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Goldgräber im Wortschatz

Rainz und Miller rappen über Freundschaft und Loyalität, Tiefschläge und den Glauben an sich – mit Erfolg.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Dresden. Der Rüpel trägt Kapuzenshirt. XXL-Format. Jogginghose. Er hat die Kontrolle über sein Leben gewonnen. Die Denkerstirn unter den feinen blonden Haaren lässt ahnen: Da geht noch was. Mehr als Flegelei. Ehrlich gesagt, ist die ja nun auch schon gut ein Jahr her. Der aufmüpfige Kerl von einst heißt Karl. Künstlername Miller. Anfang August hat er sein erstes Album herausgebracht, zusammen mit seinem Kumpel, der so anders und doch seelenverwandt ist: Rapper Rainz, eigentlich Chris.

„Ich war der Liebe“, sagt der von sich und grinst. Früher sind die 16-Jährigen in eine Klasse gegangen. Da konnten sie noch nichts miteinander anfangen. Karl, der Querschläger, ging ja dann auch früher von der Schule ab. Chris nahm sein Fachabitur ins Visier. Funkstille – bis zu jener Party, auf der sich die Jungs wiedertrafen. „Ich wusste, dass sich Karl, wie ich, sehr für Rapmusik interessiert“, erzählt Chris. Allerdings für die falsche. Zumindest aus Sicht eines Kollegah-Fans. Karl indes schwor auf Fler. Mehr als ohne Vater groß geworden zu sein, haben die beiden Stars auf den ersten Blick nicht gemeinsam. Lange waren sie verfeindet – Fler, der seine Lehre schmiss, und Kollegah mit der Hochschulreife. Das Image des bösen Jungen, des Gangsters, wie es echte Rapper pflegen, macht ihm die Szene streitig. So lagen die beiden zumindest künstlerisch im Clinch. „Zur gleichen Zeit, als wir uns befreundet haben, vertrugen sich auch gerade Fler und Kollegah“, sagt Karl – für ihn ein Zufall mit besonderer Aura. Die Jungs spielten sich gegenseitig die Musik ihrer Idole vor, Karl nahm Chris mit zu einem Fler-Konzert. „Da hast du sogar Flers Hand berühren können“, erinnert er seinen Freund. „Dafür beneide ich dich immer noch.“

Aus dem Interesse für die gleiche Musikrichtung wurden gleichgesinnte Rapper. Die Veröffentlichung ihrer ersten eigenen Tracks, 15 Lieder, selbst gedichtet, aufgenommen und abgemischt, war ein riesiges Erfolgserlebnis und ein Kraftakt. „Ich habe bis sechs Uhr morgens noch an unserem Album gearbeitet und es hochgeladen, ohne überhaupt geschlafen zu haben“, erzählt Chris. Wochen und Monate zuvor hatten sich die Freunde in jeder freien Minute getroffen. Meistens textet Karl, Chris kennt sich mit der Aufnahmetechnik aus.

„Miller ist mein Name, und der Name steht für Konsequenz“, rappt Karl im Song Halleluja. Erzählt darin, wie unklar es lange war, ob er seinen Schulabschluss schaffen würde: „Hab mich bis zum Tod geschämt... Kippe angeknipst und wusste nicht wie’s weitergeht.“ Es ging weiter. Schlechte Erinnerungen hat Karl an die Zeit, als er mit 15 Jahren und Hauptschulabschluss einen Ausbildungsplatz suchen musste. „Wochenlang ist eine Absage nach der anderen reingekommen“, sagt er. „Das war echt hart“. Da saß er dann beim Berufsberater, der ihm den Tipp gab, es mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr zu versuchen. Was ohne große Begeisterung begann, mündete in einen Berufswunsch. Ein Jahr lang arbeitete Karl in einer Kita. „Es lief so gut, und ich habe eine so gute Beurteilung bekommen, dass es dumm wäre, nichts daraus zu machen.“

Karl hat gerade eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer begonnen. Die will er gut genug abschließen, damit ihm der Realschulabschluss zuerkannt wird und er sich auf die Zielgerade zum Erzieherberuf begeben kann. Ein konsequenter Plan. An dem soll nichts rütteln, nicht mal entdeckt zu werden und groß rauszukommen.

Vom großen Erfolg träumt auch Chris, der nach dem Abi die Berufsakademie besuchen und ein technisches Fach studieren will. „Das machen wir auf jeden Fall zu Ende“, sagen die Jungs. Und ob der große Durchbruch nun noch in diesem Jahr oder erst in fünf Jahren kommt – das liegt ja nicht allein in ihrer Hand. In den Herbstferien wollen Rainz und Miller das nächste Album angehen. Über fünf Ecken haben sie einen zarten Kontakt zur KMN-Gang, die momentan nicht unumstritten ist, was ja doch irgendwie zur Szene gehört. Vor allem aber ist die Dresdner Rapper-Gang um den Sänger Nash sehr erfolgreich. Mit ihnen einen Song aufnehmen zu können, das wäre fett, wie Rapper sagen. Sogar Rap-Star Bushido habe schon in Rainz‘ und Millers Musik reingehört. „Der findet, dass wir Talent haben“, sagt Karl. Direkt habe er ihm das zwar nicht gesagt, aber so sei es ihm erzählt worden.

Unermüdlich wird er zusammen mit Chris Beats aus dem Netz picken, solche, deren Weiterverarbeitung erlaubt ist. Eine eigene Produktion übersteigt das Budget der Teenager. „Wir verschmelzen alte und aktuelle Rap-Stile und verbinden sie mit unseren eigenen Ideen.“ Auf diese Weise finden Rainz x Miller, wie sie sich für ihr aktuelles Album nennen, ihren eigenen Stil. Zum Beat überlegen sie sich Themen für ihre Texte – mal typisch gossige Anfeindungen, mal weniger deftige Verse über Dinge, wie sie ihr Leben schreibt. Um Loyalität und Freundschaften, die wirklich zählen, geht es da zum Beispiel und um den Ekel vor Leuten, die sich anbiedern, um vom Erfolg anderer abzustauben.

Bestmöglich müssen die einzelnen Silben der Wörter auf den Takt der Musik passen. Rhythmik und Reim, darauf kommt es an. Mal extrem lange, mal knackig kurze Gleichklänge, Hauptsache originell und überraschend. Synonyme und Vergleiche finden, die weder verbraucht noch albern sind – Goldgräberei im Wortschatz und bis zu den eigenen, noch jungen Wurzeln.