Hoyerswerda
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Wenn die Welt zu entgleiten beginnt

SZ-Lebensbegleiter startet eine Vortragsreihe – Prof. Markus Donix spricht über „Demenz und Alterseinsamkeit“.

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Was hier in Hoyerswerdas Senftenberger Straße ein Amüsement bei einem Volksfest ist, ist für einen Menschen, der an Demenz zu leiden beginnt, bitterer Ernst: Eingeschlossen sein in einer eigenen Welt.
Was hier in Hoyerswerdas Senftenberger Straße ein Amüsement bei einem Volksfest ist, ist für einen Menschen, der an Demenz zu leiden beginnt, bitterer Ernst: Eingeschlossen sein in einer eigenen Welt. © Foto: Uwe Jordan

Keiner mag sich gerne mit den Themen Demenz und Alterseinsamkeit befassen. Beide Schicksale zählen zu den heutigen Ur-Ängsten. Aber es ist damit wie mit vielen; eigentlich mit allen unangenehmen Dingen: Treffen sie einen unvorbereitet, sind sie noch härtere Schläge als ohnehin schon. Und es sind ja nicht nur direkt Betroffene, die damit umgehen müssen. Es sind vor allem die Angehörigen, die sich unversehens vor Verpflichtungen gestellt sehen, denen gegenüber man oft hilflos ist und sich mühsam zurecht finden muss.

Aber Alterseinsamkeit und Demenz sind keine Schicksalsschläge, denen man ohne jedes Gegenmittel ausgeliefert ist. Alterseinsamkeit ist vor allem ein soziales Problem, doch Demenz kann man, wenigstens zu Teilen, vorbeugend entgegenwirken – und, als Angehöriger, Strategien skizzieren, was man tun kann, um die Ausnahmesituation zu beherrschen: mit professioneller Hilfe, aber auch im Alltag mit einem kranken Menschen.

„Guter Rat ist teuer“ heißt es leider in vielen Fällen nicht zu Unrecht. Der SZ-Lebensbegleiter möchte Ihnen daher Unterstützung anbieten – mit einer Vortagsreihe, die genau diese „heißen Eisen“ anpackt. Am 4. August, einem Donnerstag, wird ein solcher Lebensbegleiter in Hoyerswerda gehalten: Professor Markus Donix von der Gerontopsychiatrie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden spricht in einem Videovortrag in Hoyerswerda zum Thema „Demenz und Alterseinsamkeit“. Wir haben im Vorfeld einige Kernthesen seines Vortrages erfahren. Das hier in Kürze Zusammengefasste kann den Vortrag in Gänze selbstverständlich nicht ersetzen – aber Denkanstöße geben; Mut machen, sich auseinanderzusetzen mit dem hier Angerissenen – und ermuntern, den Vortrag zu hören.

Was ist Demenz überhaupt –und was ist ihre Ursache?

Demenz ist keine eigenständige Erkrankung, sondern beschreibt, dass die geistige Leistungsfähigkeit so eingeschränkt ist, dass man im Alltag Unterstützung braucht. Dieser Zustand besteht mindestens ein halbes Jahr. Viele verschiedene Erkrankungen können zur Demenz führen, Alzheimer ist die häufigste Ursache. Bei der Alzheimer-Erkrankung schädigen krankhafte Eiweiße die Nervenzellen im Gehirn.

Wie erkennt man, ob eine Demenz sich abzuzeichnen beginnt?

Neben Gedächtnisschwäche können Orientierungsstörungen Anzeichen sein, dass etwas nicht in Ordnung ist, sich möglicherweise etwas anbahnt. Bei sehr kleinen Veränderungen ist es aber viel schwieriger als bei ausgeprägten Veränderungen, eine konkrete Ursache zu bestimmen. Das heißt, eine kleine Veränderung im Verhalten beweist natürlich noch nicht das Vorliegen einer Demenz. Hier muss man gut unterscheiden zwischen normalen Veränderungen der geistigen Leistungsfähigkeit im steigenden Lebensalter und krankhaften Prozessen. Es ist zum Beispiel normal, dass wir schwierige Aufgaben mehr üben müssen, wenn wir älter werden, und wir können Tätigkeiten nicht mehr so gut parallel erledigen. Es erscheint dann, dass der ältere Mensch langsamer wird, mehr Zeit braucht für sein Handeln. Sein Fühlen oder das Urteilsvermögen wird dadurch aber nicht beeinträchtigt.

Ist fehlendes Urteilsvermögen also ein Demenz-Anzeichen?

