Wie geht es Ihnen heute mit etwas Abstand zu dem Desaster?
Es ist nicht einfach, diese herbe Niederlage zu verkraften. Vor allem aber wird die IG Metall längere Zeit Probleme haben.
Die Angebote von Arbeitgebern und Gewerkschaft waren nicht so weit entfernt: 37 Stunden ab 1. April 2005 hier, Zeitkorridor von 35 bis 40 Stunden mit Betriebsregelungen da. Warum hat es dennoch nicht gereicht?
Das ist mir auch ein Rätsel. Ich habe noch nie erlebt, dass Tarifverhandlungen rückwärts gerichtet waren. Man hätte meinen können, Arbeitszeitverlängerung sei das Thema gewesen. Dabei sind wir über unseren Schatten gesprungen – etwa den Fahrplan zu 35 Stunden in den Betrieben selbst zu regeln oder alternativ die Angleichung an die Produktivität zu koppeln.
Wann spürten Sie, dass das Ding gegen den Baum geht?
Eigentlich erst in der letzten Vorstandssitzung.
Welche Fehler hat die IG Metall gemacht?
Wir haben nicht erkannt, dass sich die Stimmung im Land gegen die Gewerkschaften gerichtet hat. Auch war nicht absehbar, dass es wirtschaftlich so bergab geht. Und dann sind uns mit zunehmender Dauer die Felle davongeschwommen.
Wie meinen Sie das?
Durch die zwischenzeitlich vereinbarten Haustarifverträge wurden es immer weniger Streikbetriebe, und am Ende fehlte einfach die Kraft.
Aber die Haustarifverträge wurden doch von Ihnen propagiert und die Abschlüsse auch entsprechend gefeiert.
Wir haben Haustarife nie als beste Lösung hingestellt, die Betriebe sind auf uns zugekommen. Zudem mussten wir auf den Arbeitgeberverband reagieren, der seine Mitglieder regelrecht zum Austritt und zur Tarifflucht ermuntert hatte.
Jetzt wird schon wieder vom „Häuserkampf“ gesprochen.
Haustarife können nur eine Zwischenstation sein. Der Flächentarif hat absolute Priorität – auch wenn wir das nicht vermitteln konnten.
Viele, die vier Wochen lang tapfer gestreikt haben, fühlen sich nach der Aufgabe durch die Gewerkschaftsspitze verraten.
Diese Enttäuschung lässt sich auch nicht wegdiskutieren. Vor allem, um diesen Menschen zu zeigen, dass ihr Kampf nicht umsonst war, müssen jetzt schnell Haustarife her.
Erwarten Sie Massenaustritte?
Im Streik hatten wir Mitgliederzulauf. Was jetzt wird, weiß keiner.
Wie geht es weiter mit der einst so gefürchteten IG Metall?
Wir dürfen nicht an Kraft verlieren, müssen uns neu organisieren und die Niederlage schnell wegstecken.
Was sind mögliche Ansätze für eine Reform?
Wir müssen prüfen, ob Kommunikations- und Entscheidungsprozesse richtig laufen, Frühwarnsysteme funktionieren und beim Streik mehr Zwischenanalysen nötig sind. Es geht um Führungsprobleme.
Jetzt ist die Gewerkschaft zerstritten. Sie selbst haben West-Betriebsräten vorgeworfen, den Streik torpediert zu haben.
Das war keine Pauschalschelte – im Gegenteil, die Betriebsräte haben uns geholfen. Aber es gab etwa von Opel-Betriebsrat Klaus Franz Äußerungen, die unsere Streikposition maßgeblich geschwächt haben.
Gesamtmetall-Präsident Kannegießer will künftig neue Regeln: Ebenen, auf denen den Tarifparteien langsam die Verhandlungskompetenz entzogen wird und höhere Streik-Hürden.
Diese Diskussion wird auf uns zukommen. Aber die Tarifautonomie hat sich bewährt und Deutschland die wenigsten Streiktage. Übrigens sind Streiks Ausdruck der Demokratie und kein nationales Unglück.
Das sehen aber zahlreiche ostdeutsche Politiker anders.
In der Tat gab es eine nie dagewesene Einmischung und Parteinahme. Gegen einige Amtsträger laufen Dienstaufsichtsbeschwerden.
Das war aber wohl nicht kampfentscheidend.
Nein. Die Hauptschuld müssen wir natürlich bei uns suchen.
Und Sie bei sich auch?
Ich stehe zu meiner Verantwortung und werde meine Fehler analysieren. Mir ist klar, dass ich über Konsequenzen nachdenken muss.
Wie könnten die aussehen?
Die nächste Vorstandssitzung ist am 8. Juli. Dann werden wir sehen.
Gespräch: Michael Rothe