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Im Knast ganz unten

Sexualstraftäter sind gefürchtet. Im Gefängnis werden aus den Tätern manchmal Opfer. Das hat Auswirkungen auf die Rückfallgefahr.

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Ein Zellentrakt der Justizvollzugsanstalt Waldeck. Die Leiterin der JVA bestätigt, das Sexualstraftäter im Ansehen unter den Gefangenen weit unten angesiedelt sind.
Ein Zellentrakt der Justizvollzugsanstalt Waldeck. Die Leiterin der JVA bestätigt, das Sexualstraftäter im Ansehen unter den Gefangenen weit unten angesiedelt sind. © Bernd Wüstneck/dpa

Von Thomas Strünkelnberg und Joachim Mangler

Hannover/Lüneburg/Rostock. Immer mehr Fälle werden bekannt - sexueller Kindesmissbrauch sorgt gleich an mehreren Orten für Entsetzen. Allein in Nordrhein-Westfalen sind Lügde, Münster und Bergisch Gladbach mittlerweile fast schon Synonyme für massenhafte Sexualstraftaten an Kindern. In der Öffentlichkeit wird dann schnell der Ruf laut, Sexualstraftäter möglichst lange wegzusperren - erst recht, wenn Kinder die Opfer sind. Doch im Gefängnis - oder auch im Maßregelvollzug, wo Straftäter untergebracht werden, die etwa wegen schwerer psychischer Krankheiten ihr Unrecht nicht einsehen können - gibt es dann neue Schwierigkeiten: Dort werden Täter nach Beobachtung von Experten manchmal selbst zu Opfern.

Denn in Haft können Täter Ausgrenzung, Unterdrückung, Erpressung und Gewalt erleben. Auch im psychiatrischen Maßregelvollzug würden Einzelne ausgegrenzt, sagt Jürgen Schmitz, Chefarzt der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Lüneburg. Auch dort gebe es Hierarchien unter den Patienten. Für die Haft betont die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Waldeck in Mecklenburg-Vorpommern, Kirstin Böcker: "Sexualstraftäter sind im Ansehen unter den Gefangenen weit unten angesiedelt."

Und der Druck wächst: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht fordert, mit Geldstrafen selbst in schweren Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs müsse Schluss sein. "Es ist auch wichtig, dass dieser Verfolgungsdruck auf diese widerlichen Täter noch weiter erhöht wird", sagt die SPD-Politikerin.

Notfall in eine geschützte Abteilung

Kaum überraschend: Im Fall Maddie wurde der Verdächtige in Kiel erst kürzlich aus Sicherheitsgründen in einen anderen Trakt des Gefängnisses verlegt. Und nicht nur verlegt - der Verdächtige darf auch nur einzeln und in Begleitung des Wachpersonals aus der Zelle. So soll verhindert werden, dass möglicherweise Mitgefangene den Häftling attackieren. Der wegen anderer Delikte inhaftierte Mann steht im Fall des vor 13 Jahren verschwundenen britischen Mädchens Madeleine McCann unter Mordverdacht. Seit er als Hauptverdächtiger im Fall Maddie gilt, sind Übergriffe nicht ausgeschlossen.

Anderes Beispiel, Jugendanstalt Hameln, Deutschlands größte Jugendstrafanstalt: Dort sind Sexualstraftäter oder Tatverdächtige "häufiger Anfeindungen von Mitinhaftierten ausgesetzt, wenn die Tat bekannt wird", sagt ein JVA-Sprecher. Die Mitarbeiter seien deshalb "grundsätzlich und im Einzelfall für die Problematik sensibilisiert". So würden Betroffene beraten - vor allem sollten sie Gerichtspost und Prozessunterlagen sorgsam verwahren. Im Notfall kämen sie in eine geschützte Abteilung.

Insgesamt kämen Bedrohungen oder Tätlichkeiten gegen Sexualstraftäter eher selten vor. Landesweit gebe es etwa in den niedersächsischen Gefängnissen "gelegentlich" Übergriffe zwischen den Gefangenen, sagt ein Sprecher des Justizministeriums in Hannover.

