Von Eric Weser
Wülknitz. Tief „Egon“ gibt alles: Es weht ein heftiger Winterwind in Wülknitz am Freitag um die Mittagsstunde. Auf der Lichtenseer Straße rumpelt um diese Zeit nur ab und an ein Auto quer über die Gleise. Der Fahrer eines schwarzen Audi-Kombi bremst besonders vorsichtig, schaut links und rechts. Er wirkt ein wenig irritiert von den Menschen in ihren auffällig orangefarbenen Warnschutzjacken.
Seit einer Woche herrschen außergewöhnliche Zustände am Bahnübergang gleich neben dem Wülknitzer Imprägnierwerk. Statt einer Automatik sperren zwei Mitarbeiter der Deutschen Bahn händisch die Schranken. Jedes Mal, wenn sich ein Zug auf der Strecke zwischen Riesa und Gröditz ankündigt, muss das Duo aktiv werden. Grund dafür ist ein Unfall vom vorigen Freitag. Dabei war ein 36-Jähriger mit seinem Mercedes-Lkw in eine der Schranken gekracht und hat dabei einen Schaden von etwa 10 000 Euro verursacht, hatte die Polizei mitgeteilt.
Inzwischen ist es am Bahnübergang kurz nach Viertel eins, und es naht die erste Zugdurchfahrt der zweiten Tageshälfte. Die Bahnmitarbeiter eilen von einem Andreaskreuz über die Straße zum anderen und machen das rot-weiße Absperrband fest. Zusätzlich platziert jeder einen dreibeinigen Aufsteller mit Zugsymbol, „Halt!“-Aufschrift und roter Baustellenleuchte auf die Straßenmitte.
So lief es laut Pressestelle der Bahn die gesamte Woche über – zu jeder Zeit. „Der Posten in Wülknitz ist 24 Stunden am Tag besetzt“, heißt es auf Anfrage. Allein für Personenzüge der Mitteldeutschen Regionalbahn spielt sich das Prozedere gut 30 Mal täglich ab – Güterzüge und andere nicht eingerechnet.
Zur Erklärung, warum in Wülknitz die Sicherungsposten zum Einsatz kommen, erklärt die Bahn: „Es gibt interne Regelwerke, die diesen Prozess regeln.“ Straßenverkehrsteilnehmern müsse demnach „deutlich signalisiert werden, dass eine Zugfahrt zu erwarten ist.“
In Wülknitz, das eine jahrzehntelange Eisenbahner-Tradition hat, freuen sich Anwohner über eher traditionell anmutende Sicherung des Übergangs. „Aber der Zustand hält schon ganz schön lange an“, findet ein Wülknitzer. Und auch die Mitarbeiterin eines benachbarten Betriebes kann sich nicht erinnern, schon mal eine so lange händische Sperrung erlebt zu haben.
Der Deutschen Bahn zufolge sind die Mitarbeiter, die die Übergänge sichern, speziell für die Arbeit ausgebildet. Sie seien von der Bahntochter DB Netz beauftragt. Laut Bahn gibt es im Wesentlichen drei wesentliche Ursachen, die solche Einsätze begründen. Planmäßige Arbeiten an Schranken. Technische Störungen. Oder, wie jetzt in Wülknitz, Beschädigungen der Anlage, zum Beispiel durch Verkehrsunfälle. Insgesamt kämen derlei Einsätze „nicht häufig“ vor, heißt es von der Bahn, ohne eine Größenordnung zu nennen. Ein Mitarbeiter vor Ort erzählt, für ihn sei es schon der zweite Einsatz an einer von Autofahrern ramponierten Schranke in diesem Jahr.
In Wülknitz ist es ein Einsatz unter widrigen Witterungsumständen. Nicht nur an diesem Freitag pfiff trotz Plusgraden ein eisiger Wind stürmisch durch den Ort. Am Mittwoch hatte das Bahn-Personal mit reichlich Schneefall zu tun. Die Sicherungsposten – am Freitag ist es hüben eine Frau und drüben ein Mann – wirken aber, als seien sie hart im Nehmen. Zwischen ihre Einsätzen blieben beide jedenfalls neben den Andreaskreuzen.
Allein war das Duo am Freitag nicht, ein Reparaturtrupp war ebenfalls da, um die neue Schranke zu installieren. Laut Bahn sollte die Reparatur am Freitagabend gegen 20 Uhr abgeschlossen sein. Womit auch der Einsatz der Bahnübergangsposten in Wülknitz zu Ende gegangen sein dürfte.