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Hippies tanzen auf der Felsenbühne

Die Landesbühnen überzeugen mit ihrer Inszenierung des Musicals „Hair“. Im Wehlgrund läuft es nur noch zweimal.

Von Thomas Morgenroth
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Flower Power und lange Haare im Wehlgrund: Der aus Brasilien stammende Tänzer Anderson Pinheiro Da Silva singt in „Hair“ das Lied vom schwarzen Mann.
Flower Power und lange Haare im Wehlgrund: Der aus Brasilien stammende Tänzer Anderson Pinheiro Da Silva singt in „Hair“ das Lied vom schwarzen Mann. © Thomas Morgenroth

Was ist da nur in Rathen los? Der Gitarrist der Rolling Stones wälzt sich mit einem riesenhaften Joint im Mund über die Bretter der Felsenbühne. Er kichert, torkelt und lädt seine kiffenden Freunde und die Mädels zu einer Kamasutra-Orgie ein. Nein, es ist dann doch nicht Keith Richards. Aber er könnte es sein, in jungen Jahren, jedenfalls sieht ihm Grian Duesberg mit seinem Wuschelhaar (das echt ist) und dem Stirnband ziemlich ähnlich. Der 38-jährige Schauspieler gibt einen jungen Mann namens Woof, er ist einer der Jungs, die den Sommer der Liebe in San Francisco mit Sex und Drogen feiern – und die nicht nach Vietnam wollen, um dort für „Uncle Sam“ zu sterben.

Fünfzig Jahre nach Woodstock tanzen die Hippies nun auch im Wehlgrund. Und wie: Die Landesbühnen Sachsen überzeugen mit einer von Peter Dehler besorgten mitreißenden Inszenierung des Musicals „Hair“, die zunächst im Stammhaus in Radebeul Premiere hatte. In Rathen aber wird die zeitlos aktuelle Geschichte mit Tänzern und Studierenden der Theaterakademie Sachsen (Choreografie und Lichtkonzept von Till Nau) erst so richtig opulent (Ausstattung von Stefan Wiel). Mehr als fünfunddreißig buntgekleidete und vorwiegend junge Menschen mit langen Haaren bewegen sich exzessiv im Rhythmus der Musik, die eine ausgezeichnete Band unter der Leitung von Michael Fuchs oder Uwe Zimmermann live auf der Bühne spielt.

Es ist eine Lust und eine Freude, dem stimmgewaltigen Ensemble zuzusehen und zuzuhören, das sowohl deutsch als auch englisch singt, und sichtlich Spaß am eigenen Spiel hat. Das Publikum spendet zu Recht nach jeder Szene Applaus, was sonst eher stören würde. Bei „Hair“ aber gehören die Zuschauer zur Inszenierung dazu. Viele dürften das 1968 am Broadway uraufgeführte und 1979 verfilmte Musical bereits kennen, mancher singt sogar textsicher mit. Die Schauspieler Gerome Ragni und James Rado schrieben das Stück vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges, des Protestes gegen autoritäre Gesellschaftsstrukturen und des Aufkommens der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Galt MacDermot, ein ehemaliger Organist und Kirchenmusiker, komponierte die eingängige Musik, die unter anderem mit dem Titelsong „Hair“ oder auch „Aquarius“ weltweit die Hitparaden stürmte.

Junge Leute um die Hippie-Truppe von George Berger, mit dem Musicalspezialisten Benjamin Oeser bestens besetzt, suchen ein neues Lebensgefühl: eine Gesellschaft jenseits von Krieg, Rassentrennung und Autorität. Sie hoffen auf ein Zeitalter im Zeichen des Wassermanns, das geprägt ist durch Liebe, Gewaltlosigkeit und Frieden. Der bürgerliche Claude (Holger Uwe Thews) kommt neu dazu und fühlt sich von dem charismatischen Berger angezogen. Doch er hat gerade seinen Einberufungsbefehl nach Vietnam erhalten. Soll er pflichtbewusst in einen unsinnigen Krieg ziehen? Oder soll er seinen Dienst verweigern?

Ein glückliches Ende gibt es nicht. Wie Thews als Claude vom fröhlichen Hippie zum angsterfüllten Soldaten in Uniform mutiert, der mit einem Gewehr um sich schießt und schließlich auf der Bühne zusammenbricht, das ist ganz große Schauspielkunst. Die Hoffnung aber stirbt zuletzt: „Let the sunshine in“, lasst die Sonne herein, singen alle als Finale, darunter auch ein bekiffter Keith Richards.

„Hair“ zum letzten Mal in Rathen am 12. und 13. Juli, jeweils 19.30 Uhr; www.landesbuehnen-sachsen.de