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Katja aus dem Plattenbau

Die Grünen küren ihr Spitzenduo. Aber was tun sie nach der Wahl?

Von Thilo Alexe
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Grünes Trio mit Gewinner-Lächeln (v.l.n.r.): Wolfram Günther ( 2.Platz der Landesliste) , Bundesvorsitzender Robert Habeck und Katja Meier (1. Platz der Landesliste).
Grünes Trio mit Gewinner-Lächeln (v.l.n.r.): Wolfram Günther ( 2.Platz der Landesliste) , Bundesvorsitzender Robert Habeck und Katja Meier (1. Platz der Landesliste). © dpa

Chemnitz. Diese Zuschreibung kann sich Grünenchef Robert Habeck nicht verkneifen. Er ruft „Katja aus dem Plattenbau und Wolfram von den Montagsdemos“ nach vorn. Mehr Ostkolorit geht kaum. Die so Titulierten kommen gern und unter Applaus. Seit ein paar Minuten sind sie Spitzenkandidaten der sächsischen Grünen für die Landtagswahl am 1. September.

Die mehr als 100 Grünen in der Chemnitzer Mensa schicken das Duo am Samstag mit souveränen Ergebnissen in den Wahlkampf. Die Zwickauer Abgeordnete Meier erhält 107 von 110 Stimmen (97 Prozent). Für Landtagsfraktionschef Wolfram Günther sprechen sich mehr als 90 Prozent der Delegierten aus.

Beide Parlamentarier lenken in ihren Bewerbungen das Augenmerk auf ihre Biographien. Meier trug als Jugendliche grünes Haar und zupfte den Bass in einer Punkband. Sie wisse, erzählt die 39-Jährige, was es heißt, in einem Plattenbau groß geworden und von Neonazis bedroht worden zu sein. Nach ihrer rebellischen Phase studierte Meier unter anderem Soziologie und Politologie. Mit Unterstützung, sagt die langjährige Parteireferentin, könne man es schaffen: „Und deshalb will ich, dass kein Kind in diesem Land zurückgelassen wird.“

Der Leipziger Günther schloss sich Ende der 1980er-Jahren den Friedensgebeten an, die in Montagsdemonstrationen mündeten. Anfangs hätten Ausreisewillige die Zusammenkünfte dominiert. „Ich wollte die Freiheit hier in Sachsen haben“, sagt Günther. Der heute 45-Jährige bekam sie, absolvierte eine Banklehre und studierte Jura. Als „süchtig“ nach Rechtsstaat und Demokratie empfindet sich Günther.

Kam nicht als Trauerredner nach Chemnitz, sah bloß so aus: Grünen-Parteichef Robert Habeck.
Kam nicht als Trauerredner nach Chemnitz, sah bloß so aus: Grünen-Parteichef Robert Habeck. © dpa

Plattenbau und Friedensgebet sind die öffentlichkeitswirksamen Koordinaten, mit denen der Landesverband im Wahljahr seine Ostidentität beschwört. Offenbar wirksam. Bundeschef Robert Habeck lobt die Geschlossenheit des Verbandes. Das war nicht immer so. Nach der Landtagswahl 2014 arbeiteten sich die Grünen an der Frage ab, ob sie scharfzüngige Opposition im Landtag bleiben oder CDU-Juniorpartner in der Regierung werden wollen. Die damalige Spitzenfrau Antje Hermenau, die mit einem Pakt mit der CDU liebäugelte, trat entnervt aus. In die Staatskanzlei zog die SPD mit ein.

Spannung erzeugt das Thema nach wie vor. Wie positionieren sich die Grünen nach der Wahl zur CDU? Pragmatischer sind sie geworden. Der Parteilinke Jürgen Kasek ist seit rund einem Jahr nicht mehr Landeschef. Die interne Lesart lautet: Harte CDU-Kritik, weil es den Wechsel braucht, aber kein kategorisches Nein zu Bündnisgesprächen. Der in Chemnitz beschlossene Leitantrag fasst das allerdings schärfer. Darin werden Mitglieder von SPD und Linken als potenzielle Partner für den Wandel in Sachsen umworben. Doch die Wiederbelebung der rot-rot-grünen Bündnisidee scheitert bislang wie auch in der vorigen Legislatur an den Zahlen. Der Dreierpakt hätte derzeit keine Mehrheit.

Engagement gegen Klimawandel und für eine weltoffene Gesellschaft: Parteichef Habeck spricht von einer großen „Hoffnungshaltung“, die den Grünen derzeit entgegenschlägt. Das erzeuge Verantwortung: „Wenn wir Teil einer Enttäuschung werden, dann geht mehr kaputt als ein grünes Wahlergebnis.“

Umfragen sehen die Partei sicher im Landtag. Sieben der acht Abgeordneten treten wieder an und werden ohne Gegenkandidaten mit soliden Resultaten bestätigt. Innenexperte Valentin Lippmann, Vierter auf der Liste, formuliert mit Vehemenz sein Ideal der sächsischen Gesellschaft: „Eine Zivilgesellschaft hat nicht zu dienen.“ Sie müsse hinterfragen, zweifeln, Politiker sogar nerven. Ex-Fraktionschef Volkmar Zschocke, Listenplatz sechs, empfindet den „rechtsoffenen Kurs“ in Sachsen als persönlichen Angriff. Erst ab Platz neun kommt es zu konkurrierenden Kandidaturen. Die Freitalerin Ines Kummer unterliegt der Bewerberin der Parteijugend Lucie Hammecke. Kummer wählen die Delegierten dann auf Platz 13, den Dresdner Stadtrat Thomas Löser auf Rang 14.

Habeck rät Partei und Sachsen zur frischen Luft: "Reißt das Fenster auf und die Türen gleich mit und meinetwegen auch die eine oder andere Wand."