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Ukraine-Krieg: Biobetrieb fürchtet massive Folgen für die Branche

Der Großenhainer Geflügelexperte Christian Riedel feiert 70. Geburtstag und lässt die sorgenvollen Gedanken, die ihn momentan bewegen, für einen Tag ruhen.

Von Catharina Karlshaus
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70 Jahre und kein bisschen leiser: Christian Riedel, Inhaber des Geflügelhofes Großenhain und Vorsitzende des Geflügelwirtschaftsverbandes (GWV) am Montag vor seinem Geburtstagsempfang.
70 Jahre und kein bisschen leiser: Christian Riedel, Inhaber des Geflügelhofes Großenhain und Vorsitzende des Geflügelwirtschaftsverbandes (GWV) am Montag vor seinem Geburtstagsempfang. © Kristin Richter

Landkreis. Gut möglich, dass andere in seinem Alter fertig hätten. Dass sie sich komplett aus dem Berufsleben zurückziehen würden und sich lieber dem täglichen Nichtstun hingeben, als zuweilen einem Kalender untergeordnet zu sein.

Ein Lebensentwurf, der indes keineswegs nach seinem Geschmack ist. Zwar hat der Inhaber des Geflügelhofes Großenhain das von der Pike aufgebaute, bundesweit namhafte Unternehmen bereits vor zwei Jahren an seinen Sohn Alexander übergeben. Ganz lassen kann Christian Riedel jedoch nicht vom lieben Federvieh und den Herausforderungen, denen sich gerade jetzt seine Branche stellen muss. "Glauben Sie mir, daran wird sich auch nichts ändern! So lange ich denken kann, werden mich diese Themen beschäftigen", versichert der Diplom-Agraringenieur und lacht.

An diesem 4. April hat der gebürtige Döschützer auch allen Grund dazu. Seit kurz vor halb zehn strömen die Gäste in die Großenhainer Mückenschänke und gratulieren Christian Riedel, was Präsente, Blumensträuße und herzliche Worte hergeben. 70 Jahre alt wird der Vorsitzende des Geflügelwirtschaftsverbandes (GWV) Sachsen heute und empfängt an diesem Vormittag, wen er gern um sich haben möchte. Meißens Landrat Ralf Hänsel zählt dazu ebenso wie seine Stellvertreterin Janet Putz, Vorgänger Arndt Steinbach, Großenhains Oberbürgermeister Sven Mißbach, mit seiner Amtskollegin aus Priestewitz, Manuela Gajewi, Polizeichefin Sandra Geithner sowie namhafte Vertreter des öffentlichen Lebens. Unverkennbar angesichts der harmonischen, geradezu herzlichen Atmosphäre: Hier ist zusammengekommen, wer seit Jahren vertrauensvoll einen Weg beschritten und erfolgreich an einem Strang gezogen hat.

Auszeichnung des Landesbauernverbandes

Und der Jubilar hat augenscheinlich kräftig zugepackt: Der Präsident des Sächsischen Landesbauernverbandes e. V., Torsten Krawczyk, gibt sich nicht nur selbst die Ehre, sondern überreicht dem sichtlich überraschten Gastgeber für seine Verdienste um die berufsständige Interessensvertretung und die Landwirtschaft im Freistaat eine der höchsten und am strengsten limitierten Auszeichnungen überhaupt – die Thomas-Müntzer-Medaille.

Gebührende Anerkennung, wie sie Christian Riedel vor genau zehn Jahren nicht vergönnt war, unbeschwert entgegenzunehmen. Genau einen Tag vor seinem 60. Geburtstag war damals ein verheerendes Feuer in der Skassaer Anlage ausgebrochen und hatte vor den Augen des künftigen Jubilars den Stall samt Tausenden von Tieren vernichtet. Zum ausgelassenen Feiern war dem sonst um einen Scherz nie verlegenen Unternehmer verständlicherweise nicht zumute.

Allerdings: Niederstrecken ließ sich der beherzte Geschäftsmann von diesem einschneidenden Erlebnis nicht. Ganz im Gegenteil! Christian Riedel krempelte die Ärmel hoch, sorgte dafür, dass der Hühnerstall geradezu in Rekordzeit wieder aufgebaut wurde und die 15.000 gefiederten Mitarbeiterinnen auch an diesem Standort wieder allerbeste Arbeitsbedingungen haben. Denn der Betriebsinhaber, welcher jahrzehntelang mit der Vermarktung seiner Hühner nebst Eiern deutschlandweit Erfolgsgeschichte schrieb, hatte schließlich nie einen Hehl daraus gemacht, dass das Tierwohl bei ihm trotz aller wirtschaftlicher Aspekte stets an vorderster Stelle stehen sollte.

Bedeutete praktisch: Als gewissermaßen noch keine grüne Regierungspartei nach biologisch einwandfreiem Futter gekräht habe, sei dieses schon seinen über 100.000 Legehennen rund um Großenhain vorgesetzt worden. Ausgewogenes Körnerpicken im Anderthalb-Stunden-Takt. Um bei Kräften zu bleiben, bekämen die Tiere seit Jahren eine gut verträgliche Mischung aus Weizen, Mais und Soja. Selbstverständlich ohne Schadstoffe und biologisch einwandfrei.

Preise für Futter in die Höhe geschossen

Attribute, die absolut bekömmlich seien, aber dem Kenner der Materie nach eigenem Bekunden gerade große Bauchschmerzen bereiten. Immerhin sei das gentechnikfreie Eiweißfutter aus der Ukraine und der Schwarzmeerregion bezogen worden. Andere Lieferanten gebe es keine. "Das Problem betrifft tatsächlich die gesamte Veredlungsbranche, also die Schweine- und die Geflügelmast", gibt Christian Riedel zu bedenken.

Abgesehen davon, dass der Ukrainekrieg die Preise in die Höhe getrieben hätte, - für 100 Kilogramm Futter würden statt bisher 25 bis 30 Euro inzwischen 60 Euro gezahlt werden müssen - dürften die Lagerbestände mit sogenanntem Ökofutter bald leer sein. Die Ukraine gehöre beispielsweise beim Raps- und Sonnenblumenschrot schließlich zu den Hauptlieferländern. Ein für alle Tierarten geeignetes Produkt, welches gern von Hühnern gefressen werde. Bestens geeignet wäre es dabei für Legetiere und Broilerküken. Angesichts der gegenwärtigen Einschränkungen seien Bio-Tierhalter über kurz oder lang jedoch dazu gezwungen, auf konventionelles Futter umzusteigen. Ob Unternehmen wie der Großenhainer Geflügelhof dann noch ihr Biosiegel behalten dürften, könne letztlich nur die Europäische Union entscheiden. "Die Auswirkungen des Krieges werden spätestens ab Herbst auch an unserer Branche nicht spurlos vorübergehen", ist sich Christian Riedel sicher.

Sorgenvolle Gedanken, die an diesem 4. April durchaus einmal Pause machen dürfen. Raum geben für das Beisammensein mit beruflichen Wegbegleitern aus Politik und Wirtschaft, Mitstreitern der Geflügelbranche und nicht zuletzt seinen Herzensmenschen. Am nächsten Tag gebe es dann aber schon wieder ein paar Termine in Sachen gackerndem Personal. Kein Wunder auch - denn wirklich fertig hat Christian Riedel noch lange nicht.