„Ich profitiere noch immer von der Zeit“

Hoyerswerda. Wer Berufsmusikerin oder Berufsmusiker ist oder werden möchte, stellt sich einem umkämpften Markt. Zunächst sind die Studienplätze begrenzt, und eine Festanstellung ist längst nicht mehr die Regel. Der Weg kann also – als Instrumentallehrkraft oder Orchestermitglied – häufig auch in die Freiberuflichkeit führen. Vielleicht müssen dann noch Nebenjobs her, um das Auskommen zu sichern.
Jetzt Musikschuldirektor
Sven Rössel hat trotz dieser Lage vor beinahe zehn Jahren die Entscheidung getroffen, sein festes Engagement als Orchestermusiker aufzugeben. Er war seit 2007 Kontrabassist der Anhaltischen Philharmonie Dessau. „Ich möchte nicht nur Konzertmusiker sein“, erklärt der 1982 in Cottbus Geborene. Die Motivation dahinter: Es ist mehr zu tun, damit diese – seine Musikwelt – eine Zukunft hat. Wenn die Nachfrage nach Orchestermusik weiter zurückgeht, liege das seiner Meinung nach unter anderem daran, dass die Begeisterung dafür nicht an nachfolgende Generationen weitergegeben wird. Und hier hat er seine Chance und Aufgabe gesehen. Denn seit 2013 ist Sven Rössel Leiter der Kreismusikschule Dreiländereck mit der Hauptstelle in Löbau. Der Tätigkeitsbereich erstreckt sich über den gesamten Landkreis Görlitz.
Hoyerswerda als Sprungbrett
Schon vor der Schulzeit war da eine Begeisterung für Musik. „Das verdanke ich meinem Großvater, er hat Akkordeon gespielt und mit mir gesungen.“ Schon zeitig besuchte der junge Sven Rössel ein Konservatorium. Mit dem Umzug nach Zittau, was er als den Ort bezeichnet, wo er aufgewachsen ist, war eine Umorientierung notwendig. Und so legte der Gymnasiast am Ende der zehnten Klasse eine Aufnahmeprüfung am Lessing-Gymnasium Hoyerswerda ab, um hier die vertiefte musische Ausbildung genießen zu können. Der Schulwechsel gelang, er wohnte von da an im Internat der Schule, wo es sogar Übungsräume gab, erinnert er sich. Wieso die Wahl auf die Kleinstadt fiel, lässt sich einfach erklären: „Hoyerswerda war damals der nächste spannende Ort in der Umgebung. Auch die KulturFabrik war damals schon ein Player.“
Erinnert sich Sven Rössel an diese (Schul-)Zeit zurück, meint er, dass Hoyerswerda das Sprungbrett für seine Professionalisierung war. „Ich habe unglaublich viele Impulse bekommen und konnte experimentieren“, beschreibt er die individuellen Möglichkeiten und die vielen Freiheiten, die er genossen hat und noch heute wertschätzt. Dann ein so breites Abitur abgelegt zu haben, empfindet er als großen Vorteil gegenüber einer Spezialschule. Nach dem Schulabgang studierte Sven Rössel bis 2011 an Hochschulen für Musik in Dresden, Köln und Leipzig. Gastspiele führten in den letzten Jahren bis in das außereuropäische Ausland.
Und auch die forschende Tätigkeit hat ein Stellenwert bei Sven Rössel, der 2020 promovierte. Er meint, dass auch dafür der Grundstein einst am Hoyerswerdaer Gymnasium gelegt wurde. Da verfasste er als Schüler eine Besondere Lernleistung (Bell) über sein Instrument, den Kontrabass. Solche Arbeiten gehen schließlich in das Abitur mit ein und die Bell ist grundsätzlich geeignet, eigene Interessen über den Unterrichtsstoff hinaus zu vertiefen. „Da habe ich erstmals wissenschaftlich gearbeitet“, erinnert sich Sven Rössel zurück. Überhaupt sind seine Eindrücke überaus positiv: „Ich empfinde es als sehr intensive Zeit und Erfahrung. Ich profitiere noch immer von der Zeit“, ist sich der heutige Musikschulleiter sicher.
Unaufhörlich für den Beruf werben
Auch heute ist der Musiker noch regelmäßig in Hoyerswerda, kennt die Schule im heutigen Zustand – nach den Umbaumaßnahmen. „Da hat sich irre viel getan“, meint Sven Rössel mit Begeisterung. Meist führt ihn der Weg dann im Rahmen des Wettbewerbes „Jugend musiziert“ in die Stadt. Und darüber hinaus stand außerdem erst kürzlich ein Auftritt in der Johanneskirche an; da war Sven Rössel als Mitglied der Neuen Lausitzer Philharmonie zu Gast.
„Ich spüre noch immer den offenen Geist“, gibt er seine Eindrücke wieder. Doch in dem Atemzug drückt er auch sein Bedauern darüber aus, dass es mittlerweile kein Internat mehr gibt. Das mindere die Reichweite in der Region.
Kürzlich stand er selbst vor Schülerinnen und Schülern des Lessing-Gymnasiums, um seinen Appell weiterzutragen: „Ich werbe für meinen Beruf und werde da nicht müde.“ Er meint, dass ausscheidende Lehrkräfte unbedingt adäquat nachzubesetzen sind. Daher ist er froh, der Schülerschaft einen tieferen Einblick gewährt haben zu können, der durch den Einzel- und Ensembleunterricht aber schon dazugehört. „Nachwuchslehrkräfte zu finden, ist gerade mein Thema“, ist eine gewisse Beharrlichkeit zu spüren. Seinen Berufsalltag beschreibt Sven Rössel als „total spannend“, weil kein Tag wie der andere ist. Erfolg ließe sich zwar an Schüler- und Absolventenzahlen messen, doch viel mehr die langfristige Wirkung ist bedeutend: Wer bleibt dran und wird ein zukünftiger Hörer? Viele Menschen zu befähigen, Musik ein- und wertschätzen zu können: das sieht Sven Rössel als seine Aufgabe an.