Von Ulrich Wolf
Dresden. Was hat Thomas Giesen in seinem Juristendasein nicht schon alles gemacht: Elf Jahre lang war er Sachsens oberster Datenschützer. Er hat sich mit einem Wissenschaftsminister angelegt, die Fluthilfe-Affäre des früheren Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg ausgelöst und den Freistaat im Auftrag der Gewerkschaft der Polizei erfolgreich verklagt. Er hat für die Grünen als Gutachter zur neuen Wachpolizei gearbeitet und für die CDU im Skandal um den Leipziger Ex-Finanzbürgermeister Peter Kaminski.
Giesen saß als Experte in der Kommission zur sächsischen Verwaltungsreform, baute für die EU in Lettland und als Konzernbevollmächtigter bei der Leipziger Skandalfirma Unister den Datenschutz auf. Er ist Vorstand des Instituts für Informationsordnung - und natürlich immer noch Rechtsanwalt. Auch mit mittlerweile nun 70 Jahren. Eine Expertise zum sexuellen Missbrauch von Kindern stand jedoch noch nie auf seinem Programm. „Ich weiß nicht, warum ich ausgewählt worden bin“, kokettiert Giesen auf der Pressekonferenz der Sächsischen Schlösser-, Burgen- und Gärtenverwaltung gGmbH (SBG). Die Gesellschaft ist Eigentümerin der Dresdner Parkeisenbahn, eine Institution in der Landeshauptstadt, die seit einem Jahr durch das Bekanntwerden eines schweren Missbrauchsfalls erschüttert wird. Und Giesen soll als externer Gutachter bei der Aufarbeitung helfen: Wer hat wann von was gewusst?
Immerhin konstatiert SBG-Chef Christian Striefler Giesen eine „lange Expertise im Sexualstrafrecht“. Der Gutachter selbst beruft sich auf „mehr als 100 Sexualstrafprozesse“, in denen er als Verteidiger gesessen habe. Im Vordergrund aber habe bei dem Thema Parkeisenbahn und Missbrauch sicher „der Umgang mit Informationen in diesem sensiblen Thema“ gestanden. Und so sei die Initiative zu den Gesprächen mit tatsächlich oder vermeintlichen Opfern „nie von meiner Seite ausgegangen“. Basis seines Gutachtens sei die Auswertung von Fragebogen gewesen. 173 seien an Parkeisenbahnkinder verschickt worden, 120 an ehemalige Parkeisenbahner. Aus der ersten Gruppe hätten 82 geantwortet, aus der zweiten 23. Zudem seien Gespräche mit dem Parkeisenbahn-Management geführt worden.
Giesens vorläufiges Resümee: „Es gab - Gott sei Dank - nur einen gravierenden Fall.“ Ein geringfügig Beschäftigter des Bahnbetriebs habe jahrelang einen Jungen sexuell missbraucht und ausgenutzt. Weitere Beschuldigungen gegen den im Mai 2016 gestorbenen Täter seien von „mindestens zwei Seiten“ erhoben worden, hätten aber nicht verifiziert werden können. Eine ehemals leitende Angestellte habe sich falsch verhalten, weil sie ein Gespräch darüber nicht dokumentiert habe. 2012 soll es zu „einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr“ zwischen einem Mitarbeiter und einer 15-Jährigen gekommen sein, was aber nicht zur Anzeige kam. 2013/14 sei es zu „Grenzverletzungen“ durch zwei Parkeisenbahner gekommen, „die allerdings strafrechtlich nicht relevant waren“. Im vorigen Jahr habe ein Eisenbahner Jüngere belästigt, indem er sie um intime Fotos bat und teilweise auch verschickte. Die Parkeisenbahn habe sich von all diesen Mitarbeitern getrennt, trotz einiger weiterer anonymer Vorwürfe und Mutmaßungen sei ein „institutionelles Versagen“ oder gar eine „systematische Vertuschung“ bislang nicht festzustellen.
Klar hingegen sei, dass bei dem Bahnbetrieb die Pädagogik hinter den technischen Aspekt zu kurz gekommen sei. Bis 2018 soll nun ein verbindliches Kinderschutzkonzept erstellt werden. Die SBG will einen Pädagogen einstellen sowie eine Kinder- und Elternvertretung einrichten. Privatausflüge von Mitarbeitern mit Kindern werden gestrichen, Alkoholverbot und Beschwerdemanagement sind bereits eingeführt. Unter anderem deshalb müssen alle Parkeisenbahner mit Beginn der am 9. April startenden neuen Saison Namensschilder an ihrer Uniform tragen.
Der Vater des Missbrauchsopfers reagierte auf das Gutachten enttäuscht. Die Schlussfolgerung, es handle sich um einen Einzelfall, sei „etwas voreilig“. Insbesondere zu den Vorkommnissen von 2014 habe er sich mehr Informationen zur Rolle der Verantwortlichen gewünscht. Für das Gespräch mit dem Gutachter Giesen habe er sich zwar bedankt, doch sein Sohn habe sich dabei nicht ernstgenommen gefühlt. Von Details zum Täter habe Giesen nichts wissen wollen. Der Gutachter bestätigte dies. „Das war mir zu intim“, sagte er. Ansonsten sei das Gespräch „ganz hervorragend verlaufen“.
››› Brief des Missbrauchsopfers auf der Webseite der Elterninitiative Parkeisenbahn