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Görlitzer Altstadtperle steht zum Verkauf

Die Gaststätte „Zum Flyns“ ist geschlossen. Der Hintergrund ist tragisch. Trotzdem schauen alle Beteiligten nach vorn.

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© Nikolai Schmidt

Von Jenny Thümmler

Guten Tag. Das Gasthaus Zum Flyns bleibt geschlossen. Vielen Dank. Auf Wiedersehen.“ Eine traurige Nachricht auf einem Anrufbeantworter ist zurzeit das einzige, was von einer der Görlitzer Traditionsgaststätten übriggeblieben ist. Tür und Fensterläden sind zu, nur durch einen Spalt ist noch ein Teil des Mobiliars zu sehen. Ein rotes Schild prangt im Schaukasten des Gasthauses an der Ecke Langenstraße/Apothekergasse: „Zu verkaufen, eventuell zu verpachten“, steht dort, daneben die Telefonnummer von Mondry Immobilien. „Die Eigentümer fühlen sich inzwischen zu alt und wollen das Haus in gute Hände geben“, sagt Andrea Vater, Inhaberin von Mondry Immobilien. Sie seien aus Rheinhessen oft nach Görlitz gekommen und hätten im Obergeschoss in einem eigens dafür frei gehaltenen Zimmer übernachtet. „Aber nun wird ihnen die lange Reise zu anstrengend.“ Jetzt wird das Haus für 252 000 Euro im Internet angeboten.

Das knallig-rote Schild im Schaukasten des Gasthauses ist nicht zu übersehen.
Das knallig-rote Schild im Schaukasten des Gasthauses ist nicht zu übersehen. © Pawel Sosnowski

Der geplante Verkauf ist aber nicht der Grund für die Schließung des Gasthauses „Zum Flyns“. Der ist viel tragischer. Im April verstarb der Partner von Inhaberin Kerstin Nößler ganz plötzlich, der all die Jahre auch seine Energie ins Gasthaus gesteckt hatte. Allein wollte die Wirtin nicht einen einzigen Tag weitermachen: Sein Todestag ist zugleich der Tag, an dem der „Flyns“ geschlossen wurde. „Ich hätte das nicht gekonnt“, sagt Kerstin Nößler. „Ich hätte dort überall meinen Mann gesehen.“

Das Lokal war ihr und Torsten Gärtners Baby, ihr Lebensunterhalt. 1995 haben sie es eröffnet, nachdem sie bei der Restaurierung des ruinösen Gebäudes selbst mitgeholfen hatten. Damit waren sie mit die Ersten nach der Wende. „Im vorigen Jahr haben wir noch 20 Jahre Bestehen gefeiert“, erzählt Kerstin Nößler. „Obwohl mein Mann das erst nicht wollte.“ Sie schluckt. „Gut, dass wir es gemacht haben.“ Der „Flyns“ hatte etliche Stammkunden, viele waren und sind Freunde der Wirtsleute. Das Lokal war in der Stadt berühmt für seine authentische handgemachte Küche, für Schlesisches Himmelsreich, Entenbraten, Schnitzel und Saumagen. Letzteren brachte Hauseigentümer Helmut Uhlmann manchmal mit, wenn er Görlitz besuchte. „Wir waren ein Familienbetrieb“, sagt Kerstin Nößler. Alle halfen mit. Bis hin zu ihrer Mutter Renate Nößler, die aus ihrem Garten den Tischschmuck beisteuerte. „Anders wäre es nicht gegangen. Wir hatten immer Spaß, trotz des Stresses.“ Sie und ihr Mann waren ein gutes Team, sagt sie, 24 Stunden am Tag zusammen.

Jetzt liegen neue Zeiten vor ihr. Sie arbeitet im Café Caré am Klosterplatz, verkauft Pralinen und Kaffee. Sie mag den Ort, die Produkte, die so lecker sind, wie sie sagt. „Aber das Kellnern fehlt mir schon.“ Die vielen Freunde tun ihr gut, die Hilfe ringsum. Die unzähligen liebevollen Briefe und Karten, die sie nach dem Unglück erreicht haben. Und die viele freie Zeit plötzlich. „Das gab es früher nicht.“ Immer wieder kämen Anfragen aus Gaststätten, die sie im Service beschäftigen wollen. Aber Kerstin Nößler möchte nicht mehr, die Wochenendarbeit, die wenige Zeit für Freunde. Jetzt sind ihr andere Dinge wichtig.

Das abrupte Ende des Lokals macht auch Helmut Uhlmann traurig. Ihm gehört das Haus seit 1989. Als Ruine hat er es gekauft, damals noch über seinen Neffen, weil es ihm rechtlich nicht so einfach möglich war, in der DDR ein Haus zu erwerben. Es jetzt zu verkaufen, fällt ihm nicht leicht. „Da hängt mein Herzblut dran. Ich habe fünf Jahre lang daran mitgebaut.“ Aber er fühlt sich inzwischen zu alt, wird bald 73 und lebt mehr als 600 Kilometer von Görlitz entfernt, nahe Mainz. Er möchte Görlitz nur noch genießen und keine Arbeit haben, wenn er seinen Bruder besucht, der hier lebt. Wäre der tragische Todesfall nicht passiert, hätte er trotzdem an einen Verkauf gedacht. Er hat viele Jahre gesehen, wie gut Kerstin Nößler und Torsten Gärtner das Lokal geführt haben. Er hat gern geholfen, alles eingerichtet, anfangs Wein und Bier geliefert. „Ich behandle die Kerstin wie meine Tochter.“

Jetzt ist ihm wichtig, dass das Haus in gute Hände kommt. Am besten in welche, die auch die Gaststätte weiterbetreiben. Damit der kleine Biergarten auf der anderen Straßenseite des Lokals nicht verloren geht, hat er vorübergehend die Pacht dafür übernommen. Und hofft auf eine baldige Lösung. „Ich hätte gar nicht gedacht, dass es in Görlitz so wenige Menschen gibt, die in der Gastronomie selbstständig sein wollen. Ich höre immer, das sei viel zu viel Arbeit.“ Also suchen er und die Maklerin weiter – und Kerstin Nößler steht bereit, bei Bedarf zu helfen. „Ich kenne dort ja jede Ecke genau.“

Wer noch Gutscheine vom „Flyns“ hat, kann sich bis 31. Oktober bei Kerstin Nößler melden, Langenstraße 2.