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Hiebe an der Kino-Treppe

Nach einer Schlägerei zwischen zwei Deutschen und einem Iraker in Riesa wirft der Prozess mehr Fragen auf, als er beantwortet.

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© Sebastian Schultz

Von Stefan Lehmann

Riesa. Für die Polizei ist der Himmelfahrtstag fast schon traditionell einer der Tage, an denen es im Akkord zu tun gibt. Der erhöhte Alkoholpegel sorgt dafür, dass so mancher Zeitgenosse sämtliche Hemmungen fallenlässt. Was sich zwei Riesaer laut Anklageschrift im Jahr 2015 geleistet haben sollen, ist aber selbst für Himmelfahrts-Verhältnisse heftig: Nach einer Kneipentour mit drei weiteren Freunden soll das Duo einem Iraker zunächst „Allahu Akbar“ entgegengerufen haben. Als der Angesprochene dann fragte, ob alles in Ordnung sei, wurden die beiden ausfällig, bepöbelten den Mann, schlugen ihn und zerrten ihn und seine Freundin so sehr an der Kleidung, dass beide die Treppe am Kino hinunterfielen. Anschließend hätten sie den Iraker noch angespuckt und eine Zigarette auf die Kleidung der heute 21-Jährigen geschnippt.

Soweit die Anklageschrift, nach der die Staatsanwaltschaft den beiden Männern Körperverletzung und Beleidigung vorwirft. Zum Auftakt der Gerichtsverhandlung am Dienstag wird allerdings schnell klar: Die Sache ist längst nicht so eindeutig, wie sie zunächst scheint. Die vermeintlichen Täter jedenfalls sehen sich als die Opfer, die aus Notwehr handelten. Demnach sei der 22-jährige Iraker aufgebracht auf die beiden zugekommen und habe ihnen vorgeworfen „Allahu Akbar“ gerufen zu haben.

Die Worte seien aber nie gefallen. Direkt danach sei es zu einer Schubserei gekommen, die sich dann immer weiter hochschaukelte. Geendet sei die Situation damit, dass der Iraker mit einer zerschlagenen Sektflasche als Waffe auf sie zukam und auch einige andere, zuvor eher unbeteiligte Bekannte des Irakers sich einzumischen drohten – bewaffnet unter anderem mit einem Metallrohr. Daraufhin habe man die Beine in die Hand genommen, so die Angeklagten. Nur Minuten später wurden die Beteiligten an der Elbe von der Polizei aufgegriffen. Ein Radfahrer, der die Szene beobachtet hatte, hatte einen Streifenwagen angehalten und die Beamten auf die Schlägerei hingewiesen.

Gleich fünf verschiedene Zeugen sollen dem Gericht bei der Entscheidungsfindung helfen: Die drei Freunde, mit denen die Angeklagten unterwegs waren, der geschädigte Iraker sowie seine Freundin. Nachdem sie vernommen sind, bleiben allerdings mehr Fragen als Antworten. Denn die Zeugen widersprechen sich. Mal ist von lediglich zwei Schlägern die Rede, mal von zehn bis 15. Zwei Zeugen berichten, es seien Steine geworfen worden, widersprechen sich aber darin, welche Streitpartei die Geschosse eingesetzt hat.

Die anderen Zeugen dagegen können sich an Steinwürfe überhaupt nicht erinnern. Auch der Geschädigte und seine Freundin sagen vor Gericht anders aus als noch vor einem Jahr, als sie von der Polizei vernommen wurden. Einig sind sich die Zeugen und die Angeklagten nur darin, dass die ganze Sache sehr schnell vonstattenging. „Das war vielleicht eine Minute, in der das alles passiert ist“, sagt einer. Deshalb habe auch keiner von ihnen die Polizei gerufen.

Auch die Polizisten, die nach der Schlägerei mit den Beteiligten gesprochen haben, können keine verwertbaren Aussagen treffen. So bleibt der Richterin nur übrig, das Verfahren erst einmal zu vertagen – und auf die Aussage eines letzten Zeugen zu hoffen. Für Andreas Boeltzig, der einen der beiden Angeklagten vertritt, ist die Sache aber eigentlich schon jetzt klar: „In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten.“ Er jedenfalls sehe keine stichfesten Beweise dafür, dass sich die Sache wirklich so zugetragen habe, wie angeklagt. Ob das Gericht das letztlich genauso sieht, soll sich in der kommenden Woche entscheiden.