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Grüne Rechenzentren für die Lausitz

Das Dresdner IT-Unternehmen Cloud & Heat will mit Datensicherheit gegenüber der US-Konkurrenz punkten und hat eine Idee für die Kohleregion.

Von Nora Miethke
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Jens Struckmeier, einer der Gründer von Cloud & Heat,  hat eine Idee für die Lausitz.
Jens Struckmeier, einer der Gründer von Cloud & Heat, hat eine Idee für die Lausitz. © Foto: Robert Michael

Fahrbare Roboter, autonome Busse oder medizinische OPs per Fernsteuerung – all diese digitalen Anwendungen der Zukunft brauchen viel Computerrechenkapazität. Denn da müssen enorme Datenmengen in kürzester Zeit ausgewertet und verarbeitet werden. Um die Übertragung in Echtzeit zu garantieren, wie die Enthusiasten des neuen Mobilfunkstandards 5G versprechen, müsste alle 30 bis 50 Kilometer ein Rechenzentrum stehen, meint Jens Struckmeier, Gründer des Dresdner Start-ups Cloud & Heat. Im Jahr 2030 werde ein Drittel des gesamten Strombedarfs weltweit nur für Rechenleistung und Datenkommunikation verbraucht werden, betont der Physiker. Digitalisierung ist also nicht nachhaltig und klimafreundlich.

Green Computing ist daher das Zauberwort, und das bieten die Dresdner an. Das 2011 gegründete Unternehmen verkauft dezentrale Rechenzentren, die mit erneuerbarer Energie laufen, aber vor allem erheblich weniger Strom benötigen als übliche Server. Das Besondere an der Cloud&Heat-Technik ist die patentierte Heißwasser-Direktkühlung. Dabei kann die Abwärme von Servern durch ein konstantes Temperaturniveau von 60 Grad Celsius zum Heizen von Gebäuden oder die Anbindung an Fern- und Nahwärmenetze nachgenutzt werden und das ohne den Einsatz weiterer Wärmepumpen. Die Ressourcen werden also gleich doppelt geschont: Einerseits werden Strom und Kühlkosten für das Rechenzentrum gespart, andererseits sinken die Kosten für Heizung oder Warmwasseraufbereitung. 

Statt Bodenschatzabbau lieber Datenschatzaufbau

An etwa 25 Standorten in Deutschland, unter anderem auch im Euroteum, dem alten Bankenturm der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main, stellt Cloud & Heat unter Beweis, dass seine Technologie funktioniert. Der Umsatz hat sich 2018 vervierfacht. Nun wollen sie ihre grünen Cloudserver verstärkt in der Oberlausitz aufbauen und damit Firmen anlocken, deren Produkte und Dienstleistungen große Rechenleistungen verschlingen. Unter Cloud (Datenwolke) versteht man eine IT-Infrastruktur, die über das Internet Speicherplatz und Rechenleistung verfügbar macht.

Diesen möglichen Beitrag zum Strukturwandel im Lausitzer Kohlerevier stellte Struckmeier am Montag EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer vor. Die konkrete Idee ist: An drei Standorten in der Lausitz nahe von Kraftwerken oder Solarparks – dort, wo der Strom entsteht, um Energietransport zu vermeiden – will das Start-up Rechenzentren aufbauen. Die Firma bietet die Technik auch als Modulsystem an, sechs Serverschränke passen in einen handelsüblichen Container. Mit einer Investition von 100 Millionen Euro würden sich laut Struckmeier zehn Megawatt Rechenleistung erreichen lassen. Das entspricht 5 000 klassischen Servern. Damit könnte eine Wertschöpfung von rund einer Milliarde Euro generiert werden, rechnet er vor. Beim Aufbau dieses Pilotprojekts braucht das Unternehmen mit derzeit 100 Mitarbeitern politische Unterstützung. „Den Strukturwandel in der Lausitz sollte man auch als Digitalisierungsstrukturwandel nutzen. Statt Bodenschatzabbau brauchen wir Datenschatzaufbau“, wirbt Struckmeier. Auch würden Arbeitsplätze geschaffen werden etwa für Facilitymanager und beim Bau der Anlagen. Und der Technik-Vorstand ist sich sicher, dass, wenn diese moderne Server-Infrastruktur erst einmal steht, auch die Kunden kommen werden, wenn sie dort zudem ihre Daten sicher verwahrt wissen.

