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Hoffen auf Lösung für die "Fusion"

Die Region um Lärz hat schon viel erlebt. Nun gibt es Streit um das Fusion Festival. Die meisten Lärzer haben nichts dagegen.

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Von Winfried Wagner

"Ich kann nur Gutes über das "Fusion"-Festival in Lärz sagen", bemerkt Claudia Steinemann. Die junge Frau führt den "Lindenkrug" als einzige Gaststätte in dem Dorf südlich der Müritz. Der Ort mit 500 Einwohnern ist durch den Streit um das alternative Musik- und Kulturfestival "Fusion" weithin bekannt geworden. Alljährlich Ende Juni strömen bis zu 70.000 Besucher aus Europa und darüber hinaus auf das alte Flugplatzgelände etwa 500 Meter westlich von Lärz in der Mecklenburgischen Seenplatte. Für die Gäste "vier Tage Ferienkommunismus", wie es die Veranstalter nennen - und regelmäßig Lärm- und Verkehrsprobleme, wie alle Einheimischen wissen. 2018 musste an einem Tag deshalb der Schülerverkehr ausfallen.

Weil bei der "Fusion" nur fleischloses Essen angeboten wird, kommen viele Besucher auch in den "Lindenkrug": "Die Leute wollen immer Schnitzel mit Pommes", erzählt Steinemann. Wie viele andere Lärzer versteht die 33-Jährige die Aufregung eigentlich nicht, die es um eine Polizeiwache oder "anlasslose Polizeistreifen" auf dem Festgelände gibt. "Die Welt ist hier zu Gast, denn die Festivalbesucher kommen aus Frankreich, Russland, China oder den Vereinigten Staaten", sagt sie. Nach ihrer Erfahrung kommt es auf Dorffesten, die sie manchmal veranstaltet, eher zu Schlägereien.

Bürgermeister Hartmut Lehmann
Bürgermeister Hartmut Lehmann © dpa

Etwas anders sieht das der Lärzer Bürgermeister Hartmut Lehmann (CDU). "70.000 Besucher sind hier gern gesehen, aber die Gemeinde muss ein Höchstmaß an Sicherheit garantieren." Der 63-Jährige ist seit 20 Jahren Bürgermeister und kennt die "Fusion" samt Verein Kulturkosmos bestens. Wenn etwas passiere, wie in Duisburg bei der Love Parade mit 21 Toten, dann führe das zu Reaktionen bei den Sicherheitsbehörden. Ob eine Polizeiwache und Streifen bei diesem Festival das richtige Mittel sind, um schlimme Ereignisse zu verhindern, wisse er nicht. "Eins ist aber klar: Ein kleiner Teil der Gäste sieht in der Polizei das absolute Feindbild." Diese Gäste kämen aus den entsprechenden Szenen in Berlin und Hamburg, weiß Lehmann.

Lärz ist ein altes Bauerndorf. Die Einwohner lebten lange von der Landwirtschaft oder großen Arbeitgebern. So war die Region in den 1930-er Jahren zur "Erprobungsstelle der deutschen Luftfahrt" mit Tausenden Beschäftigten ausgebaut worden. Was Ingenieure anderswo austüftelten, wurde am Himmel über Rechlin und Lärz getestet. Später wurden die Orte "Erprobungsstelle der Luftwaffe", etwa für die ersten deutschen Strahlflugzeuge. 1945 wurde die Region mehrfach bombardiert. Immer noch taucht Explosives im Kanal bei Lärz oder im Boden auf. 1945 übernahmen die Sowjet-Streitkräfte das Areal, ständig rumorten die Mig-Jagdflugzeuge.

"Deswegen sind wir Krach ja auch gewöhnt", äußert Norbert Siewert. Der Schlosser wohnt besonders dicht am Festival-Teil des Flugplatzes. "Ich kann die Polizei verstehen. Bei der Masse von Leuten gibt es keine Gewähr, dass es ruhig bleibt." Insgesamt könne das Dorf aber gut mit dem Festival leben: "Die machen auch alles wieder sauber." Einmal wurde der Landmaschinenfachmann geholt und sollte einen Traktor der Veranstalter dringend in Gang bringen. Das klappte auch: "Die haben mich behandelt wie einen König."

Der aktive Flugplatz Müritz Airpark (r) und links das Areal für die Fusion.
Der aktive Flugplatz Müritz Airpark (r) und links das Areal für die Fusion. © dpa

Sein Nachbar, Taxifahrer Wolfgang Heise, hat einige Fahrgäste mehr durch die "Fusion". Wie auch die Busfahrer. "Zum Überleben brauche ich das Festival nicht", sagt Heise. Aber es sei sehr friedlich und gehöre zum Dorf dazu. Er befürchtet Probleme, wenn die Polizei auf dem Fest präsent ist. "Die haben mich auch vor dem Grundstück im Wagen kontrolliert und schikaniert." Manchen Beamten sei die Warterei wohl zuviel.

Dass es solche Probleme gab, weiß auch Lehmann. "Das haben wir mal bei einer Zusammenkunft mit der Polizei angesprochen, danach ging das." Für Lehmann könnten die "Fusion"-Veranstalter mehr für die Gemeinschaft tun. Man habe nachgerechnet, dass der Umsatz beim Festival - wo eine Karte 145 Euro kostet - mit Standgebühren und anderen Einnahmen bei zwölf Millionen Euro liegen müsste. Gewerbesteuer zahle der Verein aber so gut wie nicht. "Sie machen ihre eigene Steuerpolitik", moniert der Bürgermeister.

Dabei bräuchte Lärz dringend Hilfe. Viele Leute arbeiteten in der DDR in der Rechliner Werft, die nach 1990 geschlossen wurde. Fast die Hälfte der Lärzer ging seither wegen fehlender Arbeitsmöglichkeiten weg. Jetzt gibt es einen Legehennenbetrieb, zwei Taxianbieter, den "Lindengarten", einen Sportboothafen mit Bootsvermietung, einen Camping- und Caravanplatz, Hotel und Reiterhof. Aber das reiche nicht. Weil Gelder knapp sind, wurde eine Gemeindefusion mit Schwarz und Rechlin erwogen. Die Mehrheit der Lärzer votierte dagegen.

Auch Jugendliche machen sich Gedanken. "Das soll alles so bleiben wie es ist", findet eine 13-Jährige. Sie sei jedes Jahr dort und treffe nur nette und friedliche Leute. Ihr 14-jähriger Freund stimmt ihr zu.

Anders als die Kommune haben eher Einkaufsmärkte, Tankstellen und Busunternehmen aus größeren Orten einen wirtschaftlichen Nutzen von dem Festival. Bürgermeister Lehmann hofft nun, dass es bald eine Lösung im Streit mit der Polizei gibt: Er hat das Bürgerzentrum im Dorf als Hauptsitz für die Polizei angeboten. Dann müssten Beamte, wenn etwas passiert, trotzdem schnellen und freien Zugang zum Gelände haben. "Das müsste doch zu regeln sein." Ähnlich äußerte sich Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). (dpa)