Von Ines Eifler
Als die Europa Chor Akademie vor einigen Wochen ankündigte, dass sie Anfang September die Johannespassion von Johann Sebastian Bach in der Evangelischen Kreuzkirche aufführen werde, war so mancher Konzert- und Kirchgänger verwundert. Dieses Werk um die Gefangennahme und die Kreuzigung Jesu Christi, die vor fast 300 Jahren an einem Karfreitag uraufgeführt wurde, soll nun, mitten im Altweibersommer die Herzen erreichen?
„Große Werke von Bach wie dieses werden weltweit zu allen Jahreszeiten aufgeführt“, sagt Joshard Daus dazu, der die in Görlitz gegründete Europa Chor Akademie künstlerisch leitet. „Das sehe ich nicht als Problem.“ Kirchenmusikdirektor Reinhard Seeliger, Leiter des Görlitzer Bachchors, stimmt Daus insofern zu, also er sagt: „Bachs großartige Musik kann man natürlich immer aufführen.“ Allerdings würde es ihm als Kirchenmusiker trotzdem nie einfallen, im Herbst eine Passion aufzuführen. Wem das Religiöse nicht wichtig sei, der stelle auch mal Programme aus Opernarien und Kirchenliedern zusammen, das sei nicht selten. „Aber ich denke doch, die Johannespassion gehört zu Karfreitag.“
Inzwischen hat die Europa Chor Akademie jedoch ohnehin aus anderen, nicht religiösen Gründen ihr Vorhaben geändert. Das Konzert in der Kreuzkirche sollte ursprünglich der Abschluss der zehntägigen Chor-Orchester-Akademie sein, die seit dem 24. August im Europäischen Zentrum für Erinnerung, Bildung und Kultur auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Stalag IIIV A in Zgorzelec stattfindet. Nun wird es kein großes Kirchenkonzert geben, sondern am Montag- und Dienstagabend je ein öffentliches Gesprächskonzert mit freiem Eintritt.
„Wir möchten die Menschen zum Dialog einladen“, sagt Joshard Daus, „und auch weil wir in erster Linie unsere pädagogische Akademie-Arbeit in den Vordergrund stellen wollen, haben wir uns gegen die große Kirche, für den Werkstattcharakter entschieden. Hier können wir besser mit den Zuhörern ins Gespräch kommen.“ Diese werden dabei intensiv mit der Johannespassion vertraut gemacht und erfahren mehr über die Arbeit der Europa Chor Akademie. Denn was diese tut und vorhat, ist vielen Görlitzern noch nicht bewusst.
„Hier werden Spitzenkräfte aus Europa für die deutschen Konzertsäle vorbereitet“, sagt Daus. Die Erarbeitung der Johannespassion ist dabei Teil einer zwei- bis dreijährigen musikalischen Weiterbildung für junge Nachwuchsmusiker, die vorwiegend aus Osteuropa kommen. Die Europa Chor Akademie kooperiert dafür mit den Symphonikern Hamburg. In diesen Tagen findet die erste gemeinsame Akademie für Stipendiaten sowohl des Orchesters als auch der Europa Chor Akademie statt, alles studierte Musiker. Mit dabei sind auch Studenten aus Posen, Kattowitz und Breslau.
Um das Werk mit den jungen Leuten zu erarbeiten, ist der Intendant der Symphoniker Hamburg Daniel Kühnel angereist. Er hat die Görlitzer Chor-Orchester-Akademie zur Johannespassion initiiert und entwickelt. Und vor wenigen Tagen im Hamburger Abendblatt betont, wie gern er trotz der Vorfälle in Chemnitz nach Sachsen und Görlitz reise. Ebenso ist der Musikwissenschaftler Dr. Jürgen Blume vor Ort, der Liedsänger Hans Christoph Begemann, der Pianist Jonathan Alder, der bei den Berliner Philharmonikern spielt, der Tenor und Echo-Klassik-Preisträger Stephan Rügamer sowie mehrere Stimmführer der Symphoniker Hamburg. Neben Joshard Daus studieren sie mit den Musikern und Sängern die Johannespassion ein. Die Nachwuchskünstler erfahren außerdem eine Menge über den religiösen Hintergrund des Werkes, die Entstehung, Bachs Motivation, Anliegen und Arbeitsweise. Dies ist neben der Musik auch Inhalt der Gesprächskonzerte.
Insgesamt ist die Europa Chor Akademie seit ihrer Ansiedlung in Görlitz 2017 abgesehen von wenigen Konzerten noch nicht sehr präsent in Stadt und Umgebung. „Aber das ist unser Ziel“, sagt Joshard Daus. Neben der Ausbildung europäischer Nachwuchskünstler sind Fortbildungen für Musiklehrer aus der Lausitz und Projekte mit Schulen geplant, eine Kinderoper und manches mehr.
Was für eine engere Anknüpfung in Görlitz noch aussteht, ist eine Abstimmung der langfristigen Konzertplanung zum Beispiel mit dem Bachchor. Beinahe wäre es zur Parallel-Einstudierung eines Werks gekommen. Die Europa Chor Akademie hatte sich ursprünglich Bachs h-Moll-Messe vorgenommen, doch die führt bereits der Bachchor im Oktober auf. „Als wir das erfuhren“, sagt Joshard Daus, „haben wir sofort auf Johannespassion umgeschwenkt.“
Gesprächskonzerte zu Bachs Johannespassion im Europäischen Zentrum für Erinnerung, Bildung und Kultur, Zgorzelec, Kozlice 1: Montag, 19.30 Uhr: Teil I, Dienstag 19.30 Uhr: Teil II