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Herero-Klage könnte teuer werden

Herero und Nama fordern Wiedergutmachung wegen des Völkermords in Deutsch-Südwest. Es geht nicht nur um Geld.

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© keystone

Mehr als 100 Jahre nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft im heutigen Namibia haben zwei Volksgruppen die Bundesregierung wegen Völkermordes verklagt. Vertreter der Herero und Nama fordern finanzielle Entschädigung für die Massaker in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika.

Jürgen Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte (Afrika) an der Uni Hamburg und Präsident des International Networks of Genocide Scholars.
Jürgen Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte (Afrika) an der Uni Hamburg und Präsident des International Networks of Genocide Scholars. © dpa

Herr Professor, wie groß sind die Erfolgschancen für die Entschädigungsklage von Herero und Nama gegen Deutschland wegen des Genozids?

Das ist schwierig zu beurteilen, weil man zwischen den rechtlichen und politischen Chancen unterscheiden muss. Hinzu kommt, dass die Klage aus zwei Teilen besteht. Zum einen geht es um finanzielle Wiedergutmachung für Völkermord und Landenteignung. Zum anderen fordern die Vertreter der Herero und Nama, an den Regierungsverhandlungen beteiligt zu werden, die Deutschland und Namibia führen. Wenn das nicht geschieht, werden sie jedes Abkommen als nichtig betrachten. Sie berufen sich auf die Uno-Deklaration von 2007 über die Rechte indigener Völker, der sowohl Deutschland als auch Namibia beigetreten sind.

Um welche Rechte geht es?

Die Deklaration räumt indigenen Völkern ein besonderes Mitspracherecht bei Verhandlungen ein, die sie selbst betreffen. Und: Sie dürfen selbst bestimmen, wer sie vertritt. Das ist eine entscheidende Frage. Bei den Verhandlungen mit Deutschland sitzt ein Herero als namibischer Verhandlungsführer mit am Tisch. Doch er wurde von der Regierung Namibias bestimmt, nicht von den Vertretern der Volksgruppe. Bei diesem Punkt gibt es wohl die größten Erfolgsaussichten für die Klage.

Warum ist es gerechtfertigt, von einem Genozid zu sprechen?

Die deutsche Schutztruppe hat den Aufstand von Herero und Nama nicht nur niedergeschlagen. Sie hat einen Vernichtungskrieg gegen beide Völker geführt. Die Deutschen hielten jeglichen Widerstand für illegitim. Jeder, der Gegenwehr leistete, wurde erschossen.

Welchen Stellenwert hat die Zahl der Opfer bei der Einstufung eines Völkermordes?

Das ist ohne Belang. Entscheidend ist das Ziel, eine Volksgruppe als solche zu vernichten. Das lässt sich im berüchtigten Befehl des Generals von Trotha belegen. Die Opferzahlen bei den Nama mit etwa 10 000 oder den Herero mit 60 000 bis 70 000 sind vergleichsweise gering, wenn man sie etwa mit der Zahl der Toten im Zweiten Weltkrieg vergleicht. Es handelte sich aber um bis zu 80 Prozent der Herero- und bis zu 50 Prozent der Nama-Bevölkerung. Auch dass Herero und Nama überlebt haben, macht das Verbrechen nicht kleiner.

Sehen Sie einen Unterschied beim Umgang mit dem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich und dem Genozid an Herero und Nama?

Der Bundestag hat in seiner Resolution im Sommer 2016 die Massaker an den Armeniern als Völkermord bezeichnet. Dafür gab es nicht nur Zustimmung, sondern auch den Vorwurf der moralischen Doppelzüngigkeit. Denn die Türkei historisch zu belehren für etwas, was man im Falle der Herero und Nama selbst bis dahin verweigert, passt nicht zusammen.

Die Bundesregierung lehnt Entschädigungen ab und verweist auf Entwicklungshilfe, die Namibia seit der Unabhängigkeit erhalten hat. Reicht das aus?

Das ist schon auf der Ebene der Terminologie problematisch. Es geht um die Anerkennung von Schuld und um die Wiedergutmachung für Unrecht. Dagegen ist Hilfe etwas, was man großzügig gewährt. Pro Kopf der Bevölkerung hat Namibia mehr Entwicklungshilfe aus Deutschland erhalten als jedes andere Land. Doch es herrscht seit Langem Streit darüber, wohin das Geld fließt. Herero und Nama fühlen sich benachteiligt. Das ist auch der Grund für ihre Klage. Die namibische Regierung fordert einen Wiedergutmachungsfonds, der allen Namibiern zugutekommen soll. Allerdings sind nicht alle Namibier vom Völkermord und seinen Folgen betroffen.

Seit Ende 2015 verhandelt die Bundesregierung mit der Regierung Namibias. Was sollte am Ende dieser Verhandlungen stehen?

Die Gespräche finden hinter verschlossenen Türen statt; es dringt wenig nach außen. Es spricht aber manches dafür, dass es keine Reparationen geben wird, jedenfalls nicht mit diesem Begriff. Der deutsche Botschafter spricht von freiwilligen Leistungen zur Heilung und Entwicklung, die gezielt Regionen zugutekommen können, in denen besonders betroffene Gemeinschaften leben. Vielleicht einigt man sich auf einen Entwicklungsfonds oder die Finanzierung eines Investitions- oder Landreformprogramms. Entscheidend wird es sein, dafür zu sorgen, dass davon wirklich die Nachfahren der Völkermordopfer profitieren. Die Vertreter der Herero und Nama fürchten, dass am Ende der Verhandlungen ein Abkommen steht, von dem sie nichts haben, aber völkerrechtlich jeden weiteren Anspruch für immer ausschließt. Um das zu verhindern, haben sie Klage erhoben.

Welche Konsequenzen drohen Deutschland, wenn die Klage Erfolg hat?

Wenn gerichtlich festgestellt wird, dass Deutschland wegen des Völkermordes Entschädigung zahlen muss, also für das Töten von Menschen, wären die Folgen immens. Dann würden auch andere Massaker während der Kolonialzeit relevant – beispielsweise der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika, die Strafexpeditionen in Kamerun, Togo und den Südsee-Kolonien. Hinzu kommt, dass sich die Frage der Wiedergutmachung für Millionen Opfer im Ersten und Zweiten Weltkrieg neu stellen könnte. Und schließlich wäre das Ganze auch ein Präzedenzfall für alle anderen früheren Kolonialmächte, also auch für Großbritannien, Frankreich oder Portugal.

Es könnte auch einen positiven Effekt geben: die stärkere Beschäftigung mit der kolonialen Rolle Deutschlands. Warum wäre das wichtig?

Allein schon deshalb, um die Rolle des Rassismus in der deutschen Gesellschaft offenzulegen. Dabei spielt die koloniale Vergangenheit eine entscheidende Rolle. Sie muss so intensiv aufgearbeitet werden, wie man es mit dem Nationalsozialismus getan hat.

Woran liegt es, dass die Erinnerung an die Rolle Deutschlands als Kolonialmacht entweder verblasst ist oder verklärt wurde?

Deutschlands Zeit als Kolonialmacht war bereits 1919 beendet. Als in den 50er- und 60er-Jahren Briten und Franzosen mit Unabhängigkeitsbestrebungen in ihren Kolonien konfrontiert waren und blutige Kriege führten, waren die Deutschen davon nicht berührt. Die eigene Kolonialzeit lag schon lange zurück. Es herrschte so etwas wie koloniale Amnesie, die diesen Teil der Vergangenheit gern ins Reich des Exotischen stellt und mit nostalgischem Blick betrachtet.

Das Gespräch führte Frank Grubitzsch