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„Ich lasse mich nicht provozieren“

Tom Pomsel bietet als Zeuge Jehovas den „Wachtturm“ und Gespräche an. Was treibt ihn und wie geht er mit Ablehnung um?

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Die Zeugen Jehovas Tom Pomsel (r.) und Daniel Schönfeld stehen mit ihren Heften in der Jacobäerstraße in Pirna.
Die Zeugen Jehovas Tom Pomsel (r.) und Daniel Schönfeld stehen mit ihren Heften in der Jacobäerstraße in Pirna. © Norbert Millauer

Bestimmt kennen viele Pirnaer sein Gesicht: Tom Pomsel aus Langenhennersdorf ist überzeugter Zeuge Jehovas. Mindestens einmal im Monat steht er zusammen mit anderen Zeugen in der Innenstadt von Pirna und bietet die Zeitschriften „Der Wachtturm“ und „Erwachet“ an. Insgesamt 20 Stunden in der Woche ist er in Pirna, aber auch in Dresden für seinen Glauben unterwegs. Ehrenamtlich. Bei Wind und Wetter. Mit SZ sprach er über seine persönliche Motivation, Vorurteile und Erlebnisse an den Ständen.

Herr Pomsel, die meisten, denen ich gesagt habe, dass ich mit einem Zeugen Jehovas verabredet bin, rollten mit den Augen und meinten „du Arme“. Warum ist das so?

Ich weiß auch nicht, woher diese Ablehnung kommt. Wir tun niemandem etwas zuleide. Wir bieten lediglich Gespräche und Informationen über unseren Glauben an. Ob jemand dieses Angebot annimmt, entscheidet er selber. Wir drängen uns nicht auf.

Klassische Feiertage wie Pfingsten und Ostern feiern die Zeugen nicht. Auch der Geburtstag fällt bei ihnen flach. Sie selber bleiben Ihrer Betriebsweihnachtsfeier fern. Das ist für viele nicht nachvollziehbar ...

Stimmt, vielleicht resultieren auch aus diesem Verhalten Vorurteile und Halbwahrheiten über die Zeugen Jehovas. Wenn ich aber die Gelegenheit bekomme, mich zu erklären, dann stoße ich meistens auf Verständnis. Ich arbeite in einem Unternehmen der Sparkassenfinanzierung in Dresden. In der Firma bin ich der einzige Zeuge, erfahre aber viel Respekt und Wertschätzung von den Kollegen.

Sie stehen im Winter wie im Sommer in der Fußgängerzone von Pirna. Was ist Ihre persönliche Motivation?

Das ist mein Glaube. Ich bin tief davon überzeugt, dass ich als Nachfolger Jesu seine Botschaft vom Königreich Gottes in meinem Umfeld bekannt machen muss. Der Einsatz in den Ballungszentren in Pirna, aber auch in Dresden in der Prager Straße ist übrigens ehrenamtlich. Es gibt keinen Zwang. Auch bin ich oft mit meinen Brüdern und Schwestern von Haus zu Haus unterwegs.

Gibt es spezielle Verhaltensregeln, wenn Sie in der Dohnaischen Straße mit dem „Wachtturm“ stehen?

Ich spreche niemanden an. Die Menschen sollen selber entscheiden, ob sie zu mir kommen. Einige kennen mich, und grüßen mich freundlich.

Wie reagieren die Passanten noch?

Viele vermeiden den direkten Blickkontakt und gehen vorüber. Ich habe aber bemerkt, wenn ich grüße, bekomme ich oft einen Gruß zurück. Das ist nur menschlich. Manchmal suchen die Passanten auch das Gespräch. Letztens hatte ich eine Dame, die wissen wollte, was die Bibel nun genau lehrt. Zwei Schüler sprachen mich an, ob es stimmt, dass die Zeugen Jehovas gezielt bei niederen sozialen Schichten um Mitglieder werben. So kann ich auch Vorurteile ausräumen.

Gab es auch schon Anfeindungen?

Ich persönlich habe so etwas noch nicht erlebt, auch keine tätlichen Angriffe. Aber es kommt schon vor, dass jemand eine spöttische Bemerkung macht. Ich lasse mich aber nicht provozieren.

Während der NS-Zeit wurden Zeugen Jehovas in Konzentrationslagern inhaftiert, da sie sich weigerten, im Krieg zu kämpfen. Dennoch gibt es heute Stimmen, die die Zeugen als faschistoide Sekte bezeichnen. Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?

Ich selber bin damit noch nicht konfrontiert worden. In einem solchen Fall würde ich nachfragen, kann aber diese Vorwürfe nicht nachvollziehen. Ich fühle mich nicht von der Gemeinschaft der Zeugen eingegrenzt oder fremdbestimmt. Bei meiner Taufe 1997 wusste ich, worauf ich mich einlasse und wählte ganz bewusst den Glauben. Ich dränge niemand dazu, ein Zeuge Jehovas zu werden. Ich suche lediglich nach denen, die sich für die Botschaft der Bibel interessieren. Das möchte ich nochmals betonen.

Das Gespräch führte Mareike Huisinga.

„Ein sehr geschlossenes System“

Ihre Gemeinschaft ist den Zeugen Jehovas das Wichtigste. Nicht jeder will das auf Dauer. Ein Aussteiger erzählt.

Ich persönlich habe die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas als sehr geschlossenes System empfunden, aus dem ein Ausstieg nur schwer möglich ist. Mir gelang das nur aufgrund eines persönlichen Einschnitts. Konkret war es die Partnertrennung innerhalb der Zeugen. Dies gab mir die Gelegenheit, das System ernsthaft zu hinterfragen.

Das größte Problem aus meiner Sicht war rückblickend, dass man, wenn man 15 Jahre lang nur mit anderen Zeugen Umgang hat, weil dies ausdrücklich erwartet wird, bei einem Ausstieg komplett ohne Halt dasteht. Man verliert mit einem Schlag 99 Prozent aller persönliche Kontakte. Ich hatte das Glück, in einem harmonischen Umfeld aufgefangen zu werden, das einem Familienersatz gleichkam.

Im Leben geht es darum, glücklich mit sich und seinen Lebensumständen zu sein und seinen lieben Vertrauten zu ermöglichen, genauso glücklich zu sein. Nun hatte ich auch noch das Glück, die Liebe meines Lebens zu treffen, bei der ich mich wirklich angekommen fühle.

Protokolliert von Mareike Huisinga.

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