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Hanf aus eigenem Anbau gegen den Schmerz

Ein Putzkauer leidet seit Jahren an Lyme-Borreliose. Aus Not griff er zur Selbsthilfe – und sieht sich nun kriminalisiert.

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© Steffen Unger

Von Ingolf Reinsch

An einem Vormittag waren die sechs Polizisten plötzlich da, sie standen auf dem Grundstück in Putzkau. Zwei forderten sie auf, das Haus zu verlassen, berichtet Michelle Czymek. Die anderen vier durchsuchten schon den Garten. Was sie suchten, fanden sie schnell: 15 Hanfpflanzen.

Eine Hanfpflanze. Foto: dpa/Oliver Berg
Eine Hanfpflanze. Foto: dpa/Oliver Berg © dpa

Der Besuch galt nicht der 18-Jährigen, sondern ihrem Vater, der das Nachbargrundstück bewohnt. „Sie haben meine Tochter in Angst und Schrecken versetzt“, sagt Frank Czymek wenige Tage später der SZ. Der Mittfünfziger sucht die Öffentlichkeit. Er sieht sich im Spannungsfeld einer für ihn fragwürdigen Entscheidung seiner Krankenkasse, strafrechtlicher Ermittlungen und einer, auch in politischen Kreisen, umstrittenen Gesetzeslage, durch die Konsumenten von Rauschmitteln schnell kriminalisiert werden können.

Ja, er habe Hanf angebaut, sagt er und betont: Es war medizinischer Hanf, nur für den eigenen Bedarf, um seine Schmerzen zu lindern. Frank Czymek steht dazu. Irgendwann hätte man die Pflanzen, die bis zu drei Meter hoch werden können, wohl auch von der Straße aus gesehen. Doch die Staatsanwaltschaft wurde schon jetzt auf den nicht genehmigten Hanf-Anbau aufmerksam. Die Schwester von Frank Czymek hatte ihren Bruder angezeigt. So steht es in einem Schreiben der Staatsanwaltschaft über das Ermittlungsverfahren.

Hohe Hürden für Cannabis-Medikamente

Der Bundestag beschloss 2017, unter welchen Voraussetzungen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Verordnung von Arzneimitteln mit Cannabisblüten und -extrakten übernehmen.

Eine Kostenübernahme ist nur möglich, wenn folgende Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind: eine schwerwiegende Erkrankung, wenn keine allgemein anerkannte, den medizinischen Standards entsprechende Leistung zur Verfügung steht und wenn eine Aussicht auf spürbare Besserung der Erkrankung besteht. (Quelle: IKK classic)

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Dem geht eine jahrelange Vorgeschichte voraus. Offenbar ein zu spät erkannter Zeckenstich warf den gelernten Werkzeugmacher, der zuletzt bei einem großen Unternehmen CNC-Maschinen bedient und programmiert hatte, gesundheitlich aus der Bahn. Lyme-Borreliose wirkt zunächst wie eine Grippe, äußert sich im weiteren Verlauf durch eine Vielzahl von Symptomen und kann auch erst Jahre nach der Infektion merklich ausbrechen. Seit Jahren hat Frank Czymek Schmerzen. Im Dezember 2012 drängte er auf einen Bluttest. Seit demselben Jahr ist er arbeitsunfähig. Nicht nur wegen der Schmerzen, auch wegen der Folgen der Krankheit, die die Psyche und das Nervensystem schädigen. Jahrelang konsultierte er Ärzte, war in Fachkliniken, wurde mit Medikamenten vollgestopft, ohne dass sich sein gesundheitlicher Zustand verbesserte, berichtet er. Schließlich stieß er auf eine Dresdner Ärztin , wo er sich verstanden fühlte und die ihm helfen konnte. Inzwischen ging sie in den Ruhestand, bedauert er. Die Krankheit zehrt. Mittlerweile ist Frank Czymek auf eine Gehhilfe angewiesen. Die vielen Medikamente, die er einnehmen muss, greifen seine Nieren an. Irgendwann, befürchtet er, werde er an die Dialyse müssen. Vor Kurzem wurde ihm die Pflegeklasse 1 zuerkannt.

