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Hier macht der Berg die Musik

Von Bergliedern, barocken Gesängen und neuen Ideen: Die Dresdner „Bergfinken“ werden 90 – und kein bisschen leiser.

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Es war 1961, um Weihnachten, als Chorleiter Kurt Kämpfe nach einem Lied den Klavierdeckel zuklappte und sich mit den Worten „Meine Herren, das war’s“ von den Bergfinken verabschiedete. Fast 50 Jahre ist das her – doch Kämpfe war eine Instanz, dem der populäre Bergsteigerchor viel Format und Schliff zu verdanken hatte. Die Erinnerung an den abrupten Abgang schmerzt manchen noch heute.

Sein Nachfolger, Wolfgang Wehmann, damals gerade 29 Jahre alt, musste ins kalte Wasser springen. Nun denkt Wehmann nach fast einem halben Jahrhundert selbst ans Aufhören. Aber diesmal soll es anders laufen. Bereits vor Jahren hat er begonnen, sein Werk behutsam an einen Jüngeren zu übergeben.

Donnerstagabend im Lichthof des Citycenters am Dresdner Hauptbahnhof: Energisch fährt Ulrich Schlögel dem Chor in die Parade: „Das ist steril!“, tadelt er. „Wie im Zeitraffer, wenn eine Blume aus der Erde erblüht – so muss das losgehen.“ Die Bergfinken proben für ihr großes Festkonzert Ende Mai. Der Chor wird 90. Im Jahr 1920 wurde er als Sängerschaft des Sächsischen Bergsteigerbunds aus der Taufe gehoben. Beinahe genauso alt ist La Montanara – Das Lied der Berge. Hunderte Male haben es die Bergfinken geprobt und gesungen. Aber Schlögel scheint trotzdem nicht zufrieden. Ulrich Schlögel war Wolfgang Wehmanns Wahl. Beide wechseln sich seit nunmehr zwölf Jahren als Chorleiter ab. Beide sind Musiklehrer und komponieren auch selbst. Die Chemie stimmt. Dissonanz gibt es keine. Schlögel, der neben den Bergfinken auch den Männerchor Sächsische Schweiz dirigiert, ist jünger – 48 – temperamentvoll und zupackend. Wehmann (77) hingegen beherrscht den Chor mit eher sparsamer Geste und leiser Autorität.

Zwei Köpfe, zwei Handschriften, ein Ziel: Der saubere Klang. Vielstimmige Harmonie. Noch wichtiger aber: Freude! Die merkt man den Bergfinken sofort an. Trotz zunehmenden Alters – man sieht viele graue Köpfe, der Altersdurchschnitt liegt derzeit bei 59 Jahren – ist ihr Gesang von einer wunderbaren Ungezwungenheit und Lust, wie sie ein Freizeitchor dem künstlerisch härter getrimmten Profi-Ensemble manchmal voraus hat. Drill und Perfektion können lähmen. Die Bergfinken, sagt Schlögel, sollen lieber in Bewegung bleiben.

„Regen muss ja auch mal sein – Herr Wirt, Herr Wirt, schenk ein, schenk ein“, tönt es durchs offene Fenster auf die Straße. Über 300 Lieder und Gesänge haben die Bergfinken in ihrem Repertoire. Zum überwiegenden Teil Berg-, Wander- und Naturlieder. Aber der Chor kann auch anders, beherrscht Lieder aus dem Freischütz oder dem Fliegenden Holländer. Im Vorjahr haben die Bergfinken ein Stück aus Händels Oratorium „Messiah“ einstudiert. Solch ein Bogen sei „für einen normalen Bergsteiger eine ganz schöne Aufgabe“, sagt Wehmann.

Gemeinsam unverwechselbar

Trotzdem – die Liebe zum Berg bestimmt den Ton wohl am meisten. Vereinsvorstand Stefan Jacob beschreibt das aus seiner Sicht Unverwechselbare an den Bergfinken frappierend einfach: „Wir können auch auf dem Gipfel miteinander singen.“ Ist das die hohe Schule?

Was Jacob sagen will: Die Bergfinken gehen klettern – und singen nicht nur davon. Nur ganz wenige der 123 Mitglieder und 70 aktiven Sänger sind keine Bergsteiger. Erst vor zwei Jahren schleppte ein Bergfink seine Gitarre auf den 5895 Meter hohen Kilimanjaro in Tansania. In Namibia gibt es sogar einen Gipfel namens „Bergfink“ – erstbestiegen von Vereinsvorstand Stefan Jacob. Bergfahrten, Wanderungen, Hüttenabende sind dem Chor so wichtig wie Proben und Auftritte.

Auch die Chorleiter schätzen diese Gemeinschaft. Sein schönstes Erlebnis mit den Bergfinken, sagt Wehmann, sei ein Sonntag in der Sächsischen Schweiz gewesen. „Da sind wir mit 40 Mann auf den Falkenstein gestiegen und haben oben gesungen.“ Er ist erst durch seinen Chor zum Klettern gekommen.

Irgendwann in den nächsten Jahren wird Wehmann aufhören müssen – aus Altersgründen. Wohin will Schlögel dann mit den Bergfinken? In die Berge, sagt er. Wohin sonst. Der Chor müsse mehr reisen, raus in die Welt – in die Alpen. Und die Sächsische Schweiz? Die, sagt Schlögel und lacht, gehöre doch sowieso „zu den Hausaufgaben“. Hartmut Landgraf

Festkonzert zum 90. Jubiläum: 29. Mai, 14Uhr und 17.30 Uhr, im Theater Wechselbad, Maternistraße in Dresden.

Der Chor sucht Nachwuchs. Kontakt: