Weißwasser
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Grenzen für fast alle Berufspendler dicht

Polen hat seine Corona-Bestimmungen verschärft – mit weitreichenden Folgen für hiesige Unternehmen.

Von Frank Thümmler & Maximilian Helm & Frank-Uwe Michel
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Donnerstagnachmittag: War das die letzte Schicht für Slawek und Thomas aus Polen bei der Stölzle Lausitz GmbH in Weißwasser? Nein, sie arbeiten weiter. Sie wohnen in Görlitz und müssen fürs Erste nicht in ihre Heimat. Nicht alle können das Problem so leic
Donnerstagnachmittag: War das die letzte Schicht für Slawek und Thomas aus Polen bei der Stölzle Lausitz GmbH in Weißwasser? Nein, sie arbeiten weiter. Sie wohnen in Görlitz und müssen fürs Erste nicht in ihre Heimat. Nicht alle können das Problem so leic © Joachim Rehle

Polen hat die Grenze ab Freitag, 0 Uhr, auch für auch für Berufspendler dichtgemacht. Wer danach nach Polen einreist, muss nahezu ausnahmslos in eine 14-tägige Quarantäne, kann also am nächsten Tag die Grenze für die Arbeit in Deutschland nicht erneut passieren. Für den Landkreis Görlitz hat das große Auswirkungen. Viele Polen leben zwar hier, doch Hunderte, wenn nicht Tausende wohnen auf der polnischen Seite und pendeln täglich nach Deutschland zur Arbeit. Das betrifft viele Unternehmen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, aber auch Unternehmen. Besonders in Görlitz kommen auch viele Zusteller der SZ aus Polen und pendeln täglich. Polens Innenminister Mariusz Kaminski sagte am Mittwoch in Warschau: „Nur noch bis Freitag können Menschen, die auf der anderen Seite der Grenze arbeiten, diese frei überqueren.“ Man könne nicht zulassen, dass Polen regelmäßig in ihre Heimat aus solchen Ländern zurückkehren, wo die Infektionsrate höher sei.

Diese Entscheidung trifft besonders den medizinischen Betrieb im Landkreis Görlitz schwer. In deutschen Krankenhäusern arbeiten zahlreiche polnische Ärzte und Pflegekräfte, viele sind Pendler. Dass diese nun ausgerechnet während der Pandemie ausfallen, ist problematisch.

Kommunale Krankenhäuser haben Problem weitgehend gelöst

Die kommunalen Krankenhäuser des Landkreises Görlitz, zu denen auch das Kreiskrankenhaus Weißwasser gehört, sind nach eigenen Angaben gut gewappnet. Für die tschechischen und polnischen Ärzte konnte vor dem Hintergrund der erheblichen Reisebeschränkungen kurzfristig Unterkunft bereitgestellt werden – dies allerdings nur, weil sie sich in ganz großer Mehrheit bereit erklärt hatten, unter Zurückstellung persönlicher Interessen vor Ort zu verbleiben. Aufgrund der ab Freitagnacht gültigen neuen Ausnahmegenehmigung für Pendler wird die Unterkunft aktuell nur noch für einen polnischen Kollegen benötigt. Der Kaufmännische Geschäftsführer Andreas Grahlemann sagt: „Es muss besonders betont werden, dass unsere ausländischen Mitarbeiter trotz der sich fast täglich ändernden Einreisebedingungen extrem bemüht sind, ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen bei uns in Deutschland nachzukommen und dafür auch große persönliche Einschränkungen in Kauf nehmen.“

Der Landkreis Görlitz kündigt indes an, alle Träger des Gesundheitswesens bei der Suche nach Unterkünften für polnische Mitarbeiter, die vorerst in Deutschland bleiben wollen, zu unterstützen. Um den Bedarf zu ermitteln, führt das Landratsamt Görlitz heute eine Abfrage aller Institutionen im Gesundheitsbereich durch.

Pflegeunternehmen jetzt erst recht im Krisenmodus

Auch Pflegeeinrichtungen sind betroffen. Eines der größten Unternehmen in diesem Bereich im Landkreis ist das Weißwasseraner Familienunternehmen Kunze mit rund 500 Mitarbeitern, das von ambulanter Pflege und betreutem Wohnen bis hin zur stationären und Intensivpflege eine nahezu komplette Palette aller möglichen Leistungen anbietet. Knapp ein Zehntel der Mitarbeiter pendelt täglich aus Polen ein. Geschäftsführer Mathias Krause sagt: „Wir befinden uns seit über 14 Tagen sowieso schon im Krisenmodus. Jetzt kommt diese einschneidende Maßnahme hinzu. Den Wegfall der polnischen Mitarbeiter zu kompensieren, würde mindestens in bestimmten Fachbereichen sehr schwer. Wir haben nach Räumlichkeiten gesucht. In Weißwasser haben wir ja mit der Turmvilla ein eigenes Hotel, in Görlitz haben wir Ferienwohnungen organisiert.“ Einige Mitarbeiter nehmen das Angebot in Anspruch. Die Belastung für sie, die Weiterarbeit bedeutet ja auch die zeitweise Trennung von der Familie, wäre natürlich erheblich. „Ich hoffe, dass diese Beschränkungen bis Ostern wieder weg sind“, sagt Kunze.

