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Günstige Mieten allein reichen nicht

Aus Mietersicht ist der Wohnungsmarkt im Landkreis äußerst entspannt. Trotzdem strömen noch keine Massen her.

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© nikolaischmidt.de

Von Ingo Kramer

Landkreis. Als Reiseverkehrskauffrau ist Silvia Atilla ihr Leben lang viel in der Welt herumgekommen. „Ich habe viele Orte gesehen und kann mir einen Vergleich erlauben“, sagt die heute 65-jährige Rentnerin. Seit 1. August lebt sie im feinen Görlitzer Stadtteil Biesnitz. „Hier zahle ich für 51 Quadratmeter 390 Euro warm“, sagt sie. Die Wohnung sei deutlich schöner und auch größer als die alte im südbadischen Schopfheim – und preiswerter obendrein: „Dort habe ich 560 Euro warm bezahlt.“

Allerdings sei der Preis nicht das einzige Argument für einen Umzug in den äußersten Osten Deutschlands gewesen: „Görlitz ist auch unschlagbar schön.“ Und die Leute seien nett, etwa die Vermieter, die ihr viele Wohnungen gezeigt haben. Am Ende hat sie sich für den städtischen Großvermieter Kommwohnen entschieden, bei dem sie auch das Begrüßungspaket erhält, also in den ersten zwei Monaten keine Kaltmiete zahlt und weitere Vorteile genießt.

Doch sind die Mietpreise tatsächlich der große Pluspunkt, mit dem der Landkreis deutschlandweit werben kann? „Ja, wir sehen die Preise als sehr entspannt an“, sagt Stephan Brünn, der mit seinem Mieterschutz-Verein in Görlitz, Löbau, Niesky und Weißwasser agiert. Allerdings habe die Attraktivität des Landkreises auch etwas mit der Verfügbarkeit an Arbeitsplätzen zu tun. Auch Steffen Pohl, Geschäftsstellenleiter beim Gutachterausschuss des Landkreises, wertet Mieten aus. Weil es aber keinen Mietspiegel gibt, seien die Daten statistisch nicht gesichert. Der Gutachterausschuss geht in seinem Grundstücksmarktbericht 2017 auch auf das Thema Mietpreise ein. „In den vergangenen sieben Jahren gibt es dabei nach unseren Beobachtungen keine signifikanten Veränderungen“, sagt Pohl.

Diese Aussage deckt sich mit dem empirica-Wohnungsmarktreport für den Landkreis Görlitz. Demnach halten sich die Mietpreise für Wohnungen im Landkreis seit 2004 relativ konstant bei durchschnittlich 4,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat herausgefunden, dass im Vergleich der Jahre 2010 und 2016 die Mieten in Deutschland um 10,2 Prozent gestiegen sind. Eine Schlussfolgerung wäre: Wenn die Preise anderswo steigen, nur hier nicht, wird der Landkreis immer attraktiver für Zuzügler.

Tatsächlich seien aber noch nicht viele Zuzügler zu sehen, hält Stefan Kofner dagegen. Er ist Professor für Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Zittau. Allenfalls ein paar Pensionäre sowie Wohngruppen von Jüngeren auf dem Lande gebe es. Für ihn ist die Vielfalt der Wohnmöglichkeiten ein Pluspunkt für die Region: „Man kann auch für 20000 Euro ein Umgebindehaus kaufen und schrittweise sanieren.“ Die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und die Preise seien Pfunde, mit denen die Region noch viel mehr wuchern könnte.

Nicht alle Vermieter bestätigen konstante Preise. „Durch die stetigen Sanierungen ist bei uns eine moderate Mietpreisentwicklung zu verzeichnen“, sagt Simone Oehme, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Görlitz (WGG). Der Mietpreis werde für Menschen, die einen Umzug erwägen, aber nicht der einzige Grund sein. „Da muss das Gesamtpaket stimmen“, sagt sie und verweist auf soziale Kontakte, Einkaufsmöglichkeiten, eine gute Infrastruktur, günstige Verkehrsanbindungen, die Verfügbarkeit von Kindereinrichtungen und Schulen sowie die ärztliche Versorgung und nicht zuletzt die Chance auf einen Arbeitsplatz mit adäquater Bezahlung.

Kommwohnen-Chef Arne Myckert spricht von einem „deutschlandweit einmaligen Preis-Leistungs-Verhältnis beim Wohnen“. Die Mieten seien aber insgesamt zu niedrig, um den Vermietern ausreichende Rücklagen für den Unterhalt der Gebäude zu ermöglichen. „Auf dem freien Wohnungsmarkt gibt es mit moderaten Preissteigerungen in den vergangenen Jahren aber ermutigende Tendenzen“, so Myckert.

Auch Uta-Sylke Standke, Geschäftsführerin der Wohnbaugesellschaft Zittau, erlebt die Preise als zu niedrig: „Jeder Vermieter muss seine Investition amortisiert wissen, die Bildung einer Instandhaltungsrücklage muss wieder möglich werden.“ Eine Entwicklung bei den Mietpreisen habe es in den vergangenen Jahren absolut nicht gegeben. Die Entwicklungen bei den Kosten der Unterkunft (KdU) seien ebenso beunruhigend. Beim dafür zuständigen Landkreis war seit Ende voriger Woche niemand für eine Stellungnahme erreichbar. Prinzipiell aber ist es so, dass der Kreis die gängigen Mietpreise über Wohnungsanzeigen ermittelt – und daraus die KdU festlegt, die für Hartz-IV-Empfänger gelten. Ein Mietspiegel wäre dafür hilfreich. Den hat auch Silvia Atilla nicht, dafür Erfahrungen und Vergleichswerte. „Und da sind die Preise und die Schönheit gleich zwei Argumente, die keiner schlagen kann“, sagt sie.