Großenhain. Annegret Decker wohnt in Strehla, aber ihre Kindheit verbrachte sie in Großenhain. Geboren wurde sie 1943 im Kirchplatz 6, dem heutigen Kirchgemeindehaus. "Als ich Schulkind war, durfte ich manches mal an Sommersonntagen mit zwei Glaskrügen zur 'Börse' gehen", erinnert sie sich. Decker hat die SZ-Beiträge über das von Familie Fischer sanierte und zu Jahresende übergebene Gebäude gelesen. Heute ist das Denkmal und ehemalige Gasthaus reines Wohnhaus. "Für meine Eltern holte ich helles Bier in dem einen Krug - und für mich Himbeer- oder Waldmeisterbrause vom Fass", erinnert sie sich.
Ein paar wenige Stammgäste hätten immer schon dringesessen und geraucht. Gut erinnert sich Annegret Decker noch an die Wirtsleute. Sie hießen Siedler. Auch sie behüteten manchmal ihren Enkel. Nach dem Krieg wohnte in zwei Dachkammern, von denen nur eine heizbar war, Familie Till. Sie kamen aus Ungarn, die Eltern sprachen zunächst kein Deutsch. "Meine Klassenkameradin Theresia kam deswegen für die Schularbeiten täglich zu uns nach Hause", so die Strehlaerin. Das hatte die Klassenlehrerin veranlasst. Heute wohnt jene "Resi" in Bayern. Auch sie bekam die SZ-Beiträge über die Börse zugeschickt.

Im Seitenflügel der "Börse" wusch im Waschhaus eine Frau Priem für die Leute Wäsche, und verdiente sich für ihre Mädels Ute und Maria ein wenig Geld. Sie wohnten in der ersten Etage dieses "feuchten Hauses". "Es war für alle ein erbärmliches, elendes Wohnen", blickt Annegret Decker zurück. Wie schön haben es doch die heutigen Bewohner im Denkmal dank der Bauherrenfamilie Fischer.
Frau Deckers Eltern zogen 1938 nach Großenhain. Sie übernahmen die Räume von Pfarrer Köppinges. "Die haben auch die Tapeten nie gewechselt", schreibt Annegret Decker und spielt auf Tapetenreste an, die vor sechs Jahren während der Bauphase des Kirchgemeindehauses, der früheren Predigerhäuser, am Kirchplatz gefunden wurden. Erst 1956/57 sei das Wohnzimmer der Familie erstmalig modern tapeziert worden. Aber mit Brotrinde wurden die Tapeten manchmal abgerieben. "So war das damals..." Aus dieser Zeit hat Annegret Decker noch ein Gemälde des bekannten Stadtmalers Kurt Globig.