Merken

Grüne Aue sucht neuen Wirt

Hans-Peter Benedix muss kürzer treten. Leicht fällt ihm das nicht nach 44 Jahren hinterm Tresen.

Teilen
Folgen
© Dietmar Thomas

Von Heike Heisig

Roßwein. Wenn neben der Grünen Aue ein Reisebus hält und eine Ladung Gäste „ausspuckt“, leuchten die Augen von Gastwirt Hans-Peter Benedix. Dann ist es beinahe so, wie in vergangenen Zeiten, als ein volles Haus nahezu an der Tagesordnung war. Insgesamt 500 Feiern für die Belegschaft der Roßweiner Betriebe – noch einige mehr waren es für Trauer- und 200 für Hochzeitsgesellschaften –  hat er im Laufe seines Berufslebens ausgerichtet. Lebhaft erinnert er sich an die Abschlussfeiern der Studenten in Roßwein. „Die kamen schon in der Woche vorher jeden Tag, um hier alles zu schmücken“, erzählt Benedix.

Dieser Saal hatte es zu früheren Zeiten als Motiv auf eine Postkarte geschafft.
Dieser Saal hatte es zu früheren Zeiten als Motiv auf eine Postkarte geschafft. © Verlag Hans Janker

Inzwischen schließt er die Haustür mit der in Bleiglas eingelassenen Jahreszahl des Wiederaufbaus nach einem Brand nur noch freitags, sonnabends, sonntags und nach Vorbestellung wie etwa für Reisegesellschaften auf. „Nur mit der Saalbewirtschaftung funktioniert das heute noch“, sagt der Gastwirt. Er will nichts schönreden. Jeder wisse, dass die Leute heutzutage nicht mehr so häufig in die Gaststätte zum Essen oder ein Bier trinken gehen.

„Das war mal anders. Da haben Familien am Wochenende einen Ausflug gemacht und sind auf dem Weg eingekehrt.“ Das passiere inzwischen eher selten. Trotzdem schreibt er die Ausflügler und Touristen nicht ab. Benedix glaubt, dass die Zahl der Hungrigen und Durstigen, die in der Grünen Aue einkehren, mit der Fertigstellung des Striegistalradweges steigt. Schon jetzt seien es immer wieder Radler, die auf dem Muldentalweg unterwegs sind und bei ihm einkehren – bei schönem Wetter gern auch im Biergarten. Die Tische und Stühle um die alten Kastanien hat Hans-Peter Benedix jetzt weggeräumt. Ob er sie selbst im Frühjahr wieder aufstellt, ist ungewiss.

Erst-Erwähnung als Wiesen- und Hirtenhaus

Der Ursprung der „Grünen Aue“ lässt sich bis ins Jahr 1569 zurückverfolgen. Damals war sie eine Schankstätte des adeligen Freigutes Troischau und wurde als Wiesen- und Hirtenhaus bezeichnet.

Weil das selbst gebraute Bier offenbar wenig schmeckte und anderes nicht angeboten werden durfte, florierte die Schankstätte nicht.

Das änderte sich erst 1700 mit Neuregelungen im Brau- und freien Schankrecht. Seitdem konnten neben dem im Freigut gebrannten Getreidekorn auch das Roßweiner Bier ausgeschenkt werden.

Ein Brand vernichtete das Gebäude im Jahr 1858 bis auf die Grundmauern. Eine Magd kam in den Flammen ums Leben.

Ein Wiederaufbau folgte im Jahr 1859. Schon damals erhielt die Gaststätte ihr heutiges Aussehen.

1961 übernahmen die Eltern des heutigen Besitzers Hans-Peter Benedix die „Grüne Aue“. Bis heute wird das Haus mit Saal als Familienbetrieb bewirtschaftet.

Historische Angaben von Fritz Kaufmann, ehem. Lehrer/Archiv

1 / 6

Der 65-Jährige hat den Döbelner Makler Peter Ilchmann damit beauftragt, einen Käufer für die Grüne Aue zu finden. Ob er im Obergeschoss wohnen bleiben darf, darüber müsste der Gastwirt mit dem Interessenten verhandeln. Er schließt aber auch einen Wegzug nicht aus, selbst wenn ihm das schwerfallen würde: „Ich bin hier aufgewachsen“, erzählt er. Gerade deswegen wollte Benedix zunächst nicht in den elterlichen Betrieb einsteigen. „Mein Vater hatte hier immer etwas zu tun für mich.“ Doch er liebäugelte mit Freizeit. Also ging er zur Wismut. Noch während der Armeezeit starb sein Vater. „Dann wollte ich der Mutter nur über die erste schwere Zeit helfen.“ Sein erster Tag als Wirt war der 1. Mai 1974. An dem Abend vorher hat er wie an jedem 29. April bis zur Wende den Anruf mit der Aufforderung erhalten, seine Gaststätte am Maifeiertag nicht vor 10 Uhr zu öffnen. „Die Leute sollten erst demonstrieren gehen“, erklärt Benedix.

Völlig planlos habe er die erste Zeit hinterm Tresen gestanden. „Ich hatte weder von Bier noch von Abrechnungen eine Ahnung.“ Trotzdem machte ihm die Arbeit so viel Spaß, dass er sich von anderen Wirten das Rüstzeug beibringen, sich in Döbeln zum Gaststättenleiter qualifizieren ließ.

Ernsthaft an die Rente denkt Hans-Peter Benedix, weil seine Frau Carmen solch starke Rückenprobleme hat, dass sie nicht länger als vier bis fünf Stunden am Herd stehen kann. Auch ihn selbst plagen mitunter Kreuzschmerzen. Mit denen würde er sich notfalls noch so lange an den Zapfhahn stellen, bis ein Nachfolger gefunden ist, feststeht, wie es weitergeht. „Wir haben schon Reservierungen für 2019“, sagt er. Die Gäste will er nicht im Stich lassen – so, wie die Skatspieler ihm treu blieben. Sie kamen während des Straßenbaus vor der Grünen Aue sogar durch den Wald zu den Skatturnieren gewandert. „Als hier ein Jahr niemand mehr vorbeikam, das war eine schlimme Zeit. Da habe ich das Essen sogar eingepackt und außer Haus verkauft“, so der Aue-Wirt. Auch an die Flut 2002 und 2013 denkt er weniger gern zurück. Schön sei gewesen, dass viele beim Aufräumen und Wiederaufbau geholfen haben.

Seine für die Gäste überraschende Hochzeit im Saal der Grünen Aue 2010 sei für Hans-Peter Benedix das bewegendste Erlebnis gewesen – bisher. Sein Abschied aus der Gastronomie und von der Grünen Aue dürfte dem in nichts nachstehen.