Seenland-Klinikum: So funktioniert die Einführung der digitalen Patientenakte
Hoyerswerda. Die digitale Revolution am Lausitzer Seenlandklinikum ist jetzt knapp einen Monat alt. Am 5. August war damit begonnen worden, auf der Neurologie und der Stroke Unit die Pflegeanamnese und -planung zu digitalisieren, sprich digitale Patientenakten zu nutzen. Eine Woche später wurde sie dann im gesamten Klinikum eingeführt. Visitenwagen und Corpuswagen mit All-in-one-PC’s, Maus und Tastatur rollen zwar schon seit geraumer Zeit über die Gänge und in die Patientenzimmer, aber jetzt werden die Eintragungen der Pflege nicht mehr handschriftlich in einer Papierkurve vorgenommen, sondern am PC oder direkt im Tablet. Zunächst nach und nach, bald ohne Ausnahme.
Ein großer Umstellungs- und Lernprozess. Und mittendrin Linda Heinrich. Die 33-Jährige ist gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin, seit 2010 im Hoyerswerdaer Krankenhaus. Sie war auch schon Praxisanleiterin. Jetzt heißt ihre Tätigkeitsbezeichnung Power-Userin. Zusammen mit einem Kollegen ist sie für die Einführung der Digitalen Pflege- und Behandlungsdokumentation sowie der dafür erforderlichen Systeme verantwortlich. „Es nützt nichts, wenn das jemand von der Teppich-etage machen würde“, sagt Geschäftsführerin Juliane Kirfe und meint damit die Verwaltung. Denn Linda Heinrich weiß, was das Pflegepersonal leistet, kann sich immer in den Anwender hineinversetzen. Deshalb ist Linda Heinrich die Ansprechpartnerin in den Stationen, ihr Kollege Mathias Herschel ist der Leiter der Klinischen Prozesse und Digitalisierung.
Basis war das neue Wlan-Netz
Das Lausitzer Seenlandklinikum erfüllt mit dieser Umstellung Vorgaben des Krankenhauszukunftsgesetzes, die vor Jahren beschlossen wurden. Jedes Krankenhaus in Deutschland muss bis Ende 2024 nachweisen, dass es bestimmte Themen der Digitalisierung im Gesundheitswesen umgesetzt hat. Wie weit die Hoyerswerdaer da im Vergleich zu anderen Häusern stehen, ist konkret nicht zu benennen. Doch Juliane Kirfe ist mit dem Prozess, wie er läuft, sehr zufrieden. Das ganze Projekt wird mit Geldern der EU, des Bundes und des Freistaats Sachsen gefördert, erfordert aber auch Eigenanteile, die über den Entscheidungsbefugnissen eines einzelnen Geschäftsführers liegen. Allein das Seenlandklinikum macht für die Einführung Kosten in Höhe von vier Millionen Euro geltend.
Doch die Digitalisierung soll so manches einfacher machen. Vor der Einführung hat es für die rund 400 Pflegerinnen und Pfleger zweistündige Schulungen gegeben. Der Rest ist learning by doing, mit Rücksprache. Im Intranet sind auch jederzeit abrufbar weitere Informationen hinterlegt.
Die Technik wurde nach und nach angeschafft. Die Basis war das Installieren von zwei Wlan-Systemen – einem offenen für die Endgeräte der Patienten, und einem geschlossenen für den internen Klinikgebrauch. Das wurde bereits vor Jahren vorgenommen und kann bei Bedarf nun immer noch angepasst werden, falls sich herausstellt, dass irgendwo die Signalabdeckung nicht so gut ist.
Den Visitenwagen für die Ärzte nennt Linda Heinrich in Anlehnung an die Autowelt den „Smart“ und die Corpuswagen die „SUV“. Beide sind unterschiedlich ausgestattet. Im Corpuswagen fahren derzeit noch die Papierpatientenakten, die sogenannten Kurven mit. Später, wenn alles digitalisiert ist, ist dort dann Platz für Utensilien, die am Krankenbett benötigt werden.
