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„Ich bereue nichts“

Vor 21 Jahren ist Jens Weißflog das letzte Mal von einer Schanze gesprungen. Sein Abschied vom Sport war lange geplant, genauso wie sein neues Leben als Hotelier und Kommunalpolitiker.

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© Robert Michaell

Herr Weißflog, Sie haben Ihre aktive Sportlerkarriere 1996 beendet. Das ist nun fast auf den Tag genau 21 Jahre her. Haben Sie es je bereut, den Sport losgelassen zu haben?

Bei der Vierschanzentournee 1984 hat Jens Weißflog drei der vier Wettbewerbe gewonnen, so wie hier beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen.
Bei der Vierschanzentournee 1984 hat Jens Weißflog drei der vier Wettbewerbe gewonnen, so wie hier beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen. © imago/werek

Nein. Wichtig ist, dass man den Entschluss zum Aufhören ganz bewusst und aus sich heraus fasst. Ich hatte das Glück, selbst entscheiden zu können. Es gab keine schwerwiegenden Verletzungen oder andere äußere Einflüsse, die mir den Abschied plötzlich aufgezwungen hätten. Das macht es leichter, mit einem guten Gefühl loszulassen.

Was war der Auslöser für die Beendigung Ihrer Karriere?

Das Loslassen war auch für mich ein Prozess. Ich hatte schon 1993 meinen Rücktritt bekannt gegeben. Ein Jahr später kam dann der Rücktritt vom Rücktritt, und ich habe noch einmal zwei Jahre drangehangen. Ich war dann schließlich 31 Jahre und damit alt genug, um Schluss zu machen. Um an der Weltspitze weiter mitspringen zu können, war ein immer größerer Trainingsaufwand nötig. Gleichzeitig forderte die jahrelange physische Belastung meines Körpers erste Tribute. Das zusammengenommen und ein Erfolgsdruck, der eher zu- als abnahm, gaben den Ausschlag für meine Entscheidung, meine Karriere zu beenden.

Sie gewannen im letzten aktiven Jahr die Vierschanzentournee zum vierten Mal, standen im Weltcup 1995/96 auf dem vierten Platz und haben auf der Großschanze im amerikanischen Iron Mountain Ihren letzten Weltcup gewonnen. Machte der Erfolg den Abschied leichter?

Auf jeden Fall nicht schwerer. Der Entschluss aufzuhören, stand aber schon vor Beginn der Saison fest. Es ist schön, die Karriere mit Erfolgen zu beenden. Aber auch ohne Siege hätte sich an meiner Entscheidung nichts verändert. Sie sind ein sehr nettes Beiwerk.

Sie haben Ihr Leben bis 1996 vor allem dem Spitzensport gewidmet. Viel Training, ausreichend Schlaf, gesundes Essen – nur so sind Höchstleistungen möglich. Ist da das Karriereende nicht auch ein Befreiungsschlag?

Ein Stück weit schon. Denn selbst nach Saisonende konnte man sich im Urlaub nicht allein dem Müßiggang hingeben. Eine Sporteinheit pro Tag war auch in den Ferien Pflicht, um nicht zu viel Muskelmasse abzubauen. Insofern genieße ich heute natürlich deutlich mehr Freiheiten.

Treiben Sie noch täglich Sport?

Nein. Ich mache Sport, aber nicht mehr täglich. Dazu bin ich auch zeitlich in meinem Hotel viel zu sehr eingebunden.

Ein Profikicker, der seine Karriere beendet, kann weiter Fußball spielen, und ein Tour-de-France-Ass kann sich jederzeit wieder auf den Sattel setzen. Würden Sie jetzt aus dem Stand von einer Schanze springen?

Mit der Pistole im Rücken, ja. Aber im Ernst, Skispringen ist nicht wie Radfahren. Zwar verlernt man das Springen nicht, aber die Bewegungsabläufe sind komplexer, und die äußeren Einflussfaktoren, wie der Wind, sind um ein Vielfaches größer. Beim Fahrrad kann ich die Schnelligkeit je nach Können und Routine variieren. Eine Schanze aber passt sich nicht dem Alter des Springers an. Meine letzte Fahrt zum Schanzentisch war am 15. Juni 1996, bei meinem Abschiedsspringen in Oberwiesenthal, und dabei wird es vermutlich auch bleiben.

