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Was eine Scherbe mit der Brauerei in Ehrenberg zu tun hat

Die Reste einer Bierflasche führten zu einem Stück Familientradition. Und zu den Spuren von Braumeister Otto Hänsel.

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Das Bier wurde früher noch mit Tafelwagen ausgeliefert, hier offenbar mit dem Neffen von Otto Hänsel.
Das Bier wurde früher noch mit Tafelwagen ausgeliefert, hier offenbar mit dem Neffen von Otto Hänsel. © privat

Von Matthias Großer

Ausgangspunkt für die Recherchen über eine Brauerei im Hohnsteiner Ortsteil Ehrenberg war eine Glasscherbe, vermutlich der Rest einer Bierflasche. Die hatte der Autor im März 2021 im oberen Teil des Schwarzbachtales unterhalb der Rapkemühle in Krumhermsdorf gefunden. Der Prägeaufdruck „Ehrenberg“ war noch gut zu erkennen. Der Autor begann seine Recherchen und konnte schließlich die Enkeltochter des Braumeisters ausfindig machen. Die Familiengeschichte ist erstaunlich.


Von Wladiwostok nach Ehrenberg

Friedrich Otto Hänsel wurde am 30. September 1886 als erstes Kind der Eheleute Hänsel in Ehrenberg Nr. 64 geboren. Der Vater war Gutsbesitzer Ernst Wilhelm Hänsel, die Mutter Amalia Auguste Hänsel, geborene Rasche. Der Hänsel’sche Besitz war ein großes Bauerngut mit etwa 30 Hektar Land. Doch den Erstgeborenen gelüstete es zunächst nicht nach dem Bauernstand, sondern zum Leidwesen der Eltern begann er eine Lehre in der Stadtbrauerei Schmole in Neustadt.

Wegen seiner guten Leistungen bekam er eine Empfehlung nach München und absolvierte dort die Ausbildung zum Braumeister. Von München weg wurde er nach Sankt Petersburg engagiert und verbrachte dort fünf Jahre als Braumeister. Aus dieser Zeit haben sich im Familienbesitz noch zwei Silberrubel erhalten.

1914, mit Ausbruch des 1. Weltkrieges, wurde Otto Hänsel im Zarenreich interniert und nach Sibirien gebracht. Im Laufe der Jahre gelangte er, überwiegend zu Fuß, bis Wladiwostok, von wo er nach dem Krieg per Schiff die Heimreise antrat. Am 20. März 1920 heiratete er in der Lichtenhainer Kirche Frieda Hedwig, verwitwete Hofmann, geborene Richter aus Altendorf. Nur einige Tage später am 27. März 1920 übernahm er per Kauf für 45.000 Reichsmark den elterlichen Hof und betrieb nebenbei eine Bierhandlung und eine Kleinbrauerei.

Das Selbstgebraute gibt Rätsel auf

Die günstige Lage unweit der Kleinbahnhaltestelle Unter-Ehrenberg beflügelte dieses Unternehmen. Gehandelt wurden überwiegend Radeberger und Kulmbacher Biere. Vielleicht gab es aus der Münchner Zeit gute Beziehungen zur Brauerei Kulmbach. Diese Brauerei hatte ab 1872 ihren Gesellschaftssitz in Dresden und verfügte dort über eine umfangreiche Niederlassung und große Bierkeller.

Nicht mehr völlig zu klären ist der Anteil des selbstgebrauten Bieres im Verkauf. Zumindest auf den Prägeflaschen der Firma Hänsel taucht die Bezeichnung „Brauerei“ nicht auf. Beliefert wurden Gasthäuser und Hotels in der Umgebung. Nachgewiesen sind Geschäftsbeziehungen mit Hotelier Max Hempel in Neustadt, mit der Gaststätte „Stiller Fritz“ in Rugiswalde und der ab 1926 bestehenden Jugendherberge „Jugendburg“ in Hohnstein. Die für die Burg eigentlich näher liegende Brauerei Otto Klinger in Hohnstein hatte bereits 1917 ihren Betrieb eingestellt. Gasthäuser und Hotels wurden überwiegend mit Fassbier versorgt, die Jugendburg wurde zumeist mit Flaschenbier beliefert. Die Auslieferung erfolgte mit einem Tafelwagen als Pferde- oder Ochsenfuhrwerk. Als Kutscher halfen hier Familienmitglieder wie zum Beispiel der Neffe Georg Hänsel.

Diese Glasscherbe einer Bierflasche war Ausgangspunkt der Recherchen des Autors.
Diese Glasscherbe einer Bierflasche war Ausgangspunkt der Recherchen des Autors. © Matthias Großer

Mehrere Brände zerstörten Schriftstücke

Viele schriftliche Zeugnisse der Brauerei und Bierverlegerei haben sich nicht erhalten, was mehreren Bränden geschuldet ist. So brannte am 16. Dezember 1928 die Scheune durch einen Kurzschluss ab. Am 9. September 1930 wurde durch Brandstiftung das Wohnhaus zerstört. Dabei war die Lage so bedrohlich, dass sich der Neffe Georg nur durch einen Sprung aus dem Fenster seiner Kammer retten konnte. Inwieweit dieses Ereignis bereits das Geschäft zum Erliegen brachte, ist noch Gegenstand weiterer Forschungen, jedenfalls wurde der größte Teil des Schriftgutes ein Opfer der Flammen.

1932, am 20. Mai, sozusagen auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise brannte die neu erbaute Scheune ein zweites Mal ab. Diesmal war ein heiß gelaufenes Lager der Dreschmaschine schuld. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs, spätestens ab 1944, kam der Bierhandel zum Erliegen, da alle potenziellen Biertrinker in den Schützengräben quer durch Europa hockten.

Nach 1945 stand die Landwirtschaft im Vordergrund und gebraut wurde nur noch für den Heimbedarf. Die vom Braumeister Hänsel meist noch auf dem Feld begutachtete Gerste wurde in der damaligen Ehrenberger Obermühle bei Erich Busch geschrotet, beim Bäcker Pönitz geröstet und dann mittels einer 200 Liter fassenden Braupfanne veredelt.

Der nötige Hopfen kam nicht etwa aus Bayern oder Böhmen, sondern wurde von der Dorfjugend gegen ein Entgelt von 50 Pfennig pro Korb im Bereich der Ortslage, wo wilder Hopfen wuchs, gesammelt. Am 26. Januar 1955 verstarb Otto Hänsel in Ehrenberg.

Die Felder der Bauernwirtschaft Hänsel reichten übrigens bis ins Schwarzbachtal zur Rapkemühle. Wahrscheinlich stillten hier ein paar Erntehelfer ihren Durst und hinterließen jene Scherbe, der dieser Artikel seine Entstehung verdankt.