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Gorbi frustriert von enttäuschter Hoffnung

Als einer der "Väter der Einheit" meldet sich Michail Gorbatschow vorm Mauerfall-Jubiläum zu Wort. Er sieht eine "ganze Lawine von Problemen", auch mit Russen.

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Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, im Januar 2018.
Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, im Januar 2018. © -/kyodo/dpa

Von Ulf Mauder

Moskau. Bei den Feiern zum 30. Jahrestag des Mauerfalls wird der Friedensnobelpreisträger und Ex-Sowjetpräsident Michail Gorbatschow fehlen. Dem 88-Jährigen geht es gesundheitlich schon seit längerem nicht so gut. Trotzdem meldet er sich aus seiner Moskauer Heimat zu Wort. In seinem neuen Buch "Was jetzt auf dem Spiel steht", das am Montag erschien, widmet er sich den neuen Gefahren in der Welt - und auch den deutsch-russischen Beziehungen. Viele Hoffnungen von einst sieht "Gorbi", wie die Deutschen den sowjetischen Staats- und Parteichef vertraut nennen, enttäuscht.

Zum Jubiläum der friedlichen Revolution in der DDR und zum Fall der Berliner Mauer blickt der Politiker in dem Buch (Siedler Verlag) beunruhigt auf den Zustand der Welt: "Politiker und Medien erzeugen eine Atmosphäre der Feindseligkeit und Feindschaft." Die alten Feindbilder des Kalten Krieges kehrten zurück. "Russland und den Russen wird erneut die Rolle des Schreckgespenstes zugewiesen."

Enttäuscht äußert Gorbatschow sich über das "Triumphgehabe" des Westens. Darüber etwa, dass die Deutschen mit der EU und den USA im Ukrainekonflikt weiter eine Politik der Sanktionen gegen Russland fahren. "Das erkla?rte Ziel ist es, Russland zu bestrafen." Die Strafmaßnahmen für die Annexion der Krim von 2014 will "Gorbi" ebenso wenig einfach hinnehmen wie der Kreml. "Denn die Sanktionen haben nur eine einzige Wirkung: Die gegenseitige Entfremdung nimmt zu."

Anderes von Deutschen erwartet

Dabei unterstützt der Ex-Präsident die aktuelle Kremllinie, dass die Schwarzmeer-Halbinsel Krim 1954 gegen den Willen der Menschen der ukrainischen Sowjetrepublik übertragen worden sei. Als sich 1991 das sowjetische Imperium auflöste, sei die Krim-Frage vergessen worden, meint er als Zeitzeuge. In Russland sieht sich Gorbatschow, der einst mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) Reformen anstieß, bis heute als Totengräber der Sowjetunion in der Kritik.

Wie sein Buch "Das neue Russland" von 2015 ist auch dieses eine Art Versuch, seinen Frieden mit der Heimat zu machen. Und es schwingt deutlich mit, dass er von den Deutschen angesichts der gemeinsamen Geschichte - die positive Rolle Moskau bei der deutschen Vereinigung und die Befreiung vom Hitlerfaschismus - anderes erwartet hätte, als in den antirussischen Chor des Westens einzustimmen. Und einmal mehr kritisiert er, dass die Nato und die EU seit Jahrzehnten zunehmend in die Interessensphäre Russlands vordrängen.

Dank und Verständnis für Russland wünscht sich "Gorbi" von den Deutschen. Doch Kritiker dürften ihm entgegen halten, dass auch das ukrainische Volk als Teil der Sowjetunion im Kampf gegen Hitler für die Befreiung Deutschlands geblutet hat. Aus deutscher Sicht hat die Ukraine, die weiter Anspruch auf die Krim erhebt, daher den gleichen Dank und Respekt verdient.

Einfache Lösungen gibt es nicht

Gorbatschow geht es aber um mehr als um diesen Konflikt. Er sieht vor allem die Demokratie in einer Krise. Er warnt vor den Populisten, die einfache Lösungen versprächen, obwohl es die in der Politik nicht gebe. Er schreibt über Globalisierung und Klimapolitik. Und er wünscht sich eine neue Stärkung linker Ideen für eine solide Sozialdemokratie, die für ihn bis heute "Leitstern" geblieben ist.

Treu bleibt er sich nicht zuletzt auch in seinen Appellen für die Freiheit in seiner Heimat. Einerseits fordert er mit Blick auf die jüngste Polizeigewalt in Russland gegen demonstrierende Andersdenkende die Regierenden auf, nicht immer alles im Keim zu ersticken. Er kritisiert Wahlen ohne echte Wahl, bei denen das Ergebnis im Vorfeld feststehe. Andererseits belehrt er den Westen - allen voran die USA -, dass Demokratie nicht verordnet oder mit Panzern und Gewalt eingeführt werden könne.

"Es ist an der Zeit, den Zwang zur Demokratie aufzugeben, den Menschen Freiheit zu gewa?hren, eine eigene Wahl zu treffen, die ihrer Kultur, Mentalita?t und Tradition entspricht", fordert Gorbatschow. Dabei lobt er auch die Entwicklung in seinem Land unter Präsident Wladimir Putin. Angesichts der laut Verfassung letzten möglichen Amtszeit rät er dem Kremlchef aber auch, über die Zukunft nachzudenken. Die Stabilität eines Staates hänge auch davon ab, "dass immer wieder neue Kra?fte die Politik beleben", betont Gorbatschow. "Sonst drohen Tra?gheit, Stagnation und politische Apathie." (dpa)