Zur Temperaturprobe nachts auf die Wiese

Landkreis. Noch zwölf Gleichgesinnte bis ans Ziel. Zwölf Frauen und Männer, die Margitta Ludewig hoffentlich nicht wegschnappen werden, was sie seit Wochen heiß begehrt. Feuerrote Geranien nämlich, die der Händler ihrer persönlichen Wahl an diesem Dienstagvormittag auf dem Großenhainer Wochenmarkt verkauft und die in all ihrer jetzt schon blühenden Pracht den Balkon der Rentnerin verschönern sollen. "Wissen Sie, ich habe schon so lange darauf gewartet, aber ich möchte die Kästen nun bepflanzen. Wir haben doch schon fast Mitte Mai", sagt Margitta Ludewig und äugt sehnsüchtig in Richtung Anfang der Schlange.
Was die sympathische Frau fast ein wenig entschuldigend erklärt, liegt aber im wahrsten Sinne des Wortes in der Natur der Sache. Und ihr Wunsch, endlich etwas mehr Farbe ins Freiluftzimmer zu bringen, eint sie gerade jetzt mit tausenden von Gartenfreunden. Nachdem sie im kältesten April seit Jahrzehnten nur theoretisch planen konnten, was sie viel lieber unter freiem Himmel in die Tat umsetzen wollten, drängt es die meisten, zu buddeln, was die eigene Scholle hergibt.
Allerdings: Was Großmutter schon wissend zu bedenken gab, wenn sie warnend daran erinnerte, doch lieber so lange mit dem Einpflanzen zu warten, bis wenigstens die sogenannten Eisheiligen - sie dauern vom 11. bis 15 Mai - vorüber wären und die Temperaturen nicht mehr das Gedeihen sabotieren, fällt gar nicht so leicht. "Selbst älteren, erfahrenen Gartenliebhabern fehlt dieses Mal irgendwie die Geduld. Vielleicht durch die äußeren Umstände der Pandemie bedingt und ganz sicherlich auch, weil Wärme und Sonne schon so lange auf sich warten lassen", vermutet Marina Beier.
Die 60-Jährige, welche gerade einem Ehepaar in der namhaften Priestewitzer Baumschule von Hans-Jörg Winkler gut zuredet, lieber noch etwas mit dem Auspflanzen von Gurken und Tomaten zu warten, weiß, wovon sie spricht. In den vergangenen Wochen hätten einige Kunden den Fehler begangen, schon loszulegen und seien dann samt Blumen vom hartnäckigen Frost überrascht worden. Denn gleich nun, welches Datum im Kalender stehe, und egal, ob die Erinnerung an die jüngsten Aprilsommer andere Bedürfnisse weckten. Entscheidend wären nun mal die tatsächlichen Bedingungen und da ginge ohne stabile zweistellige Temperaturen nun mal gar nichts. "Ich sage immer zu unseren Kunden, sie sollten sich mal nachts in ein unbeheiztes Gewächshaus oder auf die Wiese setzen. Da würden sie nämlich selbst deutlich spüren, welche unwirtlichen Gegebenheiten eine Pflanze ertragen muss", gibt Marina Beier zu bedenken und lacht.


Praktisch bedeute der wohlgemeinte Hinweis, auch in dieser Woche noch nicht alles in die immer noch kühle Erde zu bringen. Paprika und Basilikum etwa seien bekennende Bibberkandidaten und auch so manche Beet- und Balkonpflanze würde lieber noch den Aufenthalt in wärmeren Gefilden wie Keller oder Schuppen genießen. Geranien, auf die es Margitta Ludewig in Großenhain abgesehen hatte, würden beispielsweise meteorlogische Wankelmütigkeiten viel besser wegstecken als ihre farbenprächtigen Kolleginnen, die Petunien. "Wir sind hinsichtlich der Vegetation gut 14 Tage zurück, aber das ist überhaupt kein Problem. Die Natur wird das schnell aufholen und Gartenbetriebe, die freilich zwischenzeitlich manchmal aus den Nähten geplatzt sind, weil der Abverkauf nicht so vonstatten gehen konnte, wie er logistisch eigentlich hätte müssen, haben sich auch zu helfen gewusst", bekennt Hans-Jörg Winkler und lacht.
Wie der erfahrene Gärtnermeister vermutet, habe es jetzt sicher die längste Zeit gedauert. Nach der regenreichen Phase, die laut Prognose gerade über die Region kommen solle, dürfe dann nach Lust und Laune gepflanzt werden. Gemüse, Blumen, einfach alles, was das Herz begehrt.