Selbstjustiz unter den Insassen

Die Rostocker Rechtsanwältin Beate Falkenberg - sie hat langjährige Erfahrung im Umgang mit Sexualstraftätern in Haft - sagt dazu: "Die, die Kinder geschädigt haben, sind ganz unten und teilweise selbst Repressalien ausgesetzt." Sie verteidigt Straftäter und unterstützt in anderen Prozessen die Opfer in der Nebenklage. "Es muss mehr darauf geachtet werden, dass die Leute, die mit solchen Delikten einsitzen, nicht der Selbstjustiz unter den Insassen ausgesetzt sind." Einem ihrer Mandanten sei einmal angedroht worden: "Wir machen das mit dir, was du den Kindern angetan hast." Und das geschah dann auch. Die Täter kamen noch einmal vor Gericht.

Im Maßregelvollzug gebe es nur wenige Patienten mit Hafterfahrung, auch sei dort die Zahl der Sexualstraftäter in den vergangenen 10 bis 15 Jahren deutlich gesunken, sagt Chefarzt Schmitz. Die Frage verminderter Steuerungsfähigkeit werde inzwischen weit strenger beurteilt. Ein wesentlicher Unterschied zur Haft: Im Strafvollzug gehe es um Strafe und Resozialisierung, der Maßregelvollzug kenne dagegen keine befristete Unterbringung, erklärt er. Die Unterbringung dauere so lange, wie die Gefahr andauere, die von dem Menschen ausgehe - bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit. Und es gehe um einen therapeutischen Ansatz.

Klar sei aber auch: "Die müssen sich nicht mögen. Alle sind wegen Straftaten untergebracht und müssen einen neutralen Umgang finden." Ist es nicht lösbar, müssen die Betreffenden getrennt werden. Im Maßregelvollzug wissen die Patienten angesichts der Therapie - auch Gruppentherapie - nach seiner Einschätzung ohnehin mehr voneinander als in Haft. In den Therapiegruppen werde erwartet, dass die Patienten offen über die Delikte sprechen.

"Das ist Gift für die Rückfallvermeidung"

Im Gefängnis seien schwere Gewaltstraftäter oft in der Hierarchie oben - dagegen seien "Menschen, die pädophile Straftaten begangen haben, diejenigen, die es in der Haftsituation und auch bei uns am schwersten haben", erklärt Schmitz. Das könne dazu führen, dass die Menschen, von denen nicht wenige selbst in ihrer Kindheit Opfer sexueller Übergriffe geworden seien, sich zurückziehen, eine Traumatisierung erleben. Die Gefahr bestehe, dass sie dies als "Re-Inszenierung eigener Missbrauchserfahrung" verarbeiten: "Das ist Gift für die Rückfallvermeidung."

In der Behandlungsgruppe entstehe Akzeptanz, jeder Patient mit seiner jeweiligen Straftat gehöre zur Gruppe. Aber: "Die Hierarchie bleibt", betont Schmitz: "Patienten mit dissozialen Eigenschaften bleiben oben, pädophile Straftäter sind auch im Selbstschutz eher eingeschränkt." Und leisten den Stärkeren dann Dienste.

Für die Gefängnisse betont JVA-Leiterin Böcker, es sei Aufgabe aller Mitarbeiter, dafür zu sorgen, dass jeder Gefangene vor körperlichen Übergriffen sicher sei: "Wenn sich die Täter nicht sicher fühlen, werden sie nicht zugänglich für Therapieangebote sein - das geht nicht in einem Klima der Angst." Vom Erfolg der Behandlung hänge direkt das Rückfallrisiko ab. Sie geht davon aus, dass die Isolation von Sexualstraftätern nicht mehr Sicherheit schafft. Rechtsanwältin Falkenberg sagt: "Die Hilfe, die notwendig wäre, um später die Gesellschaft vor den Tätern zu schützen, ist nicht ausreichend gewährleistet." (dpa)