Von Lars Radau
Julia Ryssel lächelt fein. „Professionelle Investoren wissen, dass das ein Geschäft ist, das quasi immer läuft.“ Die 29-jährige Ingenieurin redet von Sex. Markus Michalow, Geschäftsführer des Technologiegründerfonds Sachsen (TGFS) spricht lieber davon, dass „der technologische Ansatz für diesen Markt und das Gründungsteam seit der ersten Stunde überzeugend“ gewesen seien. Wie man es auch formuliert – fest steht, dass die Firma, die Ryssel und ihr Geschäftspartner, der Produktdesigner Martin Cirillo-Schmidt, 2015 gegründet haben, jetzt einen entscheidenden Schub bekommt. Seit gestern ist es offiziell, dass der TGFS und ein lokaler Business-Angel im Rahmen einer Finanzierungsrunde gemeinsam satte 800 000 Euro in das Dresdner Start-up Laviu investieren.
Das Produkt, das Ryssel und Cirillo-Schmidt entwickelt haben, verbindet den „technologischen Ansatz“ mit dem Thema Sex – es ist ein Sexspielzeug. Nicht irgendeines: „Wir haben das erste lautlose pulsierende Love Toy der Welt erfunden“, sagt Ryssel stolz. Ein Hochtechnologie-Vibrator, der nicht nur seine Form ändert, wenn frau sich mit ihm vergnügt, sondern dazu noch völlig geräuschlos funktioniert. Denn der hörbare Antrieb, sagen Studien und Julia Ryssel, sei bei klassischem Sexspielzeug durchaus ein Störfaktor.
Funktioniert wie beim Sonnensegel
Dass der „Laviu one“, wie Ryssel und Cirillo-Schmidt den Erstling ihrer Firma getauft haben, lautlos und nach Firmenangaben ähnlich zart und natürlich wie ein echter Liebhaber arbeitet, liegt an sogenannten „Smart Materials“. Die intelligenten Werkstoffe sind steuerbar und besitzen außergewöhnliche mechanische Eigenschaften. Beim Laviu one funktioniert das so: Die Elektronik gibt einen elektrischen Impuls an das Material ab, das zu schwingen beginnt. „Mit diesem Prinzip werden auch Sonnensegel an Raumsonden ausgerichtet“, erklärt Julia Ryssel, die als Diplom-Ingenieurin für Keramik-, Glas- und Baustoffforschung für die technischen Aspekte zuständig ist. Das Design, für das Martin Cirillo-Schmidt verantwortlich zeichnet, ist wiederum so gestaltet, dass die erogenen Zonen pulsierend erreicht und massiert werden.
Mit ihrer Idee scheint die junge Firma in eine Marktlücke zu stoßen: Schon im November hatte Laviu eine Crowdfunding-Kampagne auf der Plattform Indiegogo aufgelegt. Ursprüngliches Ziel: 20 000 Euro, die beim Start der Serienproduktion helfen sollten. Die waren innerhalb von sechs Tagen zusammen. Nach sechs Wochen, zum offiziellen Ende der Kampagne kurz vor Weihnachten, waren mehr als 58 000 Euro in der Sammelbox. „So eine Resonanz hatten wir zwar erhofft, aber nicht wirklich erwartet“, sagt Julia Ryssel. Wirklich nötig habe ihre Firma das Geld indes nicht gehabt. „Es ging uns eher um den Proof of Concept“, erklärt die Laviu-Chefin. Also erstens die Frage zu klären, ob es funktioniert, für den Start der Serienfertigung auf einer Crowdfunding-Plattform Geld einzusammeln. Um so zweitens gleichzeitig das Interesse und die Nachfrage abschätzen zu können. Und drittens mit der Aktion auch noch Werbung für das Produkt zu machen. Geholfen hat sicherlich auch, dass all diejenigen Kundinnen und Kunden, die das Crowdfundig unterstützt haben, als Gegenleistung einen deutlichen Rabatt auf den Verkaufspreis von knapp 170 Euro für den Laviu one bekommen. Mittlerweile steht der Zähler bei mehr als 62 000 eingeworbenen Euro.
Private haben keine No-Sex-Klausel
Dass aus den Prototypen, die Julia Ryssel und Martin Cirillo-Schmidt entwickelt haben, irgendwann eine Serienfertigung werden könnte, daran hatten die Laviu-Gründer nie ernsthafte Zweifel. Gleichwohl war der Weg holprig: Zwar hat Laviu selbst beim vom Wirtschaftsministerium geführten Businessplan-Wettbewerb FutureSax im vergangenen Jahr den dritten Platz belegt und eine lobende Erwähnung von Minister Martin Dulig geerntet – staatliche Fördermittel oder Mikro-Kredite öffentlicher Stellen für Existenzgründer gab es trotzdem nicht. „Viele Institutionen haben eine Art No-Sex-Klausel“, sagt Julia Ryssel. Die Laviu-Gründer behalfen sich zunächst ein gutes Jahr damit, die Firma komplett aus eigenem Ersparten zu finanzieren, dann kam ein „Business Angel“ hinzu – ein privater Investor, der Kapital und Kontakte einbringt. Beides, sagt Ryssel, hätte auch gereicht, um die Produktion erst einmal zu starten. Jetzt aber, mit der erfolgreich abgeschlossenen Finanzierungsrunde, könne das Unternehmen richtig loslegen.
Die Produktion delegiert Laviu an spezialisierte Auftragsfertiger, die den „Laviu one“ bei Bedarf „auch in Millionenauflage“ fertigen könnten – für realistisch hält die Firma mittelfristig erst einmal fünfstellige Zahlen. Auch hier, betont Julia Ryssel, hebe sich Laviu vom Rest des Marktes ab: „Die Produktion findet komplett in Deutschland statt.“ Im Mai sollen die ersten Crowdfunding-Unterstützerinnen und Unterstützer ihre Hightech-Vibratoren geliefert bekommnen, im Frühsommer soll ein Online-Shop ans Netz gehen.
Die Wachstumspläne sind auch sonst ambitioniert. Derzeit besteht Laviu noch aus den beiden Gründern und einer Marketing-Verantwortlichen, zum Ende dieses Jahres sollen es bereits zehn Mitarbeiter sein. Zielmärkte sind zunächst Deutschland, Österreich und die Schweiz, später sei Europa im Visier. Außerdem eine größere Produktpalette – „wir haben so einige Ideen.“