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Gehstockhiebe, fliegende Aschenbecher, Schüsselschläge

Das Amtsgericht Hoyerswerda muss sich durch einen Wust konträrer Schilderungen mühen.

Von Uwe Jordan
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© Symbolfoto: SZ Archiv

Hoyerswerda. Gefährliche Körperverletzung. So einfach und nüchtern lautet auf dem Sitzungsaushang der zu verhandelnde Sachverhalt; aber rasch wird klar, dass sich dahinter ein ganzes Panoptikum von Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen, teils abenteuerlichen Geschichten und Sprachwirrwarr verbirgt – gleich drei Dolmetscher sind im Saal.

Es geht um zwei Vorfälle im Hoyerswerdaer Asylbewerberheim an der Thomas-Müntzer-Straße, beide Male ist Adham Mat. der Angeklagte. Dem 37-jährigen Iraker, einst Autoverkäufer, verheiratet mit zwei Frauen und gehbehindert, wird vorgeworfen, er habe am 3. Februar 2021 Roza Ali. mit seinem Gehstock geschlagen und nach ihrem Ehemann Rashid Ask. einen schweren Glas-Aschenbecher geworfen, so dass die Eheleute verletzt wurden. Am 17. April 2021 dann soll Mat. mit einer Metallschüssel und einem Grillrost auf Aidi Is.Da. und Rondik Mam. eingeschlagen haben.

Schwur auf den Koran angeboten

Zunächst zum Gehstock-Aschenbecher-Fall. Adham Mat. behauptet, ER sei der Geschädigte: „Ich bin verletzt worden!“ Er habe sich im Bad die Hände zum Gebet gewaschen, da habe ihn Rashid Ask. gewürgt. Das könne er auf den Koran schwören! Außerdem habe Ask. „Allahu akbar“ gerufen, „Dschihad“; daran habe er den irakischen IS-Kämpfer, der Ask. sei, erkannt. (Allerdings stellt sich rasch heraus, dass Ask. ein Tschetschene ist). Roza Ali. habe ihren Mann angefeuert, daraufhin habe er sich gewehrt, allerdings nicht Frau Ali. geschlagen, sondern nur ihren Mann, der Teil einer gewaltbereiten großen Bande sei. Ja – aber was sei denn der Auslöser für den Streit gewesen?, wird er gefragt. Nun, das sei eigentlich die Schuld von Roza Ali.! Die nämlich habe ihm nachgestellt, ihm Botschaften und Herzchen aufs Handy geschickt („kann ich alles zeigen“). Den Mail-Verkehr habe Amal Awa., eine der Ehefrauen von Mat., entdeckt und Roza Ali. gezeigt – und so sei es halt zum Ärger gekommen.

Ein Zettel mit anzüglichem Inhalt

Roza Ali. hingegen bezichtigt Mat., dieser habe mir ihr anbandeln wollen. Mehr noch: Ihrer minderjährigen Tochter habe er einen Zettel mit anzüglichem Inhalt zugesteckt! Da sei das Maß endgültig voll gewesen; da habe man Mat. zur Rede stellen wollen. „Wir wollten das regeln wie in Deutschland, nicht so wie bei uns.“ Das bestätigt Rashid K. „Ich wollte ihn nicht schlagen, aber ich habe ihn zu Boden gebracht, als er meine Frau mit dem Stock angegriffen hat.“ Der Aschenbecher; ja, der sei nach ihm geworfen worden. Dann verlangte er zu wissen, ob er Adham Mat. verklagen könne, weil der behauptet hat, Roza Ali. hätte ein Verhältnis mit ihm angestrebt. „Ja, das können Sie, aber um Gotteswillen nicht hier“, stöhnte Staatsanwalt Dr. Ludger Altenkamp. Nun sollte noch Amal Awa. vernommen werden – aber die war nicht erschienen. „Die ist hochschwanger und muss doch auf die Kinder aufpassen“, murrte ihr angeklagter Ehemann. Deshalb habe er sie nicht mitgebracht. Was dessen Rechtsanwalt Michael Malz beinahe verzweifeln lässt: „Aber das ist doch unsere Zeugin!“ Nach der Mittagspause erschien sie dann samt Kind, konnte aber nur wenig Erhellendes zur Sache beitragen.

Ein Grillrost als Nebelkerze

Nun zum 17. April 2021. Das, so Adham Mat., sei wieder ganz anders gewesen. Mehrfach habe man ihm Grillroste gestohlen. Da habe er von Aidi Is.Da., von der er wisse, dass sie und ihre Familie die Übeltäter seien, in der Küche höflichst wenigstens ein Grillrost zurück erbeten. Da sei Aidi Is.Da. sauer geworden, habe mit der Metallschüssel nach ihm geschlagen, aber dummerweise ihre Tochter Rondik Mam. getroffen. – Nun Auftritt von Kider Zi.Qa., Ehemann von Aidi Is.Da. und Vater von Rondik Mam. Zunächst die obligatorische Frage: Sei er verwandt oder verschwägert mit dem Angeklagten? „Niemals! Ich bin Jeside, er ist Muslim.“ Das sei auch der wahre Grund für den Streit gewesen. Die Grillroste? Die hätten Mat. ja gar nicht gehört! Stattdessen habe der ihn ständig bedrängt, er, also Zi.Qa., solle zum Islam konvertieren; außerdem habe er einer Tochter von Zi.Qa. Avancen gemacht, sie gar heiraten wollen, und als beides (der Religionswechsel und die Heirat) abgelehnt worden sei, habe sich Mat. als ISIS-Mann offenbart und angekündigt, er werde die Familie weiter quälen. Dunkel ist die Rede von einem Messer, das einzusetzen Adham Mat. gedroht habe – und dann; ja dann habe es eben den Vorfall in der Küche geben, bei dem Mat. mit Schüssel und Grillrost auf Mutter und Tochter eingeschlagen habe, so dass beide verletzt worden seien.

„Verhinderungsgrund“ Essenkochen

Nun hätte Richter Daniel Lakomy gerne Aidi Is.Da. und deren Töchter, die Schwestern Rondik und Navin Mam., vernommen, aber die hatte Zi.Qa. aus für ihn triftigen Gründen nicht mitgebracht: Die Kinder seien in der Schule, und die Frau müsse ja nicht aussagen. „Ich glaubte, wenn ich komme, das reicht.“ Denn wer solle sich denn bitteschön um das Mittagessen kümmern? Von Richter Lakomy auf die Rechtslage hingewiesen, verspricht Zi.Qa., er werde das Trio zur am Nachmittag fortgesetzten Verhandlung schicken: „Sie werden da sein“. Zur Nicht-Überraschung von Richter und Staatsanwalt bleiben sie jedoch aus.

Der Staatsanwalt bietet Adham Mat. nunmehr an, die Anklage zu diesem wohl kaum aufzuklärenden Vorfall vom 17. April 2021 einzustellen – wenn der Angeklagte im Gegenzug auf seinen Antrag verzichte, das Gericht solle die Bilder der Kassette der Überwachungskamera zum Vorfall vom 3. Februar 2021 anschauen (was wohl eine Stunde dauern könnte). Nein; auf die Bilderschau verzichten will Adham Mat. natürlich nicht. Da werde sich seine Unschuld schon herausstellen! Die Wahrheit soll ans Licht! „Dann bleibt’s eben dabei, dass auch der Schüssel-Grillrost-Vorfall weiter verhandelt wird“, seufzt der Staatsanwalt. Das wird am 21. April der Fall sein. Dann werden übrigens die drei diesmal vermissten Zeuginnen polizeilich vorgeführt; Schule hin, Mittagessen her.