Kamm und Schere im Dauereinsatz

Großenhain. Ganz so schlimm wie in der deutschen Bundeshauptstadt war es dann doch nicht. Während zahlreiche Berliner Berufskollegen bereits um Mitternacht ihre Salons öffneten und die haarige Arbeit aufnahmen, geht Anett Englowski in ihrem Großenhainer Studio pünktlich um sieben ans Werk. Dass ihr erster Kunde nach der wochenlangen Zwangspause ein Mann ist, macht nicht nur mit dem landläufig kursierenden Klischee kurzen Prozess, rausgewachsener Pony sei nur ein larmoyantes Thema der momentan unfrisierten Damenwelt.
Nein, ganz im Gegenteil! Immerhin sei die Frage von gut oder eben schlecht sitzenden Haaren inzwischen durchaus auch eine des Images. Besonders dann, wenn Homeoffice nicht davor bewahren kann, was aufgrund der aktuellen Corona-Lage der Nation herausgewachsen oder durch misslungene Eigeninitiative farblich nicht gerade schön daherkommt. "Unsere Kunden haben sofort, als bekannt geworden ist, dass wir wieder öffnen dürfen, bei uns angerufen! Die Freude war wirklich riesengroß, weil für viele von ihnen nicht nur ein lieb gewordenes Ritual weggefallen ist, sondern sich die allermeisten Leute mittlerweile auch recht unwohl beziehungsweise ungepflegt fühlen", bekennt Anett Englowski und lächelt verständnisvoll unter ihrer Maske hervor.
Der Röderstädter Unternehmer auf dem Stuhl vor ihr ist jedenfalls seinerseits sichtlich beglückt, als er innerhalb weniger Minuten gut vier Zentimeter seiner herangewachsenen Matte verliert. Und - er wird an diesem Montag nicht der Einzige sein, der gerne Haare lässt. Das Bestellbuch von Anett Englowski und ihrem 14-köpfigen Team ist proppenvoll. Allerdings nicht nur deshalb, weil es die Kundschaft nach einem Schnitt, frischer Dauerwelle oder Tönung verlangt.
Auch die durch die Coronabestimmungen notwendige besondere Logistik erfordere eine Einteilung von Personal und Friseurbesuchern gleichermaßen, der die zeitlichen Rahmenbedingungen einer Behandlung vorgebe. Bisher anderweitig genutzte Räume werden deshalb jetzt zum Frisieren genutzt, Trennwände aus Acryl sorgen, wie in einschlägigen Fernseh-Talkshows, für das zusätzliche Quäntchen an subjektiv empfundener Sicherheit. Dazwischen überall Spender mit hochkonzentriertem Desinfektionsmittel sowie Mund und Nasen verhüllende Masken, die in jedem der reichlich vorhandenen Spiegel an die Krise erinnern. "Wir dürfen natürlich auch nicht Stuhl an Stuhl arbeiten. Deshalb haben wir die Arbeitsplätze weit auseinander verteilt und sind gegenwärtig nur zu viert in einer Schicht tätig", erklärt die Friseurmeisterin.
Herausforderungen, welche die seit fast 25 Jahre selbständig tätige Großenhainerin gern in Kauf nimmt. Immerhin seit 16. Dezember mussten Schere und Kamm stillgehalten werden und bis auf die staatliche Novemberhilfe seien keinerlei Einnahmen in die Kasse gekommen. Wie die 49-Jährige bereits in einem SZ-Gespräch Ende Januar betonte, wären die vergangenen Wochen emotional sehr anstrengend gewesen. Als Inhaberin zweier Salons, sei zum einen das plötzliche Nichtstun dürfen unheimlich schwergefallen. Zum anderen hätten natürlich so langsam aber sicher auch finanzielle Sorgen geplagt. "Deshalb sind wir wirklich froh, dass wir nun endlich wieder arbeiten dürfen! Und unsere Kunden quittieren das ihrerseits mit offen gezeigter Wiedersehensfreude", verrät Anett Englowski.
Eine Freude, welche in den kommenden Stunden noch durch viele Blumen und kleine Geschenke ausgedrückt werden wird - aber im Vorfeld der Öffnung bereits durch Anwürfe und unverhohlene Kritik getrübt worden wäre. In dem einen oder anderen Stadtgespräch hätte sie sich schon erklären müssen, weshalb denn ausgerechnet das Friseurgewerbe und nicht etwa der ebenfalls um seine Existenz kämpfende Einzelhändler oder das kleine Restaurant an der Ecke öffnen dürfe. "Eine Entscheidung, für die unsere Branche ja aber nichts kann. Wir fühlen selbstverständlich mit all den anderen Unternehmen und wissen, was es praktisch bedeutet, kein Geld verdienen zu können", betont Anett Englowski.

Umso mehr genieße sie es an diesem ersten März, endlich wieder tun zu dürfen, was Frauen ihres Fachs nun mal ausnehmend gern machen: Waschen, Föhnen und Färben nach Herzenslust. Und die Kundin, die nun einen Termin hat, ist sichtlich dankbar für das dienstleisterische Werk, welches in den nächsten anderthalb Stunden an ihr vollbracht wird. Auch wenn die junge Frau das schicke Endergebnis letztlich nur der eigenen Familie präsentieren könne. Der flotte Schnitt nebst Haarkur und aufgepepptem Braunton, so ist sie sich schließlich sicher, sei schon ein großer Schritt zurück zu mehr Lebensqualität. Und vor allem: Hin zur kleinen Freiheit im großen Lockdown.