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„Ich bin nicht mehr die Kleine“

Leonie Kullmann verpasst die Norm, will aber trotzdem bei der WM schwimmen. Ab August zieht es die Dresdnerin in die USA.

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© Robert Michael

Von Daniel Klein, Berlin

Der Gesichtsausdruck schwankt zwischen Zufriedenheit und Enttäuschung. So richtig einordnen kann Leonie Kullmann ihr Rennen bei den deutschen Meisterschaften nicht. „Der zweite Platz ist ganz okay, die Zeit hätte besser sein können“, findet sie. Zwei Zehntel bleibt sie über 200 Meter Freistil über der persönlichen Bestzeit. Was aber entscheidender ist: Acht Zehntel fehlen zur WM-Norm.

Die Titelkämpfe in Berlin sind die einzige Chance, um das Ticket für die Weltmeisterschaft in einem Monat in Budapest zu lösen. Eigentlich müsste die 17-Jährige also traurig sein, doch es bleibt noch eine Chance: Die vier Schnellsten könnte Lambertz für die Staffel nominieren. „Daran glaube ich aber nicht, da hätten wir etwas besser sein müssen“, sagt sie. Die Hoffnung bleibt.

Über diesen Umweg hatte sich Kullmann vor einem Jahr auch für die Spiele in Rio qualifiziert. Mit 16 war sie im deutschen Team die jüngste Schwimmerin – und die erste aus Dresden seit 1980 bei Olympia. Die Freistil-Staffel schied zwar im Vorlauf aus, wurde letztlich Zwölfter, doch mehr noch als das Ergebnis blieb bei ihr das Erlebnis haften: „Es war so anders, so cool.“ Sich zwischen all den Stars wiederzufinden, habe sie total motiviert. „Da war mir klar, dass es mir nicht reicht, einfach nur dabei zu sein. Ich möchte mehr erreichen.“ Noch steht nicht fest, ob es mit der WM in Ungarn klappt. „Muss es aber auch nicht, sie ist ja erst 17“, sagt ihr Trainer Alexander Römisch, der sie in Berlin betreut. Vor vier Jahren war sie an den Stützpunkt in die Bundeshauptstadt gewechselt.

Ihr Leben habe sich durch Olympia nicht groß verändert, findet sie. Es gibt einige Presseanfragen, die Konkurrenz schaut ein bisschen aufmerksamer. „Aber sonst? Fällt mir nichts ein.“ Die auffälligste Veränderung kann sie selbst auch am wenigsten beobachten. Sie tritt jetzt deutlich selbstbewusster auf. Früher brachte sie zum Interview schon mal die Freundin mit zur Unterstützung, nun beantwortet sie die Fragen zwischen Anschlag und Siegerehrung, lässt sich dabei am Ohr Blut zapfen und zieht sich nebenbei um. „Ich bin nicht mehr die Kleine“, sagt sie. Das gilt auch körperlich, das Zierliche ist dem Muskulösen gewichen.

Weiter reifen wird sie ab August. Dann fliegt sie in die USA, um an der University of Alabama Architektur-Ingenieurwesen zu studieren. „Das Angebot war einfach verlockend. Ich bekomme ein Vollstipendium, muss quasi nichts bezahlen“, erklärt sie. Zudem seien die beiden täglichen Trainingseinheiten optimal in den Unialltag integriert und die USA ja eine Schwimmnation. Vier Jahre dauert das Studium, von Mai bis August will sie jeweils nach Deutschland zurückkehren, um die Wettkämpfe zu bestreiten. „Ich denke, das ist ein guter Schritt in meiner Entwicklung.“

Den Bundesstaat Alabama kennt Kullmann bestens. Von 2008 an war sie drei Jahre im Städtchen Tuscaloosa, ihr Vater arbeitete dort im Mercedes-Werk. An der Schule begann sie zu schwimmen. Nun will sie im Südosten der USA versuchen, an die erweiterte Weltspitze zu kommen.