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Ein Kreuzbandriss, der Schock und die Folgen

Deutschlands Spielmacher verletzt sich schwer – und verabschiedet sich emotional von der Handball-WM. Motto der Kollegen: "Jetzt erst recht."

Von Tino Meyer
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Martin Strobel liegt am Boden. Das Kreuzband ist gerissen, die WM für ihn beendet. Da helfen auch die aufbauenden Worte von Kapitän Uwe Gensheimer nicht.
Martin Strobel liegt am Boden. Das Kreuzband ist gerissen, die WM für ihn beendet. Da helfen auch die aufbauenden Worte von Kapitän Uwe Gensheimer nicht. © dpa/Marius Becker

Plötzlich stehen sie doch wieder zusammen – und manchem der starken, der unverwundbaren Männer, als die Handballer gemeinhin durchgehen, die Tränen in den Augen. Mit Martin Strobel, bis gerade noch ihr Spielmacher und jetzt mit Krücken in der Hand, hat gegen Mitternacht im deutschen Mannschaftshotel niemand gerechnet.

In Gedanken, das sagt jeder nach dem dramatisch-emotionalen 22:21-Erfolg am späten Montagabend gegen Kroatien, sind sie ja alle bei ihm gewesen. „Das mit Martin“, erzählt Rechtsaußen Patrick Groetzki über die bangen Augenblicke in der Anfangsphase, als sich Strobel ohne Fremdeinwirkung das Knie verdrehte und auf einer Trage die Halle verlassen musste, „war ein Riesenschock. Es ist dann auch wirklich schwer, so ein Spiel zu spielen, weil man das ständig im Kopf hat“.

Und Fabian Böhm, der mit Strobel bei der WM ein Zimmer teilt, geht noch weiter. „Das hat mich und uns alle sehr mitgenommen. Ich habe mit Martin seit Dezember mehr Zeit verbracht als mit meiner Frau. Er hat eine ganz wichtige Rolle im Team. Nur weil er seit einiger Zeit in der zweiten Liga spielt, heißt das nicht, dass er keine Qualität hat“, sagt Böhm über den 32-Jährigen, der tatsächlich in der zweiten Handball-Bundesliga spielt – beim Spitzenreiter Balingen-Weilstetten.

Die genaue Diagnose gibt es zwar erst Stunden nach dem besiegelten Einzug ins WM-Halbfinale, doch im Grunde ist sofort klar, dass nicht nur das Turnier für Strobel beendet ist. Der Europameister und Olympia-Dritte von 2016, auf dem Spielfeld so etwas wie der verlängerte Arm des Bundestrainers, fällt mit gerissenem Kreuz- sowie Innenband im linken Knie bis weit in die zweite Jahreshälfte aus.

„Es war schrecklich, als man ihn auf die Trage gehoben hat, weil er vor Schmerzen geschrien hat. Das ist die Gewissheit, dass es etwas Schlimmeres ist als eine Prellung oder eine Zerrung“, rekonstruiert Christian Prokop die Ereignisse in der neunten Minute des Hauptrundenspiels und spricht von einem „ganz schlimmen Moment“.

Ausgerechnet Strobel hat es erwischt, ausgerechnet seinen Mann also, den er gegen alle äußeren Widerstände in die Auswahl zurückholte – und der bei der WM zu den Leistungsträgern bei den Deutschen gezählt hat. „Martin hat die Nationalmannschaft mit großem Einsatz auf den Weg gebracht. Dafür sind wir ihm sehr dankbar. Wir spielen jetzt auch für ihn“, sagt Prokop, wohlwissend, dass sich dieser Strobel de facto nicht ersetzen lässt.

Strobels Ersatz ist deutlich unerfahrener

Der Bundestrainer hat tags darauf Tim Suton nachnominiert, im erweiterten WM-Kader ohnehin als eine Art Backup für die Spielmacherposition vorgesehen. Mit sieben Länderspielen ist der 22-Jährige vom TBV Lemgo jedoch deutlich unerfahrener als der stets in sich ruhende Strobel, der nach zwölf Jahren in der Auswahl nicht zuletzt ein gutes Gespür für das Binnenklima einer Mannschaft entwickelt hat.

Doch er spürt, dass dieses deutsche Team spätestens nach dem erfolgreich beendeten Krimi gegen die Kroaten zu Großem in der Lage ist – nun eben nur ohne ihn. Das hat er seinen Mitspielern zu mitternächtlicher Stunde im Mannschaftshotel in aller Deutlichkeit auch so mitgeteilt – und sich dabei den eigenen Schmerz nicht anmerken lassen. „Ihm geht es natürlich nicht gut, aber er hat noch einmal wichtige interne Worte gefunden. Das ist ein ganz starkes Zeichen von ihm gewesen und zeugt von absoluter Größe in einem so schweren Moment“, sagt Prokop und erzählt noch, dass sich Strobel bedankt habe „für die geile Zeit bis hierhin“. Mehr verrät der Bundestrainer nicht.

In der offiziellen Verbandserklärung klingt das dann ein Stück nüchterner. „Es hat mich leider hart erwischt“, heißt es da. Und weiter: „Ich glaube an diese Mannschaft und wünsche den Jungs für das weitere Turnier, dass sie ihren Weg gehen.“

Davon ist der Bundestrainer überzeugt. „Das ist die Stärke der deutschen Nationalmannschaft – dass jeder für jeden einsteht. Wir haben nicht den einen Weltstar“, sagt Prokop. Und das Motto für den weiteren Turnierverlauf nennt Kapitän Uwe Gensheimer: „Jetzt erst recht.“

Tim Suton wurde für Martin Strobel nachnominiert und soll am Mittwoch gegen Spanien erstmals zum Einsatz kommen. 
Tim Suton wurde für Martin Strobel nachnominiert und soll am Mittwoch gegen Spanien erstmals zum Einsatz kommen.  © dpa/Julian Stratenschulte