Die Visitenwagen sind bereits seit Ende 2022 im Einsatz, die Corpuswagen sind erst seit einem Jahr da. Letztere werden aber auch schon für die Durchgänge in den Zimmern verwendet.
Warnfunktion für Medikamente
Bei all dem arbeitet das Seenlandklinikum mit einem Systemhersteller für Krankenhausinformationssoftware zusammen. Je nach Stand der Einführung und dem damit einhergehenden Zeitplan sind Mitarbeiter dieser Firma im Haus und unterstützen die Einführung neuer Module oder Funktionen. Es werden nicht sofort alle Patienten mit der digitalen Dokumentation geführt, sondern zu Beginn erstmal 8 oder 10 Personen je Station. Dann wird es immer weiter ausgebaut. Mit diesem Monat kommen zwei weitere Programme hinzu. Es werden die digitale Tageskurve und das Medikamentenmanagement eingeführt, wiederum beginnend auf der Neurologie und der Stroke Unit. Linda Heinrich weiß, dass das System beispielsweise über eine automatisierte Warnfunktion verfügt, um Wechselwirkungen zwischen und Kontraindikationen von Medikamenten zu erkennen.
Prozesse neu denken
Seit diesem Dienstag werden auch alle Patientenneuaufnahmen in der Neurologie in der digitalen Tageskurve mit Medikamentenmanagement dokumentiert. Wie Linda Heinrich schildert, ist das System flexibel und offen für eigene Lösungen. So gibt es zwar beispielsweise in zwei verschiedenen Krankenhäusern die gleiche Bedienoberfläche, aber die Pflegeplanung unterscheidet sich, so wird diese von der eigenen IT-Abteilung nach den Anforderungen des Hauses oder auch der jeweiligen Klinik angepasst.
„Wir nutzen das auch, um Prozesse zu überdenken, zu verändern zu verschlanken und an die heutigen Anforderungen anzupassen“, schildert Juliane Kirfe. Denn die Pflege ist immer weiter mit Dokumentation belastet worden. Die Digitalisierung soll nun wieder etwas Erleichterung bringen, hier und da eine Vielzahl von Dokumenten zusammenführen.
Die Aufnahme eines Patienten erfolgt nun beispielsweise mit Hilfe eines Tablets. Ist eine Wunddokumentation erforderlich, erfolgt diese gleich mit der eingebauten Kamera und kann sofort gespeichert werden. Bei der Einschätzung des Risikos ein Druckgeschwür zu bekommen, musste früher ein Wert auf einer Skala ausgesucht werden. Nun macht der Rechner anhand der eingegebenen Werte einen Vorschlag, den man so annehmen, aber auch nach eigener Einschätzung ändern kann.
Speicherung im Haus
„Wir müssen mit der Zeit gehen, um auch den Beruf attraktiver zu machen“, sagt Linda Heinrich. Letztlich ist so eine große Umstellung dank der Komponente Mensch immer eine sehr individuelle. Wer mit elektronischen Endgeräten aufgewachsen ist, hat es vielleicht einfacher. Doch die persönliche Einstellung zu Veränderungen spielt die entscheidende Rolle. Linda Heinrich kennt Mitarbeiterinnen, die wenige Jahre vor der Rente stehen, und mit dem neuen System sehr schnell vertraut waren.
Im kommenden Jahr, so sieht Juliane Kirfe den Zeitplan, ist dann die Einführung der elektronischen Patientenakte abgeschlossen. Die Speicherung erfolgt übrigens im Haus, nicht auf Servern vielleicht gar noch in Übersee. Kein Fremder, nicht einmal mal ein anderes Krankenhaus im Sana-Verbund, hat Zugriff auf die jeweilige Akte. Wird ein Patient entlassen oder verlegt, bekommt er seinen entsprechenden Brief für die Weiterbehandlung mit – ausgedruckt in Papierform.