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Großer Bahnhof bei Globus

Die Initiative „Wohnen am Leipziger Bahnhof“ lud am Samstag zur Besichtigung des geschichtsträchtigen Geländes in der Leipziger Vorstadt und viele Freunde der Quartier-Idee schauten vorbei.

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© Stefan Becker

Dresden. „Würden Sie bitte etwas lauter sprechen“, „Können Sie das bitte noch einmal wiederholen?“ Tapfer kämpften die Referenten gegen den Lärm der Straße, doch wenn ein Auto über das Kopfsteinpflaster der Eisenbahnstraße rumpelte, versagte selbst die stärkste Stimme. So mussten Jan Minack vom Verein Konglomerat und der Architekt Maximilian Kunze an der Grünen Villa ein ums andere Mal pausieren, als der Verkehr sporadisch seinen Tribut verlangte.

Rundgang auf dem Alten Leipziger Bahnhof

Industriekultur-Kenner Jan Minack vom Verein Konglomerat referierte kurz vor der Grünen Villa.
Industriekultur-Kenner Jan Minack vom Verein Konglomerat referierte kurz vor der Grünen Villa.
Konzentriert lauscht das Publikum den Worten von Minack - rumpelte ein Auto über das Kopfsteinpflaster der angrenzenden Eisenbahnstraße, verstand niemand mehr ein Wort.
Konzentriert lauscht das Publikum den Worten von Minack - rumpelte ein Auto über das Kopfsteinpflaster der angrenzenden Eisenbahnstraße, verstand niemand mehr ein Wort.
Der geiemnsame Gang zur Laderampe mit Blick auf die Petri-Kirche.
Der geiemnsame Gang zur Laderampe mit Blick auf die Petri-Kirche.
Der Putz bröckelt schon lange.
Der Putz bröckelt schon lange.
Der Plan von Christian Helms zeigt das gesamte Globus-Gelände, nahezu identisch mit dem Areal des Alten Leipziger Bahnhofs.
Der Plan von Christian Helms zeigt das gesamte Globus-Gelände, nahezu identisch mit dem Areal des Alten Leipziger Bahnhofs.
Das Publikum sammelt sich auf der belebten Brache für den zweiten Teil der Veranstaltung: den Lichtbild-Vortrag des Architekten Maximilian Kunze.
Das Publikum sammelt sich auf der belebten Brache für den zweiten Teil der Veranstaltung: den Lichtbild-Vortrag des Architekten Maximilian Kunze.
Pläne studieren und Pläne schmieden im Hafenschuppen des CVJM-Hauses.
Pläne studieren und Pläne schmieden im Hafenschuppen des CVJM-Hauses.
Architekt Maximilian Kunze startet seinen Vortrag.
Architekt Maximilian Kunze startet seinen Vortrag.
Die Entwicklung des Geländes nimmt seine charakteristische Form an.
Die Entwicklung des Geländes nimmt seine charakteristische Form an.
Das Publikum beim Vortrag.
Das Publikum beim Vortrag.
Die Heimreise der Roten Armee.
Die Heimreise der Roten Armee.
Gastgeberin Judith Brombacher warb am Samstag vor Beginn des Rundgangs  gleich für die nächste Veranstaltung der von ihr initiierten Bürgerinitiative.
Gastgeberin Judith Brombacher warb am Samstag vor Beginn des Rundgangs gleich für die nächste Veranstaltung der von ihr initiierten Bürgerinitiative.

Den über 50 Zuhörern aber, darunter Geschichts-Interessierte wie Wohnquartier-Aktivisten, Stadtteil-Politiker und Nachwuchs-Stadtplaner, machte das nichts aus. Geduldig ertrugen sie die Widrigkeiten des Wetters und spazierten unter fachmännischer Führung über das Gelände des Alten Leipziger Bahnhofs und potenziellen Standorts des Einzelhandels-Unternehmens Globus.

Am Neustädter Bahnhof hatte Judith Brombacher ihre Gäste am Samstagnachmittag empfangen. Die Gründerin der Bürgerinitiative „Wohnen am Leipziger Bahnhof“ und Initiatorin einer gleichnamigen Online-Petition mit über 4 300 Unterschriften schwor die Besucher gleich ein auf die Begehung des „Juwels“, wie sie das Gelände liebevoll titulierte. An ihrer Seite sprach die emeritierte Landschafts-Historikerin Erika Schmidt von „einem Ort mit einem ausgeprägten Gesicht“.

Nach dem Gang über die vierspurige Hansastraße galt der erste Stopp der Grünen Villa. Dort residiert seit geraumer Zeit dank des Edeka-Gönners Peter Simmel die Kultur-Initiative der Blauen Fabrik. Architekt Maximilian Kunze, dessen Diplom-Arbeit zur alternativen Bebauung des Areals bereits mehrere Preise erhielt, erzählte an der Stelle von der Bedeutung der 1839 errichteten Anlage. Sie brachte einst den Fernverkehr als privat finanzierte Bahnstrecke von Dresden nach Leipzig in den deutschen Landen auf Schiene.

