Von Markus Günther, SZ-Korrespondent in Washington
Vorhang auf: Da kommt sie. Hillary Clinton, roter Pullover, schwarzer Blazer, ein Lächeln wie aus der Zahnpastawerbung. Sie strahlt, sie winkt, sie lacht. Das ist es, was Politiker von normalen Menschen unterscheidet: Sie können auch noch im politischen Überlebenskampf so tun, als wären sie unheimlich gut drauf.
Angst vor der Niederlage
Doch die Lage ist ernst, hier in der Turnhalle der Nashua North High School in New Hampshire und überhaupt. Hillary Clinton hat nur noch Tage, ja nur noch Stunden Zeit, ihren Lebenstraum zu verteidigen: Wenn sie die Vorwahl am heutigen Dienstag wieder verliert, scheint schon alles verloren. Endzeitstimmung liegt über allen Gesprächen dieser Tage, in denen Freunde, Wahlkampfberater, Reporter und Veteranen der Clinton-Jahre die Lage diskutieren: Hillary Clinton – und mit ihr in gewisser Weise auch Bill Clinton und all das, wofür beide zusammen stehen – steht womöglich vor einer schnellen, vernichtenden Niederlage.
Die Umfragen für die Wahl in New Hampshire sind widersprüchlich. Manche sehen sie in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Obama, andere geben Obama einen Vorsprung von zwölf Prozentpunkten. Das wäre ein politisches Todesurteil für Hillary Clinton.
1500 Menschen sind gekommen, um ihre Heldin Hillary Clinton zu feiern. Was sie lange vermieden hat, die direkte Attacke, muss sie unter dem Druck der Ereignisse nun ausprobieren: „Was heißt schon Veränderung? Wenn jemand eine Rede gegen den Irak-Krieg hält, dann aber 300 Milliarden Dollar für den Krieg bewilligt, dann ist das keine Veränderung.“
Obama, der Heuchler? So soll man das verstehen, und sie hat eine lange Liste seiner angeblichen Widersprüche mitgebracht. Sie sieht zornig aus, als sie die Liste abarbeitet, als würde sie auf ihn schimpfen. Und der Fluch der alten Dame kommt auch nicht bei allen Anhängern gut an. „Eigentlich mag ich sie“, sagt Pat Aurenz (45), „aber ich fand das so negativ, was sie über Obama gesagt hat.“ Genau das, sagen Meinungsforscher, ist womöglich ihr Problem: Wenn sie den Ton verschärft, büßt sie die Sympathien ein. Es geht in diesem Wahlkampf kaum um Sachfragen und Programme. Wäre es eine Entscheidung des Kopfes, spräche viel für Hillary Clinton.
Aufrüttelnde Reden
Doch schon die Wähler in Iowa haben mit dem Herzen entschieden, und das schlägt für Barack Obama, den 46-Jährigen, der wenig Erfahrung und viel Elan mitbringt, der ganz Amerika begeistert mit flammenden, aufrüttelnden Reden, in denen es immer wieder um Hoffnung, Aufbruch, Versöhnung und Gerechtigkeit geht. Keine 24 Stunden vor Hillary Clinton stand Barack Obama genau hier, in derselben Turnhalle.
Auch Obama wurde hier von seinen Anhängern gefeiert, auch seine Veranstaltung glich mehr einem Rockkonzert als einer politischen Diskussion. Dennoch war der Ton anders. Hillary Clinton redet, als wolle sie die Leute davon überzeugen, dass sie recht hat. Obama dagegen ist ein Menschenfischer, ein Verführer, ein Volkstribun. Wenn er redet, ist es, als wolle er eine Revolution anzetteln. Und seine Anhänger scheinen bereit, noch heute das Weiße Haus zu stürmen. „Unsere Zeit ist gekommen!“ sagt Obama in der Turnhalle, „wir können zusammen einen neuen Anfang wagen und die Politik des Zynismus überwinden – wenn Ihr daran glaubt.“ Die letzten Worte „wenn Ihr daran glaubt“ sind wie ein Refrain immer wieder in die Rede eingebaut. Denn er weiß, dass sein Schicksal vom Vertrauen seiner Anhänger abhängt. Nur wenn man ihm den Wahlsieg im November zutraut, hat er eine Chance, Hillary die Kandidatur streitig zu machen.
Entzaubert seit Iowa
Seit dem Sieg in Iowa glauben mehr und mehr Amerikaner, dass Obamas Zeit tatsächlich gekommen ist. Was hat die 60-jährige frühere First Lady dem noch entgegenzusetzen? „Es reicht nicht, auf Veränderungen zu hoffen, man muss hart dafür arbeiten, und ich habe in 35 Jahren bewiesen, dass ich Veränderungen durchsetzen kann.“ Hillary Clintons scheinbare Unbesiegbarkeit war ihre größte Stärke. Seit Iowa ist sie entzaubert.