Dornröschenschlaf im Jahre 99

Hoyerswerda. Es war einmal eine Königin, die erst nach sehnlichem Flehen ein Kind bekam. Die Tochter wurde von elf Feen mit allem Guten und Schönen bedacht. Aber Fee Nr. 13, nicht zur Taufe geladen, weil der König nur zwölf goldene Teller hatte, erschien trotzdem und sprach erbost einen Fluch: „«Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen.» ... Da trat die zwölfte (Fee) hervor, die ihren Wunsch noch übrig hatte, und weil sie den bösen Spruch nicht aufheben, sondern ihn nur mildern konnte, so sagte sie: «Es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf, in welchen die Königstochter fällt.“
Also steht’s bei den Gebrüdern Grimm ab der 1. Auflage ihrer Kinder- und Hausmärchen von 1812 an Stelle 50. Ungefähr genau so gestaltete sich die Geschichte des Hoyerswerdaer CENTRUM-Warenhauses. Nach vielen Vertröstungen und Verzögerungen wurde es doch gebaut und am 28. Juni 1968 eröffnet – begleitet von vielen guten Wünschen; begabt mit einem Waren- und Service-Angebot, wie es im weiten Umkreis seinesgleichen suchte. Die Fee Marktwirtschaft hatte ja keinen Zutritt zur Zweiten Sozialistischen Großstadt der DDR erhalten, musste sich also mit Verwünschungen aus der Ferne behelfen, die demgemäß mangelhaft wirkten. Zunächst einmal waren es nicht 15, sondern 22 Jahre, ehe die Wende für ein langsames Entschlummern sorgte. Erst Karstadt mit vielen Sortiments-Änderungen; dann Zwangspause ab dem 14. April 2007; wieder eröffnet als Karstadt Schnäppchen Center am 30. August 2007, dann still und leise Anfang 2012 endgültig geschlossen. Lausitz-Center-Eigner ECE erbarmte sich schließlich, kaufte die Immobilie und eröffnete das Erdgeschoss am 20. März 2013 wieder. Allerdings: Der Rest des Hauses, aufwärts, blieb im Dornröschenschlaf.
Kein Fiasko, kein Notstand
Center-Manager Dieter Henke betont, diese teilweise Nicht-Nutzung sei kein Fiasko oder gar Notstand. Man könne das Haus sehr gut wirtschaftlich mit der Nur-Erdgeschoss-Lösung betreiben. Natürlich gebe es immer wieder Gespräche mit potenziellen Interessenten. Zudem von Passanten, die sich erinnern, was einst hier war (etwa die legendäre Soljanka im Café) oder von der aluminiumwabenen Außenhaut fasziniert sind, schwärmerische und handfeste Überlegungen: „Man könnte, man sollte, man müsste hier doch ...“ Aber es gelte stets zweierlei abzuwägen: Passt das Geplante qualitätsmäßig ins Center? Und: Was ist der Mieter unter welchen Umständen bereit, zu bezahlen? Es ist eben ein alter Bau, der, Stichworte „sanitäre Anlagen“ und „Sicherheit“, ertüchtigt werden müsse. (Nebenbei bemerkt: Selbst die Rolltreppe, die ja nur im Erdgeschoss für die Ansiedlung von „Intersport“ entfernt worden war, ist ja in den oberen Etagen noch vorhanden.) Müssten noch darüber hinaus umfangreiche, teure Vorarbeiten geleistet werden und sei hinterher nur ein Mietzins zu erzielen, der auch nur eine Amortisation erst in etlichen -zig Jahren erwarten lässt, sei das betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen. Denk- und machbar sei vieles – nur müsse es von den Kosten her zu rechtfertigen sein. Andernfalls bleibt der ungenutzte Teil des Hauses „in Konservierung“: so, dass keinerlei Verfall eintritt und eine Wiederbelebung (technisch!) problemlos möglich wäre. Wie geht das Märchen weiter? So heißt es bei Grimms:
„Wie er es mit dem Kuss berührt hatte, schlug Dornröschen die Augen auf, erwachte, und blickte ihn ganz freundlich an. Da gingen sie zusammen herab, und der König erwachte und die Königin und der ganze Hofstaat, und sahen einander mit großen Augen an. Und die Pferde im Hof standen auf und rüttelten sich; die Jagdhunde sprangen und wedelten; die Tauben auf dem Dache zogen das Köpfchen unterm Flügel hervor, sahen umher und flogen ins Feld; die Fliegen an den Wänden krochen weiter; das Feuer in der Küche erhob sich, flackerte und kochte das Essen; der Braten fing wieder an zu brutzeln; und der Koch gab dem Jungen eine Ohrfeige, dass er schrie; und die Magd rupfte das Huhn fertig.“
Ein gutes Ende, wie es sich für ein Märchen gehört. Und für Hoyerswerda zu hoffen ist. Es ist ja aber gefühlt auch noch erst das Jahr 99 fürs Centrum-Dornröschen. Genügend Zeit für den Prinzen mithin.