Wenn der Eindruck entsteht, dass Urteilsvermögen sei gestört, dann ist das keine Folge des normalen Älterwerdens. Eine Demenz könnte die Ursache sein. Aber auch andere Erkrankungen können Denken, Fühlen oder Urteilskraft verändern.

Wie steht es mit Vergesslichkeit –das gilt ja oft als Warnzeichen ...

Wer ab und an mal etwas vergisst – das ist nichts Beängstigendes. Wenn aber häufiges Vergessen selbst als störend empfunden wird oder es Freunden und Angehörigen als Veränderung auffällt, dann kann das ein Hinweis auf eine beginnende Demenz sein. Es gibt aber auch viele andere Ursachen, eine genaue Diagnostik ist also wichtig.

Apropos Diagnose: Gibt es einen „Laien-Test“ in Sachen Demenz?

Oft wird der sogenannte Uhrentest genannt: Man bittet den Betreffenden, ein Zifferblatt zu zeichnen und eine bestimmte Uhrzeit einzutragen. Wer das nicht mehr schafft, hat wahrscheinlich recht ausgeprägte Alltagsstörungen.

Was ist dann zu tun; was sollte man unternehmen?

Dann ist die Vorstellung in einer Gedächtnisambulanz zu empfehlen. Es gibt auch andere sogenannte Kurz-Tests. Aber die persönlichen Wahrnehmungen aus dem Alltag sind für die Ärzte in einer solchen Sprechstunde viel wichtiger als ein nicht bestandener Uhrentest. Begleiten Sie daher den Menschen zu seiner Vorstellung, wenn Sie Verhaltensänderungen bemerkt haben und diese gut beschreiben können. Wenn eine anhaltende kognitive Störung besteht, also eine Veränderung der Hirnleistung, sollte immer eine Abklärung erfolgen. Kognitive Störungen sind keine normale Folge des steigenden Lebensalters!

Gibt es auch andere Erkrankungen, die ein ähnliches Bild zeichnen?

Es gibt auch andere Ursachen für schwere Hirnleistungsstörungen, die gut behandelbar sind: etwa eine Schilddrüsen-Unterfunktion oder eine Depression. Manchmal dauert eine solche Therapie lange oder die Störung kann nicht vollständig behoben werden. Aber es ist wichtig, zu wissen, dass nicht alle Defizite voranschreiten müssen oder durch Degeneration, also Hirn-Abbau, verursacht sind.

Wie soll man mit einem Menschen umgehen, dem Demenz droht?

Man sollte zur Diagnostik raten, wenn der Demenzverdacht noch nicht bestätigt oder ausgeschlossen wurde. Treten im Alltag schwierige Situationen durch Gedächtnisstörungen auf, etwa durch häufiges Nachfragen oder scheinbare Uneinsichtigkeit in die Defizite: Nicht diskutieren oder argumentieren! Die Veränderungen können vom Erkrankten nicht durch Anstrengung behoben werden. Diese Menschen brauchen Akzeptanz und Unterstützung.

Kommt es im Alltag zu echten Konfliktsituationen – was dann?

Bei sehr herausfordernden Verhaltensbesonderheiten, die bei manchen Demenzerkrankungen auftreten können, wie Gereiztheit und Aggressivität, gibt es gute Techniken zum Umgang. Lassen Sie sich vom Arzt beraten, auch zu den Möglichkeiten sozialer Unterstützung oder zu Medikamenten, die bei schwerer Ausprägung zum Einsatz kommen können. Neben medikamentöser Therapie sind Ergo- und Physiotherapie besonders wichtig, um den Genesungsprozess zu unterstützen.

Kann man Demenz beziehungsweise ihren Auslösern vorbeugen?

Vorbeugung ist möglich. Am besten untersucht in dieser Hinsicht ist die regelmäßige körperliche Aktivität – zwei bis drei Einheiten pro Woche, zum Beispiel Radfahren, Schwimmen oder Laufen. Sich im Alltag geistig fit zu halten, durch gute Gespräche, Interesse an Neuem und an aktuellen Geschehnissen, ist ebenfalls Vorbeugung und besser als jedes Kreuzworträtsel. Rätsel- und Knobelaufgaben sind eine gute Ergänzung, wenn sie Spaß machen. Aber sie ersetzen nicht den sozialen Austausch und alltagsrelevante Anregung. Durch die verschiedenen Aufgaben, körperliche und geistige Aktivität, wird das Gehirn automatisch trainiert. Wenn die Tätigkeiten Freude bereiten und interessant sind, ist der Effekt noch stärker. (KF/JJ)