Weißwasseraner Unternehmen nicht extrem betroffen

Die Betroffenheit von der Grenzschließung für polnische Pendler scheint in der Region um Görlitz stärker ausgeprägt als im Norden des Landkreises. Bei Stölzle in Weißwasser zum Beispiel sind 27 der rund 400 Mitarbeiter Einpendler aus Polen. „Sie hatten ja schon ein Problem, als sie wegen der Staus an den Grenzübergängen erst nach stundenlanger Wartezeit wieder nach Hause gekommen sind.“, sagt Pressesprecher Thomas Schmidt. Schon da seien Ersatzmaßnahmen getroffen worden, wie auch jetzt. Die Produktion sei durch den zeitweisen Ausfall dieser Mitarbeiter nicht gefährdet. Bei Reinert Logistics in Mulkwitz hofft man, dass sich die Auswirkungen in Grenzen halten. Denn in den Bestimmungen steht: Ausnahmen von der Quarantäne gelten ab dem 27. März nur noch für Fahrer im Personen- und Güterverkehr. Die polnischen Fahrer müssten also die Grenze in beiden Richtungen passieren dürfen. Eine Unsicherheit gibt es aber noch: Gilt diese Regelung nur für diejenigen, die bereits in einem Transporter sitzen oder auch für die, die zum Beispiel im eigenen Pkw zu einem Transporter fahren oder auf der Heimreise von ihm kommen? Inhaber und Geschäftsführer René Reinert ärgert sich über eine ganz andere Entscheidung der Bundesregierung: „Da wurde beschlossen, dass es ab sofort auch für osteuropäische Logistikunternehmen keinerlei Beschränkungen mehr in Deutschland gibt. Wahrscheinlich hatte man Angst, dass die Transportkapazitäten nicht ausreichen. Dabei sind eine ganze Menge Transporte weggefallen. Und der Konkurrenzkampf um das, was übrig bleibt, ist jetzt noch größer geworden.“

Auch bei Willms-Fleisch in Weißwasser arbeiten relativ viele polnische Mitarbeiter. „Selbstverständlich spüren auch wir die Auswirkungen der Grenzschließung. Wir erwarten Einschränkungen innerhalb unseres Produktionsbetriebs, haben jedoch Maßnahmen eingeleitet, die dazu führen, dass der Normalbetrieb kurzfristig wieder hergestellt wird“, sagt Pressesprecher Christian Wolfram.

Probleme bei Kodersdorfer Firmen viel größer

Bei HS Timber Productions kommen bis zu 30 Prozent der aktuell rund 450 Mitarbeiter aus dem Nachbarland. „Unter diesen Umständen können wir nicht auf Dauer so weitermachen wie bisher“, schätzt Betriebsleiter Thomas Kienz die Lage ein. Bisher habe man den teilweise stockenden An- und Abtransport von Rohmaterial und Fertigprodukten noch kompensieren können. „Wenn uns aber ein Teil der Arbeitskräfte fehlt, müssen wir den Produktionsprozess verändern.“ Konkret meint Kienz damit die Reduzierung der Schichten und die Herstellung von Erzeugnissen, die weniger personalintensiv sind. Einen finalen Plan gebe es noch nicht. Dafür sei die Entscheidung der polnischen Regierung zu überraschend gekommen.

Noch differenzierter stellt sich die Situation bei Borbet Sachsen dar. Hier liegt der Anteil der polnischen Beschäftigten an der Gesamtbelegschaft von rund 580 Mitarbeitern bei etwa 40 Prozent. Parallel zu dem sich ankündigenden Arbeitskräftemangel ist der Absatz an Leichtmetallfelgen aktuell nahezu zusammengebrochen. Weltweit haben die Hersteller ihre Bänder angehalten, brauchen deshalb momentan auch keine Räder. Seit Montag wird die Produktion bei Borbet Sachsen deshalb heruntergefahren. Ob bis zum totalen Stillstand, steht noch nicht fest.

Drei Praxen am MVZ Martinshof in der Schwebe

Extrem betroffen könnte das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) des Rothenburger Martinshofes sein. Hier gibt es mehrere polnische Ärzte, die zum Teil auf der deutschen, aber auch auf der polnischen Seite leben. Aufgrund der Pendler sind drei der sechs Praxen ab Montag von der Schließung bedroht. Am Freitag werden hier keine Patienten behandelt. Ehe Entscheidungen getroffen werden, „wollen wir erst mit den polnischen Kollegen reden“, erklärt Dr. Peter Tzschoppe, der ärztliche Leiter des MVZ. Möglicherweise helfe es, Übernachtungskapazitäten zu schaffen. „Wir werden darum kämpfen, dass die Praxen geöffnet bleiben.“

Derweil kritisiert die Industrie- und Handelskammer Dresden (IHK) den Fokus auf den Gesundheitsbereich. Der Freistaat hatte am Dienstag angekündigt, jedem im Gesundheitsbereich tätigen tschechischen Pendler 40 Euro am Tag zu zahlen, wenn er seinen Lebensmittelpunkt zeitweise nach Sachsen verlegt. „Die von der Staatsregierung angekündigte Unterstützung für tschechische Pendler muss auf alle Branchen ausgeweitet werden“, sagt Hauptgeschäftsführer Detlef Hamann, der sich auch klar dafür ausspricht, die Regelungen auf polnische Pendler auszuweiten.

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