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Herr Herrmann mit dem grünen Daumen

Seit 50 Jahren verkauft Eberhard Herrmann Tulpen und Stiefmütterchen. Dabei sollte man ihn nicht stören.

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Von Henry Berndt

So viel Wohnlichkeit traut man der hölzernen Baracke von außen gar nicht zu. Gemusterte Tischdecken, allerlei Tierfiguren, Bilder an der Wand, dazu eine kleine Küche mit Herd, Kühlschrank und einem Gewürzregal. Eberhard Herrmann verschwindet in einer kleinen Nische und kommt mit einem großformatigen, gerahmten Foto wieder hervor. Das Bild zeigt das maximale Chaos: einen Wust aus Erde, Holz und Pflanzen. „Können Sie sich das vorstellen?“, fragt Herrmann. Es war im August 2002, als die wütende Weißeritz ihm sein Lebenswerk entriss. Zwei Meter hoch stand das Wasser in Dresden-Plauen. Auf dem Gelände seines Pflanzenhandels kollabierten eine ganze Garagenzeile und ein altes Fabrikgebäude. Eine schwere Werkstoffbank wurde quer über das Grundstück gespült. Und der alte Verkaufsschauer? Nicht mehr zu erkennen.

Kaum einer seiner Kunden glaubte, dass Eberhard Herrmann noch einmal die Kraft für einen Neuanfang haben könnte. Immerhin war er schon damals fast 70 Jahre alt. „Die haben wirklich gestaunt“, sagt er heute und lacht. „Ich war einfach noch nicht so weit. Ich wollte eine Aufgabe haben.“ Noch im Jahr der Flut verkaufte Herrmann wieder Weihnachtsbäume.

Blühende Werbung am Wegrand

„Das war nur durch die Hilfe vieler lieber Menschen möglich.“ Geld kam auch von der Bank und der Auferstehungskirche. Sogar Mitarbeiter aus dem Rathaus packten mit an, um das Grundstück an der Ecke Hofmühlenstraße, Würzburger Straße wieder in Ordnung zu bringen.

Heute, elf Jahre später, erinnert hier, auf dem 2 000 Quadratmeter großen Gelände, nichts mehr an die Flut. Unzählige bunte Tulpen blühen am Zaun entlang. Sie sind unverkäufliche und unverzichtbare Werbung zum Start in die warme Jahreszeit. Quasi der analoge Ersatz für die nicht vorhandene Internet- und Facebookseite. Im Angebot sind heute palettenweise Stiefmütterchen, Chrysanthemen und Astern. Auch Erdbeerpflanzen sind erhältlich, allerlei verschiedene Kräutertöpfe und Tausende Gemüsepflänzchen.

Nächstes Jahr wird Herrmann 80, und er lebt noch immer für seine kleine Gärtnerei, die er allein bewirtschaftet. Streng genommen ist es gar keine Gärtnerei, wie er vehement betont, sondern eine Verkaufsstelle für Saat- und Pflanzgut. So viel Genauigkeit muss sein. Die frische Ware holt er jeden morgen um sieben mit seinem fast historisch anmutendem VW-Bus aus Gartenbaubetrieben in der Region ab. Wenn er pünktlich um zehn Uhr das Tor aufschließt, stehen die Kunden meist schon draußen Schlange. Begrüßt werden sie von einem Aufsteller und der durchaus beeindruckenden Botschaft „50 Jahre Dienst am Kunden“. Sein Jubiläum ist erst wenige Wochen her. Pünktlich von eins bis zwei macht Herrmann Mittagspause. Dann geht’s weiter bis abends um sechs.

Der Mann mit den schlohweißen, akkurat über den Kopf gelegten Haaren und der grünen Schürze ist seit Jahrzehnten eine Institution im Dresdner Süden. Während die Nachbarn stets freundlich grüßen, schütteln auswärtige Passanten schon mal ungläubig den Kopf, wenn sie ihn auf allen Vieren durch eines seiner Beete kriechen sehen. Mit seinen Stammkunden hält Herrmann gern mal einen kleinen Plausch. Unbekannten traut er dagegen nicht so recht über den Weg. Man ahnt, wie viel dieser Mann zu erzählen hat. Und doch würde seine Lieblingsmeldung über sich selbst wohl in etwa lauten: Eberhard Herrmann lebt ein Leben für die Verkaufsstelle mit einem breiten Sortiment an winterharten Stauden. Und Aus. Wenn ihm doch mal eine Anekdote oder gar eine Zahl herausrutscht, dann nur im Vertrauen. Das alles müsse man doch nicht so an die große Glocke hängen, meint er.

Rehe und Hasen im Privatwald

Immerhin verrät er, dass er 1934 in einem Haus schräg gegenüber der heutigen Verkaufsstelle geboren wurde, das die Flut nicht überlebte. Nach seiner Ausbildung als Gärtner wollte er eigentlich Revierförster werden. Daran erinnert heute nur noch eine von ihm selbst gepflanzte Fichten-Reihe entlang des Weißeritz-Ufers. Dazwischen hat er eine kleine Krippe, Reh- und Hasenfiguren platziert und damit quasi seinen eigenen kleinen Wald vor der Nase. Statt Förster zu werden, übernahm Herrmann 1963 eine Verkaufsstelle für Pflanzen an der Kesselsdorfer Straße. Damals stand noch ein „HO“ für die DDR-Handelsorganisation darüber. Innerhalb kurzer Zeit machte er sich in Dresden einen Namen als wandelnder grüner Daumen. Später übernahm er eine Konsumverkaufsstelle in Dresden-Plauen, zu der bereits sein heutiger Garten gehörte.

Der Konsum verschwand, Herrmann und sein Garten blieben. Mit den Jahren häufen sich die Zipperlein, doch der Gärtner gibt nicht auf. Mit großer Geste zeigt er über sein Blumenfeld und murmelt: „Das hier ist doch mein Leben.“