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Heimbewohner hängen im Coronamodus fest

Einkaufen, essen gehen und Schulbesuch: Während ringsum das Leben auf Normalmodus schaltet, müssen Seniorenheime noch auf die Bremse treten.

Von Catharina Karlshaus
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Auch wenn sie manches gern anders machen würde: Angesichts der Coronabestimmungen sind der Leiterin des Großenhainer Seniorenzentrums „Helene Schmieder", Anja Oertel, die Hände gebunden.
Auch wenn sie manches gern anders machen würde: Angesichts der Coronabestimmungen sind der Leiterin des Großenhainer Seniorenzentrums „Helene Schmieder", Anja Oertel, die Hände gebunden. © Kristin Richter

Großenhain. Ja, ist das denn die Möglichkeit? Die 69-jährige Großenhainerin kann es nicht fassen. Ihr Nachbar schaue seit Tagen gemeinsam mit Kumpels Fußballspiele an. Sie selbst könne ungehindert einkaufen gehen und in den Zeitungen habe sie vom normalen Unterrichtsbetrieb gelesen, der Kindern jeglichen Alters nach dem Lockdown endlich wieder vergönnt sei. Sporttreiben im Verein, Schnitzel im Restaurant statt aus der Assiette zu Hause verspeist, Kino, Veranstaltungen - das Leben scheint aus der Corona-Pandemie aufgetaucht sein.

Alles fühle sich so normal an - nur nicht für die Rentnerin. An diesem Tag habe sie nämlich zum wiederholten Mal versucht, ihre demenzkranke Mutter einfach mal für ein paar Stunden zum Hausschuhkauf aus dem ortsansässigen Seniorenheim „Helene Schmieder“ zu holen. Doch vergeblich. Auch die Tatsache, dass Besuch nur an drei vorgeschriebenen Tagen und das lediglich bis 17 Uhr nach vorheriger Anmeldung erfolgen könne, ist für die Röderstädterin angesichts der um sie herum vonstattengehenden Veränderungen hin zur Normalität nicht nachvollziehbar.

„Ich möchte meine Bedenken in keinster Weise als Kritik am Heim und dem dort tätigen Personal verstanden wissen! Alle bemühen sich sehr um die Bewohner und versuchen, trotz der schwierigen Zeit jeden Tag ihr Bestes zu geben“, betont die Großenhainerin. Dennoch könne sie nicht verstehen, dass ihre Geschwister und sie nicht endlich ungehindert zur hochbetagten Mutter dürften. Es sei bedrückend, nach Weihnachten und Ostern ohne die 89-Jährige bei sich haben zu können, nun immer noch nur zu bestimmten Zeiten und das auch lediglich für eine Stunde zu ihr zu dürfen.

Umstände, die sich auch die Leiterin der Einrichtung nicht ausgesucht hat. Ganz und gar nicht. Anja Oertel macht im ausführlichen Gespräch mit der Sächsischen Zeitung keinen Hehl daraus, dass sie es sich auch anders für ihre 85 Bewohner wünschen würde. „Aber wir unterliegen nun mal den Bestimmungen des Robert-Koch-Instituts, den Richtlinien des sächsischen Sozialministeriums und der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung und die geben vor, wie wir den Rahmen in unserem Haus stecken dürfen“, erklärt die 46-Jährige. Das bedeute praktisch, die Einrichtung, welche von der Diakonie Meißen getragen wird, müsse trotz einer stetig sinkenden Inzidenz ein Besuchs- und Hygienekonzept vorhalten. Die Türen wären nach wie vor geschlossen. Hinein dürfe nur, wer sich vorher anmeldet, da nach wie vor Besuchskärtchen im Sinne einer Kontaktnachverfolgung ausgefüllt werden müssten. Überdies trage jeder Mitarbeiter entsprechend der bundesweit geltenden Vorgaben während der Dienstzeit einen Mundschutz. Ein Zutritt sei nur mit tagesaktuellem Coronatest möglich beziehungsweise werde an den tatsächlich vorgegebenen Besuchstagen Montag, Mittwoch und Freitag Testungen für Gäste vorgehalten. "Laut Verordnung sind wir eben nach wie vor angehalten, Ansammlungen von Besucherströmen, geimpften und nicht geimpften Menschengruppen zu vermeiden."

Ausnahmen, so Anja Oertel, würden für jene Personen gelten, die vollständig geimpft seien. Diese bräuchten auch nicht - wie sonst vorgeschrieben - während des maximal einstündigen Aufenthalts im Heim eine FFP2-Maske tragen beziehungsweise dürften ohne Testverpflichtung Montag bis Sonntag unangemeldet zu Besuch kommen. Wer das Bedürfnis habe, Mutter, Vater, Oma oder Opa stundenweise nach Hause zu holen, dürfe auch das. Allerdings müssten sich die Heimbewohner - gleich nun, ob 60 oder 105 Jahre alt - danach einem siebentägigen Aufenthalt im eigenen Zimmer unterziehen. Für geimpfte Bewohner entfalle diese Regelung.

Ein momentan geltendes Prozedere, was viele Angehörige von derlei Aktivitäten abhielte. „Es ist aber nach den Erfahrungen der letzten Monate auch die Angst, der geliebte Angehörige könne sich vielleicht doch infizieren oder gar erneut erkranken“, gibt Anja Oertel zu bedenken. Obgleich das Seniorenzentrum im Januar gleich zu einem der Ersten im Kreis Meißen zählte, deren Bewohnern Impfungen angeboten wurden, bestehe noch kein kompletter Schutz. Konnten viele Frauen und Männer aufgrund einer erst gerade überstandenen Covid-Erkrankung zu dem Zeitpunkt nicht geimpft werden, lehnten andere oder deren Angehörige eine Immunisierung ab. „Und all jene, die sich jetzt entschlossen haben oder medizinisch für eine Impfung in der Lage wären, müssen sich aufgrund der überlasteten Hausärzte etwas gedulden“, gibt Anja Oertel zu bedenken. Die aktuelle Impfquote betrage aber mittlerweile 80 Prozent, was neue Erleichterungen gestatte.

Nicht zuletzt deshalb wäre es leider noch nicht möglich, in den absoluten Normalmodus zu schalten. Jedoch gebe man sich große Mühe, den Alltag dennoch so angenehm wie möglich zu gestalten. Beschäftigungsangebote in den einzelnen Wohnbereichen gebe es ebenso wie in der kommenden Woche ein Sommerfest unter freiem Himmel. „Und selbstverständlich ermöglichen wir Angehörigen auch Besuche außerhalb der vorgegebenen Tage! Ich bitte deshalb die Großenhainerin, welche sich bei der Sächsischen Zeitung gemeldet hat, herzlich, mich anzurufen und dann finden wir sicher eine gute Lösung“, versichert die Heimleiterin. Denn eines stehe außer Frage: Abgeschottet von der Außenwelt sei man lange genug gewesen.