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Immer mehr rechte Straftaten

Der Landkreis Bautzen gilt als neue Hochburg in Sachsen. Die Stadt Bautzen nimmt landesweit einen traurigen Spitzenplatz ein.

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© Uwe Soeder

Von Sebastian Kositz

Bautzen. Hakenkreuz- Schmierereien, Beleidigungen und Gewalt gegen Andersdenkende – die Liste der rechtsextremen Straftaten im Landkreis Bautzen ist lang. Das Innenministerium verweist für das abgelaufene Jahr auf 204 Delikte – gegenüber 2011 hat sich diese Zahl damit glattweg verdoppelt. Nur in den beiden einwohnerstarken Großstädten Dresden und Leipzig gibt es noch mehr rechte Straftaten. Der Landkreis, vor allem aber die Stadt Bautzen gelten inzwischen als Hochburg in Sachsen.

© Grafik: Gernot Grunwald

In aller Regelmäßigkeit fragt die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Die Linke) im Innenministerium die aktuellen Daten ab. Bislang, so die Politikerin, lag der Landkreis Bautzen im unauffälligen Mittelfeld. Doch seit einigen Jahren gibt es einen traurigen Aufwärtstrend. Dabei bieten nicht allein die absoluten Zahlen Grund zur Sorge. Die Abgeordnete hat die Straftaten auch in Beziehung zur Einwohnerzahl gesetzt. Mit 67 Straftaten auf 100 000 Einwohner liegt der Kreis gemeinsam mit Nordsachsen sogar auf Platz zwei. Nur in der Stadt Chemnitz ist die Fallhäufigkeit noch höher.

Bei einem Großteil der Straftaten im Landkreis Bautzen handelt es sich um sogenannte Propaganda-Delikte. Dazu zählen der Hitlergruß, das Beschmieren von Wänden und Fassaden mit Hakenkreuzen oder rechten Parolen, ebenso wie Hasskommentare im Internet oder Volksverhetzung. Allerdings sind auch Beleidigung und Nötigung an der Tagesordnung – bei fast jeder zehnten Straftat handelt es sich um Übergriffe auf Ausländer oder Andersdenkende.

Die Straftaten verteilen sich auf den gesamten Landkreis, sind keineswegs nur ein Problem in den Städten. In Ottendorf-Okrilla gab es elf Vorfälle im vergangenen Jahr, in Sohland, Neukirch, Großröhrsdorf und Wachau musste die Polizei ebenfalls mehrfach ermitteln. Die mit Abstand meisten Straftaten wurden allerdings in der Stadt Bautzen registriert. Laut der Statistik sind es 93 Fälle. Hochgerechnet auf die Einwohner zeigt sich ein besonders dramatisches Bild: Mit 228 Taten pro 100 000 Einwohner ist die Zahl gleich viermal höher als der Landesdurchschnitt. „In keiner sächsischen Stadt war die Fallhäufigkeit größer“, konstatiert die Abgeordnete Kerstin Köditz.

Kontinuierlich gewachsene Szene
Die Politikerin beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit der rechtsextremen Szene im Freistaat. Dass die Zahlen derart gestiegen sind, überrascht sie wenig. „Das erhöhte Fallaufkommen spiegelt in Bautzen offenbar auch die reale Entwicklung der rechten Szene. Sie ist zu neuem Selbstbewusstsein gelangt“, erklärt Kerstin Köditz. An verschiedenen Orten im Landkreis gebe es feste Anlaufpunkte der Szene, zudem sei diese über Jahre stetig gewachsen.

Eine Einschätzung, die auch das Kulturbüro Sachsen und der Verfassungsschutz teilen. Markus Kemper vom Kulturbüro beobachtet die rechtsextremen Strukturen in Ostsachsen: „Die organisierte Neonazi-Szene verfügt in Bautzen und in Ostsachsen über seit Ende der 1990er-Jahre kontinuierlich gewachsene Strukturen“. Die Oberlausitz hätte im Großen und Ganzen heute mit denselben Neonaziakteuren zu tun wie noch vor zwei Jahrzehnten. Bei denen, die nachkommen, handelt es sich den Worten von Markus Kemper zufolge teilsweise sogar um familiären Nachwuchs, die mit in die rechte Szene reingewachsen seien.

Der Landesverfassungsschutz spricht ebenfalls von einer aktiven rechten Szene. Ein Beleg für die über die Jahre verfestigten Strukturen sieht die Behörde beispielsweise in dem jedes Jahr aufs neue zelebrierten Fackelmarsch zum Volkstrauertag in Niederkaina. Nach Angaben des Kulturbüros hatten sich im April 2017 daran erneut etwa 60 Nazis beteiligt. Der Verfassungsschutz geht aktuell von 200 bis 250 Rechtsextremen im Landkreis aus – die allermeisten seien lose strukturiert. „Viele davon sind nur untereinander über soziale Medien vernetzt, über die auch die Mobilisierung der Szene erfolgt“, so der Sprecher des Verfassungsschutzes, Martin Döring.

Unabschätzbares Dunkelfeld
In den zurückliegenden Jahren sei der Kreis Bautzen ein Schwerpunkt der Anti-Asyl-Veranstaltungen gewesen. „Mit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen sind auch die Aktivitäten auf diesem Gebiet zurückgegangen“, sagt Martin Döring. Ein Grund, um sich beruhigt zurückzulehnen, ist das aus Sicht von Markus Kemper jedoch nicht. Die Rechtsextremen seien weiterhin gut organisiert. Ereignisse wie die Ausschreitungen auf dem Bautzener Kornmarkt im September 2016 könnten sich nach seiner Meinung jederzeit wiederholen.

Ohnehin, das erklärt Kerstin Köditz, ist es schwierig, nur anhand der Anzahl der Straftaten auf die Beschaffenheit der Szene zu schließen. Die Aussagekraft der Statistik über rechtsextreme Straftaten sei abhängig von vielen Faktoren. Das beginne beim einzelnen Beamten, der den jeweiligen Vorfall als rechtsextrem einsortiert – oder eben genau das nicht tut. Die Schwankungen der Fallzahlen hängt aus Sicht von Kerstin Köditz zudem vom Anzeigeverhalten ab.

„Ist die Öffentlichkeit sensibel, werden mehr Fälle aktenkundig. Bei Gewöhnungs- und Normalisierungseffekten ergibt sich eine niedrigere Fallzahl“, sagt die Politikerin. Es bleibe ein „unabschätzbares Dunkelfeld“. Nach Einschätzung von Markus Kemper werden überdies immer öfter Straftaten gar nicht erst angezeigt. Erfahrungen der Opferberatung Sachsen, die sich um Betroffene rechter Gewalt kümmert, hätten gezeigt, dass Betroffene im Landkreis gar nicht mehr genügend Kraft hätten, Übergriffe überhaupt noch bei der Polizei anzuzeigen, so der Mitarbeiter vom Kulturbüro.