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Hilfspolizisten im Internet

Ein Internetportal outet Verkehrsrowdys. Datenschützer sind skeptisch.

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© dpa

Von Anna Hoben und Jane Jannke

Zweieinhalb Jahre seines Lebens verbringt jeder im Schnitt am Steuer. Bei 52 Millionen Autos auf deutschen Straßen für gewöhnlich kein Vergnügen. Über kaum etwas regt sich der Autofahrer folglich herzlicher auf als über die Idiotie anderer Autofahrer. Raser, Drängler, Falschparker lassen ärgern. Dass sich mit der Wut durchaus Geschäfte machen lässt, hat ein Online-Unternehmer erkannt und ein Portal gegründet. Unter fahrerbewertung.de kann jeder seinem Verdruss Luft machen.

So schnell geht’s: Kennzeichen eintragen, bewerten, absenden. Repro: SZ
So schnell geht’s: Kennzeichen eintragen, bewerten, absenden. Repro: SZ

Er kam von links und fuhr dennoch als Erster? Verkehrswidrig, völlig inakzeptabel! Früher hätte das Opfer drei Sekunden überlegt, den Sünder anzuzeigen und es dann doch gelassen. Morgen tut man es vielleicht Tausenden anderen gleich und greift zu einem anderen Mittel. Was bei der Polizei eine Stunde dauert, ist auf fahrerbewertung.de mit wenigen Klicks vollbracht.

Unter Angabe des Kfz-Kennzeichens kann hier das Fahrverhalten Dritter öffentlich bewertet werden. Einfach das Kennzeichen in die Maske eingeben, auf Rot (negativ), Gelb (neutral) oder Grün (positiv) klicken, gegebenenfalls die Bewertung im Untermenü noch detailliert begründen – fertig. Auch ein verstohlener Blick aufs eigene Kennzeichen über die Fahrersuche lohnt, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein anderer schon über Ihre Fahrweise ausgelassen hat, ist gar nicht so gering.

Rund 180 000 Bewertungen gingen seit dem Start vor rund zwei Monaten im Portal ein. Nette Statistiken wie die „Flop 5 Städte“ oder die „Top 5 Hersteller“ laden regelrecht zum Bewertungswettstreit ein. Hierbei schneiden die Fahrer des Landkreises gar nicht so schlecht ab: Die Freitaler (FTL) fahren demnach am besonnensten – Note 2,3 und Platz 85 von derzeit 665, gefolgt von Dippoldiswalde (2,5; 129) und Pirna (2,7; 246). Die absoluten Zahlen hinter den einzelnen Berechnungen und Platzierungen veröffentlicht das Portal nicht.

Ganz nebenbei beschert das rege Bewertungstreiben der Seiteninhaberin, der Bo-Mobile GmbH, aber jede Menge Klicks – und Nutzerdaten, deren Weiterverarbeitung auch für Werbezwecke in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausdrücklich erwähnt wird. Datenschützer schlagen Alarm. Unklar bleibt nämlich, wer die Verantwortung für willkürliche Falschmeldungen übernimmt.

Immerhin sind die Bewertungen für alle öffentlich einsehbar. Theoretisch könnten Chefs, Geschäftspartner und auch Anbieter von Kfz-Versicherungen so an Informationen zum vermeintlichen Fahrverhalten einer Person gelangen, was sich für diese wiederum nachteilig auswirken kann – etwa bei der Einstufung in einen Versicherungstarif. Der Betreiber der Seite jedenfalls bietet gleichzeitig Tarifvergleiche im Internet an: für Handys, Energieanbieter und – (Kfz-)Versicherungen.

Mitgesellschafter Arno Wolter sagt: „Ziel ist es, zum sicheren Miteinander auf der Straße beizutragen.“ Tatsächlich waren mindestens die Hälfte der 5 755 Verkehrsunfälle im Landkreis im vergangenen Jahr auf Regelverstöße zurückzuführen. Experten haben allerdings so ihre Zweifel, ob ein Internetpranger geeignet ist, Unverantwortliche eines Besseren zu belehren.

Bo-Mobile verwehrt sich derweil gegen die Pranger-Anwürfe. Das Veröffentlichen eines Kfz-Kennzeichens stelle keine Preisgabe persönlicher Daten dar, beharrt Wolter und beruft sich auf ein „eindeutiges Gerichtsurteil.“ So klar allerdings, sagt der Freitaler Rechtsanwalt Lutz Rahle, ist die Sache gar nicht. „Tatsächlich gibt es ein solches Gerichtsurteil, das Kfz-Kennzeichen als nicht personenbezogen einstuft.“ Der Betreiber verschweige jedoch die Existenz eines zweiten Urteils des Coburger Amtsgerichts zur selben Frage. „Dort kam man zur Auffassung, dass solche Daten sehr wohl personenbezogen seien, da sie unmittelbar Rückschlüsse auf den Halter des Fahrzeugs zuließen“, so Rahle.

Die Ausgangslage sei zudem eine völlig andere: „Die Gerichtsverfahren behandelten die Speicherung von Kfz-Zeichen in einer Datenbank der Versicherungswirtschaft.“ Hier habe es ein berechtigtes Interesse – nämlich die Absicherung gegen Versicherungsbetrug – gegeben. Im Falle des Portals hingegen kann Rahle ein solches schutzwürdiges Interesse mitnichten erblicken. „Dort geht es allein um subjektive Eindrücke, die für niemanden nachprüfbar sind“, lautet sein Urteil.