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„Ihr macht unseren Sport kaputt“

Eine ehemalige Schwimmerin greift ihren Verband an, der nach dem Rücktritt der Präsidentin im Chaos versinkt.

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In China beginnt die Kurzbahn-WM, doch die deutschen Schwimmer diskutieren andere Dinge.
In China beginnt die Kurzbahn-WM, doch die deutschen Schwimmer diskutieren andere Dinge. ©  dpa

Die Präsidentin tritt entnervt zurück, ihre wichtigste Stellvertreterin wirft frustriert das Handtuch: Unmittelbar vor der am Dienstag beginnenden Kurzbahn-WM in Hangzhou versinkt der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) im Chaos.

DSV-Chefin Gabi Dörries und die für Finanzen verantwortliche Vizepräsidentin Andrea Thielenhaus legten beim turbulenten Verbandstag in Bonn mit sofortiger Wirkung ihre Ämter nieder, weil sie keine Basis für ihre Arbeit mehr sahen. Am Ende des elfstündigen Sitzungsmarathons mit knapp 100 Anträgen durften sich die Kritiker bestätigt fühlen, die den DSV für fast unregierbar halten.

Die Entscheidungen seien „ein Schlag ins Gesicht des deutschen Schwimmsports“, meinte die frühere Athletensprecherin Dorothea Brandt. Die Wahlberechtigten hätten „den Grundstein für das Ende des Leistungssports im DSV gelegt“ und „die Vorbereitungen der Nationalmannschaften auf die Olympischen Spiele akut gefährdet.“ Zwei Jahre habe Frau Dörries versucht, den Verband neu zu strukturieren, um ihn auf die Zukunft vorzubereiten. „Es wird immer wieder gefragt, warum der deutsche Schwimmsport gegenwärtig so erfolglos ist. Heute haben die Fragenden eine Antwort erhalten“, schrieb die frühere Kurzbahn-Europameisterin in einem Facebook-Eintrag mit der Überschrift: „Ihr macht unseren Sport kaputt!“

Was war passiert? Das aktuelle Präsidium um Dörries wollte beim Verbandstag eine neue Satzung und ein neues Finanzkonzept verabschieden. Auf eine neue Satzung, die den Entscheidungsprozess effizienter gestalten soll, konnten sich die Landesverbände noch einigen. Die Diskussion um die geplante Beitragserhöhung, die erste seit 1985, die eine Anhebung um 60 Cent auf jährlich 1,40 Euro pro Mitglied vorsah, wurde jedoch nach einem Antrag des Badischen Schwimmverbandes verschoben.


Die Ex: Gabi Dörries ist als Präsidentin des Deutschen Schwimmverbandes zurückgetreten.
Die Ex: Gabi Dörries ist als Präsidentin des Deutschen Schwimmverbandes zurückgetreten. ©  dpa


Manche Landesverbände befürchten, auf den Kosten sitzen zu bleiben, sollten sich die Vereinsmitglieder querstellen und nicht bereit sein, den erhöhten Beitrag zu zahlen. Außerdem bereitet manchen der mögliche Verlust von Zuschüssen durch die Bundesländer Bauchschmerzen. Durch die geplante Erhöhung hätte der DSV jährlich rund 300 000 Euro mehr eingenommen. „Durch die heutigen Beschlüsse sehe ich keine Basis für eine weitere Arbeit in dieser Position“, sagte Dörries. Auch gesundheitliche Gründe würden bei ihrem Rücktritt eine Rolle spielen.

Die Software-Unternehmerin aus Elmshorn hatte das Amt erst vor zwei Jahren von Christa Thiel übernommen. In Richtung ihrer Vorgängerin meinte Dörries nun vielsagend: „Jetzt sehe ich, was es für eine Leistung war, diesen Verband 16 Jahre geführt zu haben.“

Im Mai 2019 will der DSV eine neue Führung wählen. Bis dahin übernehmen die Vizepräsidenten Wolfgang Hein und Uwe Brinkmann, Leistungssportdirektor Thomas Kurschilgen und der Vorsitzende der Deutschen Schwimmjugend, Kai Morgenroth, die Leitung im DSV. „Die Stimmung war sehr bedrückend“, sagte Präsident Wolfram Sperling vom Sächsischen Schwimmverband. „Was das für ein Bild beim DOSB und BMI abgibt, mag ich mir gar nicht vorstellen.“

Der klamme DSV kämpft im Zuge der Leistungssportreform mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und dem Innenministerium um jeden Euro, die Verhandlungen hatten bislang Dörries und Thielenhaus geführt. Die Landesverbände wollen nun, dass Leistungssportdirektor Kurschilgen, der beim DOSB bereits als Ressortleiter Verbandsmanagement tätig war, diese Lücke schließt.

Bundestrainer Henning Lambertz hat den Rücktritt der Präsidentin zutiefst bedauert. „Die große Initiatorin für alle Satzungsänderungen war Gabi Dörries, deshalb ist es für mich nicht nur ein bisschen, sondern wahnsinnig schade, dass sie als Präsidentin nicht mehr an unserer Seite ist“, sagte er und lobte zugleich die neue Satzung, die dem Hauptamt mehr Kompetenzen einräumt. „Das ist eine Professionalisierung, die wir im Schwimmen brauchen“, sagte Lambertz, der nach Rückschlägen in der Vergangenheit immer von Dörries Rückendeckung erhalten hatte.

Der Imageschaden ist nun groß, außerdem verstreicht wieder wertvolle Zeit. „Es ist erschreckend, wie eine notwendige Veränderung und damit der Sport insgesamt derart boykottiert werden können“, sagte Brandt: „Ich bin schockiert.“ (sid)