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Großenhainer lieben ihr kleines Eszett

Die hiesige Facebook-Gemeinde empfindet den Schreibfehler an der neuen Eisenbahnbrücke nicht als Makel. Im Gegenteil.

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© St. Jansen/DPA

Von Jörg Richter

Großenhain. Es sollte etwas Besonderes sein: Der Schriftzug „Willkommen in Großenhain“ an der neuen Brücke der Großraschützer Straße sollte ein großes Eszett beinhalten. Das gibt es laut einer Neuerung des Rates für deutsche Rechtschreibung erst seit Ende Juni. Großenhain wollte das erste große Eszett an einem öffentlichen Bauwerk in Beton gießen lassen. Ein Novum für Sachsen, vielleicht sogar für Deutschland.

Doch daraus wurde nichts. Denn nach dem Entschalen des Schriftzugs wurde klar, dass es keine Premiere für den neuen Buchstaben gibt. Das Eszett im Stadtnamen ist klein- und nicht großgeschrieben. Im Rathaus ist man etwas angekratzt ob der verpassten Chance, das erste große Eszett der Region präsentieren zu können. Die Großenhainer selbst reagieren gelassen, zum Teil sogar erfreut über den vermeintlichen Großschreibfehler.

„Seit jeher wurde das ß klein geschrieben“, schreibt Mike Förster auf der SZ-Facebook-Seite. „Nur weil nun seit Juli das ß auch groß geschrieben werden kann, geht davon die Welt auch nicht unter. Wäre die Brücke vor Juli fertig gewesen, würde kein Hahn danach krähen.“

Auch Doreen Stelzner fragt: „Warum muss man alles abändern, was über Jahre Bestand hatte?“ Das kleine Eszett im Stadtnamen an der Brücke sei für sie wie ein Markenzeichen. Sie glaube nicht, dass die Großenhainer „ihr kleines Eszett“ stört.

Der junge Musiker Philipp Zeiler, der in der hiesigen Region schon mehrere Benefizkonzerte gegeben hat, nimmt die Bauarbeiter wegen des Schreibfehlers in Schutz. „Danke an die Leute, die sich die Mühe gemacht haben, diesen Schriftzug so zu produzieren“, so Zeiler. „Es spielt doch keine Rolle ob mit Klein- oder Großbuchstaben.“

Mehrere Facebook-Nutzer schreiben, dass es doch genügend andere Probleme in der Welt gebe, als ein kleines Eszett an einer Eisenbahnbrücke. „Das Leben geht weiter, ob groß oder klein“, findet Ramona Presch. Auch Inge Preibisch ist dieser Meinung. Sie schreibt: „Vielen wird es gar nicht auffallen, wenn sie durch die Brücke fahren. Da hat man auf den Verkehr zu achten!“ Und Steve Edel spricht wohl den meisten Großenhainern aus dem Herzen: „Begrabt die Diskussion und gut, Hauptsache, die Durchfahrt wird zeitnah fertig.“

Drei Wochen ist die S 40 zwischen Merschwitzer Straße und dem Restaurant „Bergkeller“ gesperrt. Am kommenden Montag soll die neue Durchfahrt für den Straßenverkehr freigegeben werden, worauf sich schon jetzt viele Großenhainer freuen. Das kleine Eszett im Willkommensgruß über der Brückendurchfahrt hat sogar Fans. Franziska Böhm schreibt: „Ich finde, es sollte so bleiben.“ Und auch Conny Sauer ist dafür: „Genauso lassen. Doppel-S wirkt so unpersönlich.“

Nichtsdestotrotz fragen sich viele, wie denn überhaupt das neue große Eszett aussieht und worin es sich vom herkömmlichen kleinen unterscheidet. Laut DPA sieht es aus wie ein „Mittelding zwischen dem bisherigen, kleingeschriebenen ß und einem großgeschrieben B.“ Markant für das große Eszett ist die Zacke im oberen Bogen (siehe Bild). Der Rat für deutsche Rechtschreibung hatte das große Eszett eingeführt, um die korrekte Schreibung von Eigennamen in Pässen und Ausweisen eindeutig zu machen. Das Doppel-S gilt aber weiterhin als Großschreibeersatz für das kleine Eszett.