Nach der Karriere als Sportler kam die des Experten. Sie haben bis 2011 für das ZDF Skisprung-Wettkämpfe kommentiert. Heute stehen Sie nur noch einmal im Jahr vor der Kamera, beim Fis Sommer Grand Prix in Klingenthal. Hatten Sie genug vom Rampenlicht?

Keineswegs. Ich hätte die Kommentierung beim ZDF gerne fortgesetzt. Dort hat man sich nach einigen Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit für einen Personalwechsel entscheiden. Das ist völlig in Ordnung. Für mich bot die Rolle des Experten damals die schöne Gelegenheit, weiter beim Skispringen dabei sein zu können, allerdings aus einer neuen Perspektive und ohne den Druck eines aktiven Sportlers. Der Reise- und Zeitaufwand war deutlich geringer, sodass ich mich parallel unserem Hotelprojekt in Oberwiesenthal widmen konnte. Heute bin ich gern in Klingenthal dabei. Es ist eine schöne Tradition, und ich verliere den Kontakt zu meiner alten Sportart nicht gänzlich.

Wäre auch der Trainerjob eine Option gewesen?

Ja, es gab Überlegungen und auch schon konkrete Gespräche mit dem Deutschen Skiverband. Allerdings war mit dem Kauf des Hotels in Oberwiesenthal und dessen Sanierung relativ schnell klar, dass ich mich hier nicht nur finanziell, sondern auch personell mit einbringen werde.

Sie sind gelernter Elektriker, haben sich dann aber für das Hotel- und Gaststättengewerbe entschieden. War da ein Lernprozess nötig?

Auf jeden Fall, auch wenn ich keine zusätzliche Ausbildung gemacht oder Schulungen besucht habe. Learning bei doing war das Motto. Und ich habe sehr viel gelernt. Gerade die ersten Jahre waren sehr spannend und lehrreich. Und ehrlich gesagt, auch der Druck ist geblieben, vielleicht ist er sogar größer als zuvor, wenn man plötzlich die Verantwortung für 20 Mitarbeiter hat. Das relativiert vieles. Sicher, Skispringen ist eine Risikosportart, und Sportler, auch ich, neigen gern dazu, sich und ihre Leistung sehr wichtig zu nehmen. Ging mal ein Sprung daneben, brach gleich die ganze Welt zusammen. Dabei bekommt lediglich ein anderer die Medaille. Heute, als Unternehmer, geht es um sehr viel mehr. Eine grobe Fehlentscheidung, und die Zukunft des ganzen Hauses stünde infrage.

Haben Sie Fehler gemacht?

Sicher, aber sie waren nie so gravierend, dass sie die ganze Unternehmung bedroht hätten. Wir haben zum Beispiel mal einen Kamin angeschafft, der für den Raum zu groß dimensioniert war. Das ist ärgerlich, lässt sich aber korrigieren.

Nun trägt das Apartmenthotel in Oberwiesenthal nicht nur Ihren Namen. Man kann Sie hier auch als Hotelier live erleben. Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zum Gast?

Sehr wichtig. Er ist Teil unseres Konzeptes. Ich wollte hier von Anfang an nicht nur finanziell investieren, sondern mich auch persönlich einbringen. Natürlich kann ich nicht den ganzen Tag der Grüß-Onkel sein und Autogramme geben, da würde das Hotel nicht laufen. Heute Morgen habe ich den Abfluss eines Waschbeckens repariert, weil unser Hausmeister gerade Urlaub hat. Ich putze auch mal Fenster, und selbst Betten kann ich machen. Das habe ich im Trainingslager oft genug geübt.

Ihre Gäste besuchen nicht nur Oberwiesenthal, sondern auch Jens Weißflog. Wie wichtig ist Ihr Name für den Erfolg des Hotels?

