"Ein absolutes Desaster für Mensch, Wirtschaft und Tiere"

Großenhain. Die CDU-Frau aus Rheinland-Pfalz dürfte jetzt gerade ganz andere Sorgen haben. Am Wahlsonntag gewissermaßen nur knapp in den Bundestag hinein- und als Partei-Landesvorsitzende abgewählt, macht sich die bisherige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner wohl gerade mehr Gedanken um morgen als um das von ihr auf den Weg gebrachte Gestern.
Ganz anders dagegen Christian Riedel. Der langjährige Inhaber des Geflügelhofes Großenhain - vor zwei Jahren hat der 69-Jährige die Geschäfte des von der Pike aufgebauten, bundesweit namhaften Unternehmens, an Sohn Alexander übergeben - hat schwer an den geistigen Hinterlassenschaften von Klöckner zu kauen. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Geflügelwirtschaftsverbandes (GWV) Sachsen plagt er sich nach eigenem Bekunden nämlich mit den Auswirkungen jenes Gesetzes zum Verbot des Tötens männlicher Küken, das unter der Ministerin mit Trommelwirbel im Frühjahr verabschiedet worden ist. Woran es nach Meinung des Experten hakt, erfuhr die Sächsische Zeitung im Gespräch mit Christian Riedel.
Herr Riedel, als das Gesetz im Frühsommer den Bundestag passierte, sprach Frau Klöckner von einem Meilenstein. Wieso können Sie in den Jubel nicht mit einstimmen?
Weil es nur die eine Seite der Medaille ist! Deutschland wird seiner viel gepriesenen Vorreiterrolle gerecht und will als erstes Land mit diesem Gesetz das Töten von männlichen Eintagsküken verbieten. Während die Nation angesichts von Bildern flauschiger Küken im Kopf nun sofort begeistert Zustimmung signalisiert, wird darüber jedoch völlig vergessen, dass dies ein wirtschaftlicher K.-o.-Schlag für unsere deutschen Geflügelhaltungsbetriebe ist. Denn per Gesetz wird mit einem Schlag gewissermaßen das Wettbewerbsrecht ausgehebelt, da innerhalb der Europäischen Union weiter Eier aus Brütereien verkehren, die männliche Küken am ersten Lebenstag töten.
Wer nur an jene flauschigen Küken, das leckere Frühstücksei oder das gut gebräunte Hähnchen vom Grill denkt, kennt auch nur eine Seite der von Ihnen zitierten Medaille. Was hat es mit dem Kükentöten auf der anderen Seite auf sich?
Nun, früher war es in landwirtschaftlichen Betrieben so, dass die Hennen für die Eierproduktion und die männlichen Tiere für das gebräunte Hähnchenfleisch vom Grill gehalten wurden. Mitte des letzten Jahrhunderts wurde dann schon damit begonnen, die Hühner aus zwei unterschiedlichen Gründen zu züchten. Mittlerweile verbrauchen Deutsche pro Jahr satte 12,9 Milliarden Eier. Für die Produktion werden fast 43 Millionen speziell für diesen Zweck gezüchtete Legehennen gehalten. Rassen, die als Hochleistungstiere tatsächlich nur zum Legen von Eiern da sind.
Aber es gibt auch jene, die gemästet werden, damit ordentlich Fleisch angesetzt wird. Nun ist das Problem, dass die männlichen Küken der Legehühnerrassen keine Eier legen, sie zu mästen sich aufgrund ihrer genetischen Veranlagung aber auch nicht lohnt. Dafür wurden ja auf lange Sicht die Masthühnerrassen gezüchtet, die schnell das gewollte Fleisch ansetzen. Aus diesem Grund werden die männlichen Brüder der Legehennen in aller Regel direkt nach dem Schlüpfen getötet.
Und das sind laut Statistik ja immerhin rund 45 Millionen im Jahr. Mittelständische Betriebe wie der Großenhainer Geflügelhof werden da ab Januar doch sicher schnell an ihre räumlichen Kapazitäten kommen, oder?
Das auch. Die müssen dann eben vorgehalten werden, und zwar doppelt so viel Stallfläche, wie es deutschlandweit bisher gibt. Aber die Frage ist doch letztlich auch, was soll mit all den Bruderhähnen letztlich geschehen? Mehr Küken bedeuten auch mehr Schäden und Umweltbelastung. Frau Klöckners Erbe ist absolut nicht durchdacht!
Was zur Frage führt, dass im Gesetz auch die Rede davon ist, männliche Küken gar nicht erst schlüpfen zu lassen. Ist die Geschlechterbestimmung vorab keine Option?
Wäre sie, selbstverständlich wäre sie das! Aber auch da ist Deutschland gedankenlos vorgeprescht, indem im bisherigen Bundestag ein Gesetz verabschiedet wurde, das Verfahren zur Geschlechterbestimmung im Ei nur bis zum sechsten Tag gestattet sein sollen. Alle momentan marktreifen Verfahren sind aber gegenwärtig auf den Zeitraum 9. bis 15. Bebrütungstag ausgelegt. Laut Frau Klöckner wäre davon auszugehen, dass eine Bestimmung vor dem 7. Bruttag ab Ende 2023 möglich wäre. Und genau da klafft das Problem: eine gewaltige Lücke von gut zwei Jahren!
Herr Riedel, wie sollen sächsische Betriebe diese Lücke praktisch ausfüllen? Wohin mit all den zusätzlichen Küken?
Ich denke, - und darin besteht auch meine große Sorge - dass nicht jedes Unternehmen der neuen Situation wirtschaftlich standhalten kann! Allein die Aufzucht eines Bruderhahnes mit Getreide ist nahezu fünfmal so teuer wie die eines herkömmlichen 1,6 Kilogramm schweren Broilers. Kosten, die freilich umgelegt werden müssen, deshalb steigen die Eierpreise momentan um drei bis vier Cent.
Darüber hinaus geraten Brütereien mächtig in die Bredouille, da sie bisher ja weibliche Tiere an Unternehmen wie den Großenhainer Geflügelhof und eingeschläferte männliche Küken an Falknereien und Zoos zum Verfüttern verkauft haben. Und zwar nicht wenige! Insgesamt wurden bundesweit gut 34 Millionen Bruderhähne an derartige Einrichtungen veräußert. Nun wird in diesen darüber nachgedacht, tiefgefrorene Tiere aus dem Ausland einzukaufen beziehungsweise Mäuse und Ratten zum Zweck der Verfütterung zu züchten.
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass es aber gleichsam für die Brütereien keine Alternative gibt und diese nicht wissen, wohin mit den Bruderküken, ist das doch völliger Nonsens! Gleichsam heben angesichts von langwierigen Baugenehmigungsverfahren für Stallfläche und gegenwärtigen Engpässen an Baumaterial namhafte Aufzuchtbetriebe nur hilflos die Hände. Wenn Sie mich fragen, ein absolutes Desaster! Und zwar für Mensch, Wirtschaft und Tiere!