Von Romy Kühr
Die Farbe bröckelt von der Bretterfassade, am verschieferten Giebel klaffen schon einzelne Löcher in der Verkleidung. Doch hinter der knarrenden, großen Eingangstür aus Holz tut sich ein beeindruckendes Gewölbe auf. Hier kommt die schön geschwungene Decke zum Vorschein. Sogar Stuck gibt es und andere historische Details. Trotzdem steht das sogenannte Anna-Louise-Müller-Stift an der Hauptstraße in Ebersbach seit Jahrzehnten leer. Ein paar Relikte aus früheren Tagen liegen einsam auf dem Fensterbrett: ein Stück Wachstuchdecke, ein paar schön geformte Steine, eine alte Vase. Karen Käding hat sie hier drapiert. Sie hat auch Bilder an den Fenstern im Obergeschoss angebracht und Gardinen aufgehängt, Kannen und Vasen auf die Fensterbretter gestellt. „Damit es nicht ganz so leblos aussieht“, sagt sie. Die gebürtige Berlinerin besitzt selbst ein anderes Umgebindehaus in Ebersbach. Regelmäßig sieht sie in dem großen Anwesen nach dem Rechten.


Auf Eigeninitiative hat sie der Ebersbacher Wohnungsunternehmen GmbH, die das Haus verwaltet, angeboten, diese Aufgabe zu übernehmen. Sie bedauert den Zustand des markanten Hauses. Deshalb will sie sich darum kümmern, dass es nicht ganz vernachlässigt wird. Sie räumt den gröbsten Dreck weg, dekoriert hin und wieder. Denn: „Wie soll sich jemand für ein Haus interessieren, das völlig verwahrlost aussieht?“, fragt sie.
Und sie hat eine weitere Idee, wie man dieses Haus und andere zumindest vor dem weiteren Verfall bewahren und so für potenzielle Käufer interessanter machen könnte. Sie spielt auf das Konzept der Wächterhäuser an, die es zum Beispiel in Leipzig gibt. Vereine oder Künstlergruppen nutzen leer stehende Häuser, zum Beispiel als Werkstatt oder Treff. So werden sie mit Leben gefüllt und verfallen nicht gänzlich. Nachahmer-Projekte gibt es auch in Görlitz und Zittau. Diese Idee gefällt Karen Käding. Denn Leerstand, sagt sie, führe automatisch zum Verfall. Der Vorschlag, so Bernd Noack von der Stadtverwaltung, sei durchaus nicht verkehrt. Das Hauptproblem, weshalb sich das Anna-Louise-Müller-Stift schlecht verkaufen ließe, sei allerdings die Lage direkt an der Bundesstraße. Dieses Problem teilt der Hof mit vielen anderen Häusern entlang der B 96 im Stadtgebiet. Tatsächlich offenbart eine Fahrt entlang der Ebersbacher Hauptstraße viele traurige Haus-Schicksale. Nur wenige Meter vom Stift entfernt wartet das nächste Gebäude erfolglos auf neue Nutzung: das als Hosen-Richter bekannte Anwesen an der Hauptstraße 153. Mit ihm hat sich eine Arbeitsgemeinschaft der Stadt bereits beschäftigt. Ehrenamtliche und Verwaltungsmitarbeiter haben sich zusammengetan, um alle leer stehenden Häuser zunächst aufzunehmen und Lösungen dafür vorzuschlagen. Der Anbau sollte abgerissen werden, rät die AG. Denn dieser Teil des Gebäudes steht direkt auf der Ufermauer der Spree. Wegen des fortschreitenden Verfalls musste nun bereits der Gehweg an dem Haus abgesperrt werden. Herunterfallende Teile könnten sonst Passanten gefährden.
Karen Käding tut es jedes Mal weh, wenn sie auf dem Weg zum Stift hier vorbeikommt. Denn das Gebäude, sagt sie, hat in seinem vorderen Haupthaus im Umgebindebaustil schöne Details, wie zum Beispiel einen Wintergarten im Obergeschoss. „Aber man kann nicht alle Häuser retten“, sagt sie – auch, wenn sie das gern würde. Sie wünscht sich, dass sich noch mehr Einwohner engagieren und die „Pflege“ alter Häuser übernehmen. Denn sie ist überzeugt: In vielen steckt großes Potenzial. Auch im Anna-Louise-Müller-Stift. Der Hof war im 19. Jahrhundert eine Art Wohnheim für benachteiligte Frauen gewesen. Das Haus hat einige Besonderheiten: Das komplette Untergeschoss zum Beispiel ist aus Stein, Umgebinde und Holz gibt es nur oben. „Offensichtlich haben sich die Menschen an der Spree schon früher auf Hochwasser eingestellt“, so die Berlinerin. Sie ist überzeugt: Wer handwerklich begabt ist, kann hier viel draus machen.
Weil das Anwesen mit Innenhof und Scheune ein wertvolles Denkmal ist, ließ die Stadt es vor Jahren bereits notsichern. Doch auch das half bisher nicht bei der Suche nach neuen Nutzern. Dass sich die Notsicherung aber durchaus lohnen kann, auch wenn sie erst einmal Geld kostet, sieht Bernd Noack von der Stadtverwaltung jetzt in einem anderen Fall bestätigt: Nach jahrelangem Leerstand hat sich ein Eigentümer für ein Umgebindehaus an der Amtsgerichtsstraße 61 gefunden, berichtet er. Bauarbeiten sind schon im Gange. Karen Käding und Bernd Noack hoffen nun, dass sich auch für das historische Stift bald mutige Interessenten finden.