst möglich war, die tröstlichen Rituale durchzuführen, die seit Jahrhunderten die Angst vorm Tod lindern. "Diese Zeit führt uns besonders vor Augen, dass wir Menschen eben nicht nur durch das Gehörte Trost erfahren, sondern alle Sinne dazu benötigen", sagt Matthias Paul.
Trost braucht alle Sinne
Schon Luther vor 500 Jahren habe gesagt, dass Sterbende und deren Angehörige mit dem angstmachenden "Bild des Todes" von Sünde und Verdammnis konfrontiert werden, womit ein ganzes Bündel überwältigender Gefühle angedeutet sei. Bei der Sterbebegleitung solle man versuchen, dieser Angst vorm Sterben stärkere "Bilder", vor allem das von Jesus Christus entgegenzusetzen, verbunden mit Liedern, Gesten, Berührungen wie etwa dem Halten einer Hand.
"Wenn man einem Kind, das sich im Dunkeln fürchtet, sagt, es gibt keine Gespenster, hilft ihm das wenig", sagt Pfarrer Paul. "Was tröstet, ist die Mutter am Bett, die das Kind in den Arm nimmt, als viel stärkeres 'Bild'." Eben diese helfenden Gefühle würden durch christliche Rituale transportiert. Doch Gesten, Berührungen, miteinander beten oder die Umarmung zwischen Angehörigen seien im Schutzanzug nur begrenzt möglich.
Helga Drechsel, die Inhaberin des Görlitzer Bestattungshauses Ullrich, nimmt an, dass sich die Trauernden im engsten Familienkreis trotzdem umarmen, wenn auch nicht immer in der Öffentlichkeit. Auch sie kennt die Sorge von Familien, ihr Angehöriger sei im Pflegeheim oder Krankenhaus einsam gestorben. Sie habe aber von einigen Familien gehört, dass ihnen die Pfleger versicherten, sie hätten am Bett des Sterbenden gesessen und dessen Hand gehalten. "Das hat vielen Angehören gut getan und sie getröstet."
Totenmahl fehlt als Abschluss
Dass sich zu Beerdigungen nur zehn Leute treffen dürfen, sei für viele Familien traurig und schmerzvoll, sagen alle, die beruflich mit der Begleitung Angehöriger zu tun haben. Pfarrer Andreas Bertram und Pfarrer Hans-Albrecht Lichterfeld, die von Friedersdorf bis Zodel die evangelischen Gemeinden rund um Görlitz betreuen, bestätigen, dass es schwierig für die Angehörigen sei, nicht im großen Kreis trauern zu können. Besonders auf den Dörfern sei es schließlich üblich, dass jeder, der den Toten kannte, zur Beerdigung kommt, also oft das ganze Dorf.
An den kirchlichen Trauergottesdiensten können zwar so viele Menschen teilnehmen wie an allen anderen Gottesdiensten unter Corona-Bedingungen, aber zu Beerdigungen sind überall nach wie vor nur zehn Personen zugelassen. "Auch das Totenmahl fehlt den Menschen, vor allem in Zeiten geschlossener Restaurants", sagt Pfarrer Bertram. Gerade dort, wo man Erinnerungen austausche und gemeinsam an schöne Begegnungen mit dem Gestorbenen denke, verwandle sich der Schmerz in etwas Gutes, das überdauere. Dass dieser Abschluss nun häufig fehle, mache vielen Familien zu schaffen.
Familienfeier nachholen?
"Oft ist das auch die letzte Gelegenheit, in der ein bestimmter Personenkreis zusammentrifft", sagt Bestatterin Helga Drechsel. Deshalb empfehle sie Angehörigen, die eine Trauerfeier im großen Kreis vermissen, diese später – nach Corona – nachzuholen, auch wenn dann die Beerdigung schon eine Weile zurückliegt. Manche Familien hätten dafür die Trauerrede aufgezeichnet, andere hielten Fotosammlungen und Präsentationen zur Erinnerung an den Toten bereit und warten nun auf bessere Zeiten.

Evelin Mühle vom Krematorium nimmt allerdings an, dass sich nicht alle Familien dafür entscheiden. "Denn es ist doch etwas anderes, im Beisein des Sarges oder der Urne um einen Toten zu trauern oder deutlich nach vollzogener Bestattung." Auch die Pfarrer vom Land sagen, auf den Dörfern habe sich bisher niemand dafür entschieden, die Trauerfeier nachzuholen. Bei einer Feuerbestattung muss entsprechend des Sächsischen Bestattungsgesetzes die Urne spätestens sechs Monate nach der Einäscherung beigesetzt sein. "Einige Familien haben sich entschieden zu warten", sagt Evelin Mühle, "aber man sollte bedenken, dass die Trauerarbeit dadurch erschwert werden kann."
Dankbar über Trauerfeier im engsten Kreis
Sowohl die Friedhofsleiterin als auch Bestatterin Helga Drechsel sagen, manche Familien entlaste es auch, dass große Trauerfeiern im Moment nicht möglich sind. "Für viele ist es anstrengend, am Grab zahlreichen Menschen begegnen zu müssen, die Abschied nehmen möchten", sagt Helga Drechsel. Gerade bei prominenteren Verstorbenen sei häufig der soziale Druck auf die Angehörigen recht hoch, eine große Feier veranstalten zu müssen. "Dass dieser Druck jetzt wegfiel, tat einigen gut."
Und manche Trauernden verwandelten den für sie traurigen Umstand, dass die Verwandten nicht anreisten, in eine kreative Idee. "Einige geben Grabbeigaben von Menschen, die nicht persönlich Abschied nehmen können, mit in die Urne oder in den Sarg", sagt Evelin Mühle. In besonderer Erinnerung sei ihr ein Mann, der seine Frau verlor, und zusammen mit seiner Tochter am Krematorium weiße Luftballons steigen ließ als Zeichen des Loslassens.