Neue Bahnfirma in Görlitz bietet Jobs für Waggonbauer

Mike Klaus Barke kann sich noch gut an seine Kindheit erinnern. Als er seinen Onkel, der in Löbau wohnte, im Görlitzer Waggonbau besuchte und als Steppke auf der Schiebebühne des Werkes einmal mitfahren konnte. Das blieb dem 56-Jährigen bis heute in so lebhafter Erinnerung, dass er davon berichten kann, als wäre es gestern gewesen.
Nun ist Barke in den Görlitzer Waggonbau zurückgekehrt. Als Unternehmer. Er hat vieles gemacht in den vergangenen Jahren, seine Firmen produzieren Sicherheitstechnik, mit Stahlprodukten gehandelt und im Kerngeschäft mit seinem Partner Hans-Christian Zink Kleinkraftwerke errichtet und betrieben. Seit 1995 ist er selbstständig tätig und sagt von sich selbst, er habe noch nie ein Gerichtsverfahren führen müssen oder einen Gerichtssaal von innen gesehen. Sein Ansehen ist mit jedem Schritt gewachsen, sodass er unter Unternehmern so einen guten Ruf besitzt, dass er Vizepräsident des sächsischen Unternehmerverbandes ist. Und in Leipzig organisiert eine seiner Firmen ehrenamtlich Tennisturniere.

63 Mitarbeiter von Bombardier übernommen
Schließlich gründete er gemeinsam mit Hans Christian Zink 2019 die BSG Components GmbH & Co KG, um im vergangenen Jahr die Teilefertigung vom Görlitzer Bombardier-Werk zu übernehmen. Bombardier wollte die Abteilung schließen, die wichtige Teile aus Holz, Kunststoff oder Metall für die Waggons herstellt. Barke übernahm 63 Mitarbeiter, einen Teil des Maschinenparks, Hallen, schloss auch eine Übereinkunft mit der IG Metall, zahlt Tariflöhne, und begann im Juni 2020 loszulegen.
Barke war früher einmal Leistungssportler. Er mag Herausforderungen, nimmt sie an, braucht sie auch, und findet darin Spaß, wenn sie Sinn haben. Seine neue Firma in Görlitz hat all das. Denn innerhalb eines halben Jahres ein neues Unternehmen aus dem Boden zu stampfen, ist eine besondere Herausforderung. Eine eigene Verwaltung musste her, ein eigenes Finanzsystem, 30 weitere Mitarbeiter stellte Barke bislang ein, zehn Millionen Euro investiert er in neue Maschinen.
Standortleiter ist erfahrener Waggonbauer
Einer, auf den sich Barke von Anfang stützen konnte, ist André Wendler. Seit Juli 2002 arbeitet er im Görlitzer Waggonbau, lernte auch das Werk in Ceska Lipa kennen. Seinen Beruf erlernte er von der Pike auf, machte als einer der Letzten die nur in der DDR mögliche kombinierte Ausbildung als Schlosser mit Abitur im Reichsbahnausbesserungswerk Chemnitz, nachfolgend ging er an die TU Berlin, um Wirtschaftsingenieur zu studieren. Nun ist er Standortleiter von Barkes Unternehmen in Görlitz.
Auch das ist eine Herausforderung. Auf der einen Seite musste die Produktion weiterlaufen: Blechtafeln, Holzbretter umformen, zuschneiden und mechanisch bearbeiten, um sie in Kästen, Konsolen oder Trägerbaugruppen einzubauen, die schließlich in den Doppelstockwagen von Alstom für Israel, im ICE4 oder in Doppelstockwagen sowie Nahverkehrszügen für Niedersachsen Platz finden. Die Dachbeblechung oder Seitenbeblechung der Rohbau-Fahrzeuge des Görlitzer Alstom-Werkes entstehen hier, auch Batterieboxen. Und selbst in der neuen Straßenbahn für Dresden finden sich viele Teile von BSG Components.
Damit Alstom die neue Firma als Zulieferer akzeptiert, musste sie den Nachweis erbringen, dass ihre Teile die Qualitätsstandards erfüllen. Das geschieht in der Wirtschaft mit ISO-Zertifizierungen oder Schweiß-Zertifizierungen. Innerhalb kürzester Zeit konnte Wendler diese Nachweise mit seinen Mitarbeitern erfüllen. "Wir haben tolle Schweißer und tolles Führungspersonal", schwärmt auch Mike Klaus Barke.

BSG Components erwirbt Grundstück in Schlauroth
Bislang ist das neue Unternehmen eng mit Alstom verbunden, nachdem der französische Bahntechnik-Konzern die Bahnsparte von Bombardier und damit auch die Werke in Bautzen und Görlitz übernommen hat. Doch will die BSG Components auch Aufträge anderer Unternehmen einwerben, um zu wachsen. Einige gibt es schon, doch es sollen mehr werden.
Einen ersten Schritt ging Barke an diesem Donnerstag, indem der Stadtrat ihm ein erstes Grundstück im künftigen Gewerbegebiet Schlauroth verkaufte. Dort will Barke Ersatzteile und Sonderanfertigungen im 3-D-Druck herstellen und damit die Produktion im Waggonbau-Werk ergänzen. Nach Angaben der Stadt sind mit dem 3-D-Druck- und Servicezentrum Investitionen von über sechs Millionen Euro und zunächst 25 zusätzliche Arbeitsplätze verbunden. Barke lobt vor allem die Unterstützung durch Oberbürgermeister Octavian Ursu und Wirtschaftsförderin Andrea Behr. Sie hätten ihn immer wieder ermutigt, seine Pläne in Görlitz umzusetzen, und zugleich auch zugehört, wenn Barke seine Probleme geschildert habe. So eine gute Begleitung habe er selten gehabt.
Barke sieht für solche 3-D-Ersatzteile großen Bedarf. In vielen Zügen gibt es Teile wie den Alu-Hebel, um die Sitze zu verstellen, oder um Ablagen zu verändern, deren Hersteller heute entweder gar nicht mehr existieren oder für die Herstellung von kleinen Serien mit zehn Stück dieser Teile zu teuer sind. In diese Lücke will Barke springen und den Zugbetreibern anbieten, diese Kunststoff- oder Metallteile in 3-D-Druck herzustellen. Schnell, kostengünstig und effizient. Eine Kooperation mit Alstom besteht bereits, auch das Bahnbetriebswerk der Deutschen Bahn ist mit im Boot.
Zukunftspläne: Großes 3-D-Kompetenzzentrum
Langfristig plant Barke in Schlauroth ein Zentrum der Digitalisierung. So könnten beispielsweise alle Teile eine ICEs oder anderer Fahrzeuge im CAD-System eingescannt werden und beliebig oft im 3-D-Druck hergestellt oder die digitale Vorlage an andere Dienstleister gesandt werden. Immer wenn ein Teil benötigt wird.
Für die Bahnindustrie wäre das Neuland, in der Luft- und Raumfahrtindustrie gibt es bereits Beispiele dafür. Und die 3-D-Technik setzt sich immer mehr durch. So kündigte erst am Wochenende der Spezialchemiekonzern Altana an, in Bitterfeld ein Kompetenzzentrum für den 3-D-Druck aufzubauen, um leichte Bauteile für die Luftfahrtindustrie herzustellen.
Barke nennt sein Konzept "Smart Factory Schienenfahrzeuge". Von dem soll in Görlitz noch viel zu hören sein. Denn der Unternehmer aus Leipzig schwärmt nicht nur von seiner Vergangenheit im Waggonbau, er sieht auch eine gute Zukunft hier.