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Großalarm in Seerhausen

Kurz nach 13 Uhr ist im ganzen Ort ein Knall zu hören. Dann geht die Sirene los – zum Glück nur übungshalber.

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© Sebastian Schultz

Von Christoph Scharf

Stauchitz. Der Himmel über Seerhausen ist grau, ein schwacher Wind weht durchs Gewerbegebiet. Der Verkehr von der Bundesstraße ist kaum zu hören. Aus dem Nichts zerreißt ein heftiger Rumms die Ruhe. Nico Schirmer wählt per Mobiltelefon den Notruf: „Bei uns hat es eine Explosion gegeben“, sagt der Geschäftsführer des Unternehmens Tiernahrung Seerhausen. In den Hallen des Betriebs gibt es eine Mühle, in der tonnenweise Getreide verarbeitet wird. Das Areal ist als explosionsgefährdet deklariert. Genau dort hat sich verwirbelter Staub entzündet – und es knallt.

Qualm von unten: Ein Pyrotechniker sorgte für dicke Luft und Detonationen.
Qualm von unten: Ein Pyrotechniker sorgte für dicke Luft und Detonationen. © Sebastian Schultz
Hilfe vom Experten: Die Johanniter-Unfallhilfe versorgte scheinbare Opfer.
Hilfe vom Experten: Die Johanniter-Unfallhilfe versorgte scheinbare Opfer. © Sebastian Schultz

Das ist zumindest das Szenario einer Großübung, die am Mittwochmittag im Stauchitzer Ortsteil und darüber hinaus für Aufsehen sorgt. Denn weil von sieben Vermissten die Rede ist, alarmiert die Leitstelle in Dresden gleich eine ganze Reihe Feuerwehren. Nur einen Augenblick später – es ist 13.13 Uhr – heult die Sirene im Ort. Bei Feuerwehrleuten von Riesa bis Oschatz gehen gleichzeitig die Pieper los.

Gut acht Minuten später treffen die ersten Kameraden ein – die Ortswehr Seerhausen hat den kürzesten Weg. Über den Hof des Tiernahrungs-Spezialisten wälzt sich grauer, dichter Rauch. Dann rollen auch schon die Drehleitern aus Riesa und Oschatz an. Es knallt schon wieder: Der Nossener Pyrotechniker Steffen Post sorgt dafür, dass die Übung möglichst realistisch wird.

Und tatsächlich kommt bei den Feuerwehrleitern schnell echter Stress auf. Da werden Trupps eingeteilt, Atemmasken aufgesetzt, Schläuche verlegt, Leitern ausgefahren. In einem roten Kleinbus mit Satellitenschüssel auf dem Dach stellt man die Datenverbindung mit der Leitstelle in Dresden her. Ein eilig aufgebautes Notstromaggregat sorgt lärmend für Strom. „Beeindruckend, was die Feuerwehrleute in ihrer Freizeit leisten“, sagt Nico Schirmer, der sich nach dem Absetzen seines Notrufs mit einer Handvoll Mitarbeiter an den Rand des Firmengeländes zurückgezogen hat.

Die Belegschaft ist längst nicht vollständig: Sieben Mitarbeiter sind noch irgendwo im Gebäude verschollen – so will es das Szenario der Übung. Demnach hat die erste Explosion das Dach des Gebäudes großflächig aufgerissen, durch Staubverwirbelungen kommt es zu weiteren heftigen Explosionen und Bränden. Die Flammen breiten sich aus, die Wucht der Explosion hat – fiktiv – in der Produktion nebenan Teile des Gebäudes herausgerissen.

Dorthin arbeiten sich jetzt in Zweiertrupps die Feuerwehrleute mit Sauerstoffflaschen auf dem Rücken vor. Unter den Atemmasken sind die Kameraden kaum zu erkennen. Gleichzeitig wird von zwei Drehleitern herunter Wasser auf das Dach des Flachbaus gespritzt. Längst ist auch die Katastrophenschutz-Einheit von der Johanniter-Unfallhilfe Riesa da.

Die zwölf Ehrenamtler inklusive einer Ärztin bekommen gleich etwas zu tun: Schon tragen vier Feuerwehrleute auf einer Trage den ersten „Verletzten“ aus dem Firmengebäude heraus. Ein angehefteter A-4-Zettel auf der Brust verrät, was die Opfer haben: Ein gebrochener Unterschenkel ist darunter, zwei Oberarmfrakturen, Gesichtsverletzungen. Bei drei Mitarbeitern kommt jede Hilfe zu spät. Sie tragen die Aufschrift „Exitus“ auf der Kleidung.

Der letzte Verletzten-Darsteller wird erst nach 14 Uhr gerettet. Schwitzend und kaputt ziehen sich die Feuerwehrleute die Atemmaske vom Kopf. Das Fazit? „Wir haben ein paar Mängel festgestellt, aber grundsätzlich hat das Zusammenarbeiten gut funktioniert“, sagt der Stauchitzer Gemeindewehrleiter Heiko Findeisen. Allerdings ist die Zahl der erschienenen Feuerwehrleute viel zu gering: Statt der erforderlichen 62 Kräfte sind nur 28 angerückt. So war es etwa unmöglich, für jeden Zweiertrupp, der mit Atemmasken ins Gebäude vorrückte, den vorgeschriebenen Reservetrupp bereitzuhalten. Zwei alarmierte Ortswehren sind gleich gar nicht erschienen – offenkundig mangels Personal.

Laut Gemeindewehrleiter und Bürgermeister wäre im Ernstfall vor allem die Tageseinsatzbereitschaft ein echtes Problem. Um dem abzuhelfen, arbeiten die Feuerwehren in der Region längst daran, die Zusammenarbeit zu verbessern – Großübungen inklusive.