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Hoffnung für die Orang-Utans

Die Menschenaffen im Dresdner Zoo brauchen dringend ein neues Gebäude. Der Stadtrat kann das bald ermöglichen.

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© Sven Ellger

Von Juliane Richter

Ein inniger Blick, das Flüstern beruhigender Koseworte. Gerd Grätz ist emotional eng mit seinen Orang-Utans verbunden. Seit mehr als 40 Jahren betreut er die Menschenaffen mit der markanten Fellfarbe im Dresdner Zoo. Dass sie noch immer im 80er-Jahre-Flachbau leben müssen, nimmt ihn mit. „Dieses Haus war eigentlich nur als Interim gedacht“, sagt er.

Das imposante Männchen Toni fasziniert viele Besucher. Doch auch er bräuchte mehr Rückzugsmöglichkeiten.
Das imposante Männchen Toni fasziniert viele Besucher. Doch auch er bräuchte mehr Rückzugsmöglichkeiten. © Sven Ellger

Und doch wurde es zur Dauerlösung. Diese sorgt seit Jahren wiederholt für Kritik von Tierschutzorganisationen. Das „Great Ape Project“ hat vergangenes Jahr den Negativpreis für die „schlimmste Orang-Utan-Haltung in einem europäischen Zoo“ an Dresden vergeben. Ganz so schlimm schätzt Dr. Clemens Becker vom Zoo Karlsruhe die Situation nicht ein. Als europäischer Zuchtbuchführer koordiniert er, welche Zoos Orang-Utans züchten sollten, um die bedrohte Art zu erhalten. Er kennt auch die räumlichen Verhältnisse in Dresden.

Die Empfehlungen des nationalen Säugetiergutachtens, das deutlich mehr Platz für die Menschenaffen in ihren Innengehegen vorsieht, hält er teilweise für zu streng. Dennoch ist er froh, dass der Zoo Dresden und die Stadt nun ein neues Orang-Utan-Haus auf den Weg bringen wollen. In den Doppelhaushalt 2019/20, der Ende dieses Jahres vom Stadtrat beschlossen werden soll, will Finanzbürgermeister Peter Lames (SPD) acht Millionen Euro für den Neubau einstellen. Dass diese Summe reicht, bezweifelt der Zuchtbuchführer. Mit einem zweistelligen Millionenbetrag sei zu rechnen. Bei den Planungen für Orang-Utan-Neubauten wird ihm zufolge ein Beratungsteam des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms eng mit einbezogen. Positive Vorbilder sind laut Becker die Zoos in Rostock oder Gelsenkirchen. Letzterer bietet nicht nur zwei großzügige Innengehege, sondern auch zwei weitläufige Inselsysteme im Freien.

Auch Revierleiter Gerd Grätz schwärmt von Gelsenkirchen. Dorthin hat er 2016 den jungen Orang Dodi abgegeben. Rund zehn Meter Höhe haben die Affen dort im Innengehege zur Verfügung. Das sei optimal, weil Orangs das Klettern lieben und sich in der freien Natur in den Regenwäldern Borneos und Sumatras die meiste Zeit in den Baumkronen aufhalten. In Dresden haben die sechs Tiere innen maximal vier Meter Höhe zur Verfügung und – bis auf teilweise mit Folie beklebte Glasscheiben – keine Rückzugsmöglichkeiten.

Könnte Gerd Grätz einen Neubau frei nach seinen Wünschen gestalten, würde er sich an Gelsenkirchen orientieren. Bis der Neubau in Dresden bezogen werden kann, vergehen laut Zoodirektor Karl-Heinz Ukena aber noch mindestens drei Jahre. In dieser Zeit versuchen Grätz, ein junger Pfleger und Kollegin Sylvia Pohle den Affen das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Nähe, kleine Zärtlichkeiten, Futter und viel Abwechslung durch Beschäftigungsspiele sind ihre erfolgreichsten Mittel.

Sylvia Pohle, 56 Jahre alt und auch seit Ende der 70er-Jahre bei den Orang-Utans, macht sich aber so ihre Gedanken über die Ablenkung. „Früher waren wir mit den jungen Affen auch viel im Zoogelände unterwegs, hatten einen eigenen Bollerwagen und saßen mit ihnen auf der Wiese.“ Den Tieren habe das gutgetan, aus Sicherheitsgründen wenden sich immer mehr Zoos von einer solchen Haltung ab. Doch ganz auf die Nähe verzichten wollen die Pfleger in Dresden nicht. Sylvia Pohle hat den 1991 geborenen Toni, der mit einem knappen Jahr nach Dresden kam, aufwachsen sehen. Auch deshalb lässt sie es ohne Angst zu, wenn der ausgewachsene Orang-Utan-Mann ihr durch die Gitter die langen Arme auf die Schultern legt. Doch ein kräftiger Zug, ein Biss – Orangs können schwere Verletzungen verursachen, mit ihren Zähnen sogar Finger abtrennen.

Grätz und Pohle schätzen ihre Schützlinge als überaus intelligent und sensibel ein. Wenn Gerd Grätz nächstes Jahr in Rente geht, muss noch ein geeigneter Nachfolger gefunden werden. Aber: „Die Chemie muss stimmen. Die Orangs suchen sich ihren Pfleger aus, nicht andersherum“, sagt der 63-Jährige. Dass er in seinem Arbeitsleben den Neubau eines Orang-Hauses nicht mehr erlebt, ärgert ihn. Wiederholt wurden die Menschenaffen anderen Baumaßnahmen untergeordnet. „Wir mussten zuerst das Afrikahaus sanieren. Das wäre uns fast zusammengebrochen“, sagt Zoodirektor Ukena. 8,6 Millionen Euro hat das gekostet, einen Großteil hat die Stadt ihrer Tochter-GmbH zugeschossen. Parallel wurde zuletzt das Pinguincafé gebaut, das nun eröffnet wird. Gegen weitere, zeitgleiche Großbaustellen im Zoo hat sich Ukena stets ausgesprochen, um den Besuchern nicht zu viel zuzumuten.

Für das neue Orang-Utan-Haus präferiert der Zoodirektor mittlerweile die Grünfläche links neben dem jetzigen Orang-Haus. „Inwieweit wir uns Richtung Flamingos erweitern, müssen wir sehen“, sagt er. Platztechnisch soll das Haus deutlich größer werden als bisher. Auch weil eine weitere Tierart mit einziehen soll.

Welche, darüber sind sich die Fachleute im Zoo noch nicht so ganz einig. Noch in diesem Jahr sollen die Planungen für den Neubau beginnen. Wenn der Stadtrat das Budget bestätigt, könnten die Baumaßnahmen laut Ukena Mitte 2019 starten und etwa zwei Jahre andauern. Gerd Grätz wird sich wohl auch aus der Rente versichern, dass es seinen Schützlingen gut geht. Kommentar