Der 10. März 2017 markiert in seiner Krankengeschichte ein besonderes Datum. An jenem Tag traten in Deutschland Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes in Kraft. Menschen, die beispielsweise an Krebs, Multiple Sklerose oder einer anderen schweren Krankheit leiden, können von ihrem Arzt Cannabismedikamente verschrieben bekommen. Frank Czymek schöpfte Hoffnung und stellte gleich am 10. März einen Antrag bei seiner Krankenkasse auf Kostenübernahme – ohne Erfolg. Sein Antrag wurde abgelehnt. Deshalb griff er zur Selbsthilfe, besorgte sich Hanfpflanzen und stellte aus den Blüten selbst Tropfen mit geringem THC-Gehalt her. Tropfen deshalb, um die Einnahme kontrollieren zu können. Die Tropfen halfen gegen die Schmerzen und zur Beruhigung.

Zur Prüfung seines Antrags schaltete seine Krankenkasse, die IKK classic, den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) ein. „Hier prüfen Ärzte die sozialmedizinischen Voraussetzungen der Kostenübernahme anhand der eingereichten Unterlagen. Im Bedarfsfall werden ergänzende Informationen bei den behandelnden Ärzten eingeholt. Nach Vorlage des MDK-Gutachtens entscheidet die Krankenkasse über die Kostenübernahme“, sagt Pressesprecherin Andrea Ludolph. Die MDK-Gutachter sahen weder die verordnungsbegründende Diagnose Neuroborreliose als gesichert an, noch die Vorgaben des Gesetzgebers zur Kostenübernahme erfüllt.

Stattdessen empfehlen sie, andere Therapien parallel durchzuführen: „Bei dem Versicherten können Möglichkeiten einer Physiotherapie, einer medikamentösen Schmerztherapie, einer Verhaltenstherapie sowie eines psychosomatischen Therapieansatzes zum Einsatz kommen“, heißt es. „Die IKK classic musste aufgrund der klaren rechtlichen Regelungen die Kostenübernahme des cannabinoidhaltigen Arzneimittels Sativex®Spray ablehnen“, sagt Andrea Ludolph. „Trotz Verständnis für die schwierige gesundheitliche Situation unseres Versicherten, können wir als gesetzliche Krankenkasse Leistungen nur im Rahmen der gesetzlichen Regelungen auf Kosten der Versichertengemeinschaft gewähren. Wir haben Herrn Czymek mehrfach gebeten, sich an seinen behandelnden Arzt zu wenden, um die benannten Therapiemöglichkeiten zu besprechen.“

Frank Czymek sagt: „Es war gut, dass der Bundestag die Gesetzesänderung beschlossen hat. Aber es war ein Fehler, die Durchsetzung in die Hände der Krankenkassen zu legen.“ Er sieht gesetzlich Versicherte benachteiligt, spricht von einer „Zwei-Klassen-Medizin“. Mit seiner Kritik steht er nicht allein. „Cannabisblüten sind seit 2017 in Deutschland verschreibungsfähig. In der Realität haben viele Patienten allerdings weiterhin keine Möglichkeit, Cannabis legal zu erwerben“, schreibt die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin. Sie initiierte eine Petition an den Bundestag, in der sie die straffreie Nutzung von Cannabis für alle Patienten fordert, bei denen aus ärztlicher Sicht eine Behandlung medizinisch notwendig ist.

Den Vorwurf, die Krankenkassen würden vorrangig nach Kosten entscheiden, weist Andrea Ludolph für die IKK classic zurück. Seit dem 10. März 2017 bis zum 7. August 2018 erhielt die Krankenkasse bundesweit 1 433 Anträge auf Kostenübernahme. Davon wurden 838 Anträge genehmigt, mehr als 50 Prozent. Die monatlichen Kosten für eine Medikation mit Cannabismedikamenten liegen, je nach Art des Arzneimittels zwischen 400 und etwa 3 000 Euro. Im Fall von Frank Czymek würden sie nach Angaben der IKK etwa 430 Euro betragen.

Der Putzkauer will sich mit der Ablehnung seines Antrages nicht abfinden. Er klagt vor einem Sozialgericht. Hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft ist er zuversichtlich, dass es eingestellt wird. Handy und Computer, von der Polizei ebenfalls beschlagnahmt, konnte er schon wieder abholen, weil er mit dem angebauten Hanf ja nachweislich nicht gehandelt habe, sagt er. Die Staatsanwaltschaft Görlitz äußert sich zum laufenden Verfahren nicht. Bleibt die Frage: Wie besiegt Frank Czymek ohne seine Tropfen nun den Schmerz?