Ein weiterer Vorteil ihrer Technologie sei die sichere Verschlüsselung der Daten. Cloud & Heat habe sich als einer der ersten Clouddienstleister in Sachsen zertifizieren lassen, dass seine Rechenzentren der EU-Datenschutzgrundverordnung entsprechen.

Dass die Bundespolizei Videoaufnahmen auf Cloudservern des US-Konzerns Amazon speichert, müsse wirklich nicht sein, betont Struckmeier. Indem viele deutsche Unternehmen und Behörden ihre Daten von US-Cloudanbietern verwahren lassen, würden sie ihre Geschäftsmodelle den Amerikanern schenken, warnen die IT-Experten. Aber immer mehr Firmen würden sich aus Angst vor Wirtschaftsspionage Gedanken darüber machen, wo ihre Daten liegen und Zertifizierungen für Datensicherheit nachfragen. „Die Daten sollten in der Lausitz liegen und nicht in den USA“, wirbt Struckmeier.

Kohleausstieg muss europäisch werden

Oettinger scheint von der Idee angetan zu sein, fragt aber kritisch nach, warum die Unternehmen in die Lausitz kommen und nicht die großen Hochleistungsrechenzentren in Garching, Jülich oder Stuttgart nutzen sollten. Auch darauf hat Struckmeier eine Antwort: Garching und Jülich seien für akademische Forschung ausgerichtet. „Wir wollen die Rechenzentren für die Bedürfnisse der Industrie und den Konsumenten ausrichten“. Die Projekte rund um das selbstfahrende Auto, die auch in Sachsen verfolgt werden, sind nur ein Beispiel. Gegenüber der Konkurrenz müssten die neuen Rechenzentren preisgünstiger, grüner und sicherer sein.

Struckmeier und sein Team hoffen auf Fördermittel, die der Bund für den Kohleausstieg bis 2040 bereitstellen will. Oettinger erinnert die Landesregierung wie die IT-Firma daran, dass solche Ansiedlungen in Brüssel genehmigungspflichtig sind. „Berlin denkt nicht an Brüssel“, sagt Oettinger. Er ist aufgeschlossen gegenüber der Forderung Kretschmers, ein eigenes Beihilferecht für alle 41 europäischen Kohleregionen zu schaffen. Die Beihilferegeln dienen dazu, unfairen Wettbewerb in Europa zu verhindern. Bevor die Bundesregierung die Hilfsmaßnahmen für den Kohleausstieg in einem Maßnahmegesetz festlegt, sollte sie jedes Hilfsinstrument darauf prüfen, ob es auch in anderen EU-Ländern anwendbar ist, fordert Oettinger. „Sie muss die anderen Kohleregionen und deren Regierungen mit an Bord holen. Der Kohleausstieg muss ein europäisches Konzept werden und darf kein deutsches sein“, sagt der EU-Kommissar. Auch sei bislang auf EU-Ebene noch keine eigene Förderlinie für den Kohleausstieg in den EU-Mitgliedsstaaten vorgesehen. Das ließe sich aber laut Oettinger noch in Gang setzen, bevor nach der Europa-Wahl der Haushalt für die neue Förderperiode verabschiedet wird.

Den Chefs von Cloud & Heat empfiehlt er, sich nicht nur als Dienstleister in deutschen Kohleregionen zu entwickeln, sondern auch in Polen, Rumänien oder der Slowakei. Einen wichtigen Kontakt haben die Dresdner da schon. Zu den Investoren von Cloud & Heat gehört neben dem Gasversorger VNG auch Inven Capital, die Risiko-Beteiligungsgesellschaft der CEZ-Gruppe, einem der größten Energiekonzerne in Mittel- und Osteuropa. Struckmeier ist mit dem Treffen sehr zufrieden. Und als Nächstes will das Start-up mit seinen Investoren über ihre Lausitz-Idee verhandeln.