Vom ehemaligen Glanz zeuge noch heute die gekrönte Ruine des Empfangsgebäudes aus dem Jahre 1847 – mittlerweile immerhin mit einem Notdach vor Schnee und Regen geschützt. Aber vielleicht doch schon zu spät? Und ob die Besitzer von Globus ihre Denkmalschutz-Verpflichtungen wirklich ernst nehmen? Schnell erhielt die historische Betrachtung eine politische Note, denn die Veranstalter des Rundganges zweifelten an den ernsthaften Absichten der Eigentümer, die noch existierenden Baudenkmäler wirklich erhalten zu wollen. Gegenteilige Entwicklungen kenne man ja schließlich von anderen Projekten zur Genüge, lautete der Tenor.

Sicherlich litt das Gemäuer auch in den Globus-Jahren unter Gicht und Rheuma, unter einem eingestürzten Dachstuhl und mauersprengendem Buschwerk, doch die Vernachlässigung des Hauses setzte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein: 1901 wurde der Alte Leipziger Bahnhof zur Güterabfertigung degradiert, die Reisenden kamen an und fuhren ab nebenan im neuen Neustädter Bahnhof.

Überraschend erzählte eine ältere Dame der Gruppe, wie sie ihre Kindheit und Jugend in der Grünen Villa verbracht hatte, wie sie und ihre Spielgefährten dabei zuschauten, wenn die Sowjet-Armee ihre Panzer auf dem Gelände verlud. Aber an ein wie auch immer belebtes Empfangsgebäude konnte sie sich nicht erinnern. Jan Minack vom Verein Konglomerat berichtete von der Bedeutung des Areals als Industriestandort und weiter ging es zu entgleisten Laderampen. Dort störte nur kurz ein in der Ferne vorbeifahrender Güterzug den Vortrag.

Stille kehrte dagegen endlich ein, als die Gruppe entlang der bewirtschafteten Schuppen lief, über eine kleine Treppe die holzüberdachte Laderampe erklomm und sich in leicht erhobener Position an deren Ende sammelte. Wieder wurden Pläne gezeigt, wieder ging es um Sein oder Nichtsein des Denkmalschutzes und zum Finale schwärmte Architekt Kunze vom „Canalettoblick der Eisenbahner“, als er zur Altstadt-Silhouette schaute und alle Augen den seinen folgten.

Dieses „Juwel“ dürfe kein Supermarkt samt Parkplatz ruinieren, wiederholte Gastgeberin Judith Brombacher und die Mehrheit der Besucher pflichtete ihr bei. Als Eisenbahn-Kenner Bernd Ihle leise zu bedenken gab, dass die Globus-Leute sich schließlich vertraglich zur Sanierung etlicher Gebäude verpflichtet hätten und jede der dort noch im Erdreich modernden Schwellen mit reichlich Öl getränkt sei, zog der Tross schon wieder weiter zum CVJM-Heim.

Dort präsentierte Architekt Maximilian Kunze den historischen Part seiner prämierten Arbeit, zeigte Folie um Folie im dunklen Saal, ließ Skizzen und Zeichnungen, Fotos und Längsschnitte des Geländes vorüberziehen und lud bei Licht gleich ein zum nächsten Termin der Bürgerinitiative: Am 16. Januar sollen im Festsaal des Rathauses die gesammelten Ideen zur Nutzung des Areals diskutiert werden – allerdings ohne die Globus-Variante.

Die Polit-Protagonisten von SPD, Grüne und Piraten versicherten sich gegenseitig und dem Publikum, dass natürlich niemand etwas gegen Globus habe – bloß käme so ein Profanbau auf der europa-historisch geweihten Erde einem Sakrileg gleich. Und vor dem Hintergrund zunehmenden Wohnbedarfs sowie chronisch verstopfter Straßen, dem Überangebot an Supermärkten in der Stadt und dem Tod aller Einzelhändler in Pieschen und der Neustadt im Falle einer Globus-Ansiedlung auf deren Grundstück, sei der Plan gänzlich abzulehnen.

Blöderweise bestünden ja weiterhin zwei sich widersprechende Stadtratsbeschlüsse zur Ansiedlung von Globus und deshalb müsse in den nächsten zwei Monaten intensive Überzeugungsarbeit geleistet werden. Denn bisher torpedierten vier Mitglieder der Linken-Fraktion die erforderliche Ratsmehrheit, um den Bebauungsbeschluss zu Ungunsten des Handelsunternehmens zu kippen, so Brombacher und ihre Mitstreiter. Die Linke wird aber wohl erst dann zu einer gemeinsamen Position finden, wenn die von ihr initiierte Studie zu den realen Chancen der Wohnbebauung auf dem Areal unter Berücksichtigung des sozialen Wohnungsbaus auf dem Tisch des Bürgermeisters liegt. Oder die Stadt dem Unternehmen eine Ausweichfläche gleicher Güte anbietet. Die beiden Punkte kamen aber nicht zur Sprache. (szo/stb)