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Im Auktionsfieber

Einmal im Jahr kommen in Bautzen Fundsachen unter den Hammer. Kann man dabei ein Schnäppchen machen?

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© Steffen Unger

Von Marleen Hollenbach

Bautzen. Der Mann mit der schwarzen Jacke reagiert blitzschnell. „40 Euro“, schallt es durch das Bautzener Rathausfoyer. Ein Pärchen steckt die Köpfe zusammen. Die Frau blickt interessiert zum Fahrrad mit dem weiß-grünen Rahmen, das da, mitten im Saal, auf einem kleinen Tisch thront. „Der vordere Reifen könnte kaputt sein“, flüstert ihr Mann. Trotzdem bietet sie mit. „45 Euro“ sagt sie mit leicht zittriger Stimme. Ich schaue auf meinen Zettel. Das Fahrrad gehört zu meinen Favoriten. „47 Euro“ rufe ich laut in den Raum. Die Röte schießt mir ins Gesicht. Unter meiner dicken Winterjacke wird mir jetzt richtig heiß. „Bietet einer mehr“, fragt der Auktionator. Langsam zählt er nach unten . . .

Drei, zwei, eins, meins: SZ-Reporterin Marleen Hollenbach ließ sich vom Auktionsfieber anstecken. Erstmals nahm sie an einer Versteigerung teil...
Drei, zwei, eins, meins: SZ-Reporterin Marleen Hollenbach ließ sich vom Auktionsfieber anstecken. Erstmals nahm sie an einer Versteigerung teil... © Steffen Unger
...und hatte Glück! Das Damenrad mit der pinkfarbenen Klingel gehört jetzt ihr.
...und hatte Glück! Das Damenrad mit der pinkfarbenen Klingel gehört jetzt ihr. © Steffen Unger

Eine Stunde vorher ist mein Puls noch im Normalbereich. Schon die dritte Runde kreise ich um die rund 30 Fahrräder und mache mir Notizen. Ich suche ein Schnäppchen, ein fahrtaugliches Rad, mit dem ich durch Bautzen rollen kann. Nicht zu schön, damit es nicht sofort gestohlen wird, aber auch nicht so heruntergekommen, dass eine große Reparatur notwendig ist. Schutzbleche sollte es haben, damit ich auch im Regen fahren kann – und vielleicht auch ein kleines Körbchen für meine Tasche.

Uhren, Taschen, Lippenstift
Das Rad Nummer 13 erfüllt alle Kriterien. Der silberfarbene Rahmen sieht gepflegt aus, der Sattel ist noch in Ordnung. Das soll es – nein – das muss es werden. Doch während ich mir die anderen Räder ansehe, merke ich, dass besonders viele Menschen bei meinem Favoriten stehenbleiben. Eine Dame hebt das Rad sogar aus dem Ständer. Der Schreibblock in meiner Hand wackelt, so sehr zittern meine Hände.

Eines ist klar: Wenn ich nicht ohne Schnäppchen den Saal verlassen will, benötige ich eine Alternative. Wie eine Löwin um ihre Beute schleiche ich erneut an allen Rädern vorbei, notiere eine Nummer, streiche eine andere, weil die Kette verrostet ist. Am Ende stehen drei Zahlen auf meinem Zettel. Pünktlich um 16.30 Uhr an diesem Dienstagnachmittag taucht der Mann mit dem Holzhammer auf. Ein echter Auktionator ist Andreas Fröde nicht. Eigentlich arbeitet er beim Ordnungsamt der Stadt Bautzen. Doch einmal im Jahr hat er seinen großen Auftritt. Und den genießt Andreas Fröde auch. Mit einem wachen Blick scannt er den Saal. Inzwischen warten mehr als 100 Menschen auf die Versteigerung.

Die Profis unter ihnen haben sich die wenigen Sitzplätze gesichert. Ein junges Pärchen diskutiert noch, ein Mann zählt Geldscheine, zwei Kinder schauen gebannt zum Auktionator. Die Versteigerung ist ein Event für jede Altersgruppe. Und für jeden ist etwas dabei. Uhren, Bücher, Computerspiele, ein Lippenstift – all das hat sich über Monate im städtischen Fundbüro angesammelt. Nur auf Handys dürfen die Schnäppchenjäger in diesem Jahr nicht hoffen. „Der Datenschutzbeauftragte hat sich kurz vor der Versteigerung bei uns gemeldet“, erklärt Andreas Fröde. Weil es möglich ist, gelöschte Daten wieder sichtbar zu machen, darf die Stadt Smartphones nicht mehr anbieten. Der Auktionator entschuldigt sich. Doch richtig enttäuscht scheint niemand von der Nachricht zu sein. Jedenfalls verlässt nach dieser Botschaft keiner den Raum. Ich ahne Schlimmes: Haben es alle auf die Räder abgesehen?

Vorwärts in Zwei-Euro-Schritten
Und dann geht alles ganz schnell. Zwei Männer mit Handschuhen heben ein Fahrrad nach dem anderen auf das Podest. Gleich das zweite Modell ist ein echter Hingucker – ein schwarzes Mountainbike. Kaum vorstellbar, dass dieses elegante Rad niemand vermisst. Noch bis kurz vor der Versteigerung konnten sich die Besitzer bei der Stadt melden, ihr Rad abholen. Doch das Mountainbike blieb übrig.

Andreas Fröde muss sich konzentrieren. Zielgerichtet dreht sich der Auktionator in die Richtung des Rufers, wiederholt mit lauter Stimme den Betrag. In kleinen Zwei-Euro-Schritten geht es zügig voran. So schnell, dass der eine oder andere schon mal den Überblick verliert. Bei welcher Summe sind wir gerade? Ein chaotisches Stimmengewusel entsteht. Doch Andreas Fröde behält den Überblick. Freundlich aber bestimmt bringt er Ordnung ins Durcheinander. Dann schwingt er den Hammer. Der neue Besitzer des Mountainbikes muss mehr als 200 Euro zahlen. Sofort und in bar. Für ein Kinderfahrrad gibt eine Frau im schwarzen Mantel 100 Euro aus. Ob das noch Schnäppchen sind?

Eine Stunde ist vergangenen. Einmal habe ich mitgeboten und bin leer ausgegangen. Nur zwei Zahlen stehen noch auf meinem Zettel. Mein Favorit – die 13 mit dem Körbchen – ist an der Reihe. „70 Euro zum ersten.“ Ich zögere. So viel wollte ich eigentlich nicht ausgeben, oder doch? Das Klicken des Hammers unterbricht meine Gedanken. Zu spät. Eine Frau hinter mir jubelt. Ich ärgere mich. Aber nur kurz, weil schon das weiß-grüne Rad auf den Tisch gehoben wird. Es ist meine letzte Chance. Jetzt erst sehe ich, dass es vorn einen Plattfuß hat. Und nun? Leer ausgehen will ich nicht. Und diese pinkfarbene Klingel . . . „47 Euro“, rufe ich. Bietet einer mehr“, fragt der Auktionator. Langsam zählt er nach unten. Drei, zwei, eins, meins!