Er ist vielleicht ein Türöffner, um das Interesse der Gäste zu wecken. Zu uns muss man ganz gezielt wollen. Wir liegen mitten im Grünen, etwa zwei Kilometer weit weg vom Zentrum Oberwiesenthals. Aber auf der anderen Seite verbinden viele mit prominent auch teuer. Wir haben vor einigen Wochen auf dem Flughafenfest in Dresden für unser Haus geworben. Neun von zehn Passanten haben gesagt, ach ja, kenne ich, da sind wir schon mal vorbeigekommen. Wir aber möchten, dass die Leute zu uns reinkommen, ins Restaurant und natürlich auch ins Hotel. Bei der Gestaltung unserer Preise ist uns wohl bewusst, dass wir beachten müssen, was unsere Gäste bereit sind auszugeben, bzw. was sie ausgeben können. Aber wir machen das Preisdumping, das hier im Erzgebirge leider sehr ausgeprägt ist, nicht mit. Wir sind unseren Preis wert. Trotzdem müssen wir um jeden Gast werben, müssen uns abheben von den Mitbewerbern. Deshalb gibt es die Relax Lodge und seit 2013 Skifliegersuiten, die nach den Schanzenorten Planica, Engelberg oder Bischofshofen benannt sind. Mein Name allein sorgt noch nicht für ein ausgebuchtes, gut gehendes Haus.

Sie sitzen seit 2009 für die CDU im Stadtrat, wurden bei der letzten Wahl als Bürgermeisterkandidat gehandelt. Warum engagieren Sie sich politisch?

Auch das hat mit dem Tourismus zu tun. Er ist in Oberwiesenthal der wichtigste Wirtschaftszweig. Über den Erfolg entscheiden aber nicht nur die Anbieter, es müssen auch die Bedingungen stimmen. Dazu möchte ich mit meiner Stimme im Stadtrat beitragen. Es ist wichtig, dass dort Leute sitzen, die im Tourismus aktiv sind, damit ihr Geld verdienen. Da gilt der Satz: Bist du nicht dabei, wird deine Stimme nicht gehört. Deshalb habe ich mich zur Wahl gestellt.

Wie entwickelt sich der Tourismus im Erzgebirge und speziell in Ihrem Hotel?

Als Haus verbuchen wir in den letzten Jahren leichte Zuwächse. Das ist erfreulich und auch Ergebnis unserer Bemühungen. Insgesamt bleibt das Geschäft anspruchsvoll. Die Verweildauer der Gäste in der Region liegt bei 2,8 Tagen. Die Touristen buchen immer kurzfristiger und informieren sich auch immer weniger über Unterkunft und Urlauberort. Im Netz wird oft nur das erste Bild angeklickt, dann noch der Preisvergleich, und schon fällt eine Entscheidung.

Wie frei ist Ihr Leben als Unternehmer?

Früher gab es einen ganzen Trainerstab, der die Entscheidungen für mich mitgetroffen hat. Heute kann ich vieles selbst entscheiden, aber auch nicht alles. Auf politischer Ebene werden Dinge festgelegt, die für uns wirtschaftlich von großer Bedeutung sind, die wir selbst aber gar nicht beeinflussen können. Ein Beispiel war die Absenkung der Mehrwertsteuer für Übernachtungen von 19 auf sieben Prozent. Der FDP wurde damals Lobbyismus unterstellt. Hoteliers, auch wir, haben davon profitiert. Das hat der Branche wahnsinnig gutgetan, weil dadurch im europäischen Maßstab Gleichberechtigung hergestellt wurde. Zudem gab es in vielen Häusern einen massiven Investitionsstau, der mit den Mehreinnahmen aufgelöst werden konnte. Dieser Vorteil der Gesetzesänderung wurde aber in der Öffentlichkeit nie diskutiert. Mittlerweile fallen wieder Service-Bestandteile aus der 7-Prozent-Regel heraus. Saunabesuche, die Flasche Wasser auf dem Zimmer, all das wird schrittweise wieder mit 19 Prozent besteuert. Das ist ärgerlich, aber nichts, worauf ich Einfluss habe. Es gibt also auch in meinem neuen Leben als Unternehmer Regeln, die andere aufstellen.

Gespräch: Ines Mallek-Klein